Yann Sommer wechselt mit sofortiger Wirkung zum FC Bayern München. Borussia Mönchengladbach verliert einen der besten Torhüter, der je das Trikot mit der Raute trug und womöglich den aktuell besten Keeper der Bundesliga. Und das nur, weil Manuel Neuer Skifahren war. Der Unfall des Bayern-Stammtorwarts und das mangelnde Vertrauen der Münchner Vereinsführung in Ersatzkeeper Sven Ulreich ließen in München Begehrlichkeiten nach dem Schweizer Nationaltorwart entstehen. Und einen Spieler, den Bayern München haben will, bekommt Bayern München. Das hat das Gerangel um den Sommer-Transfer bewiesen. Im Zweifelsfall zahlt man halt doppelt so viel, wie anfangs geboten – genug Geld hat Bayern allemale auf der hohen Kante.

Man muss Borussia zu Gute halten, aus diesen Verhältnissen das Beste gemacht zu haben. Man hat Sommer nicht verschenkt und auch nicht verramscht. Für einen Spieler, dessen Vertrag Ende Juni dieses Jahres ausläuft, sind acht Millionen Euro Ablöse, so die zuletzt kolportieren Summen stimmen, ein beachtlicher Betrag. Dass noch mehr fließen soll, falls der FC Bayern die Champions League gewinnt, darf man getrost vergessen, denn der FC Bayern wird die Champions League nicht gewinnen. Dabei ergibt das Gebaren der Bayern-Führung nach dem Neuer-Unfall nur Sinn, wenn sie wirklich sehr fest dieses eine Ziel vor Augen haben. Denn Deutscher Meister wird der FC Bayern auch mit Sven Ulreich. Deutscher Meister würde der FC Bayern vermutlich auch mit Sepp Maier. Also dem Sepp Maier von heute. Acht Millionen Euro also, für die vage Aussicht, mit Yann Sommer in der Champions League weiterzukommen. Gegner im Achtelfinale ist Paris St Qatar. Man muss diesen Gegner nicht mögen, um ein Ausscheiden der Bayern für wahrscheinlicher zu halten, als ein Weiterkommen. Auch mit Yann Sommer zwischen den Pfosten. Falls die Bayern ausscheiden, wäre die Wette mit Sommer nicht aufgegangen. Nun, uns kann’s egal sein. Der Torwart, dessen Vertragsverlängerung wir vor gar nicht allzu langer Zeit fest erwartet hatten, ist weg.

Stattdessen hat Borussia einen ordentlichen Millionenbetrag zusätzlich auf dem Konto – überweist den größten Teil dieses Geldes aber umgehend weiter nach Südfrankreich. Die Nummer Eins der Schweiz wird durch die Nummer Drei der Schweiz ersetzt. Jonas Omlin wechselt vom SC Montpellier nach Mönchengladbach und unterschreibt laut Schweizer Medien einen Vertrag bis 2027.

Das ist unter dem Strich ein recht ordentliches Geschäft. Statt eines guten Torwarts bis Ende der Saison hat man jetzt einen offenbar auch guten, vier Jahre jüngeren Torwart für die absehbare Zukunft unter Vertrag. Wirklich kritikwürdig ist – davon ausgehend, dass Sommer ohnehin nicht bereit gewesen wäre, in Gladbach zu verlängern – daran nichts. Ein paar Unbekannte hat die Rechnung aber schon noch: Wie gut ist Jonas Omlin wirklich? Mit Montpellier steckte er im Abstiegskampf der Ligue 1, er gilt als reaktionsschnell und ob seiner Größe auch in der Luft guter Torhüter. Fußballerisch soll er nicht ganz das - außergewöhnlich hohe - Niveau von Yann Sommer erreichen, aber durchaus auch als mitspielender Torwart brauchbar sein. Der mitspielende Torwart ist für Borussias Defensivspiel zurzeit essenziell. Als der Ehrmann-Schüler Tobias Sippel Sommer zuletzt vertrat, fehlte hinten quasi ein Mann. Mit Jan Olschowsky funktionierte das deutlich besser.

Und da sind wir bei der zweiten unbekannten Größe: Hätte das mit Omlin überhaupt sein müssen? Hätte Sippel bis zur WM-Pause das Gladbacher Tor gehütet, man hätte diese Frage mit einem entschiedenen „ja“ beantwortet und sich über den Sommer-Omlin-Deal vielleicht sogar gefreut. Nun hat aber Olschowsky die letzten beiden Bundesligaspiele 2022 bestritten und dabei einen guten Eindruck hinterlassen. Durch die Sorge, die man vor dem Einsatz des bis dahin fünften (!) Torwarts in der internen Hierarchie hatte, fielen die Jubelarien nach den Spielen in Bochum und gegen Dortmund vielleicht einen Deut zu laut aus, aber der 21-Jährige hat zumindest angedeutet, ein bundesligatauglicher Keeper zu sein. Hätte man unter diesen Voraussetzungen ins Risiko gehen können, auf die Verpflichtung eines erfahrenen aber teuren Sommer-Ersatzes verzichten und auf den Spieler aus dem eigenen Nachwuchs setzen sollen? Nun, wir werden es nicht erfahren, weil es nun mal nicht so gelaufen ist. Man darf davon ausgehen, dass man sich auch bei Borussia solche Gedanken gemacht hat und man darf davon ausgehen, dass man diese Variante nicht aus Jux und Dollerei verworfen hat. Die (geschätzt) sieben Millionen Euro für Omlin hätte man durchaus in andere Mannschaftsteile investieren können, in denen spätestens im Sommer Bedarf bestehen wird. Aber womöglich wäre einem die Entscheidung für Olschowsky auch auf die Füße gefallen und man hätte sich plötzlich im Abstiegskampf wiedergefunden. Sehr viel Konjunktiv in Ermangelung einer Glaskugel.

Nichtsdestoweniger verstärkt sich der Eindruck, dass man es bei Borussia im Moment nicht so mit dem eigenen Nachwuchs hat. Dazu passt auch die erneute Leihe von Rocco Reitz. Die Frage ist: Was will, was kann Borussia in dieser Saison noch erreichen? Setzt man große Hoffnung in das Erreichen des internationalen Geschäftes, ergibt das alles durchaus Sinn. Allerdings ist diese Hoffnung vermutlich ähnlich berechtigt, wie die der Bayern auf den Gewinn der Champions League. Zu schwankend waren die Darbietungen im bisherigen Saisonverlauf, als dass man viel Geld auf das Erreichen auch nur der Conference League setzen würde. Womöglich geht für Borussia die Wette mit Omlin am Ende ebenso wenig auf, wie für Bayern die mit Sommer. Immerhin kommt bei uns in der kommenden Saison kein ehemaliger Welttorhüter mit machtvollem Fanclub bei der BILD und beim kicker zurück und wirbelt die Torhüter-Hierarchie noch einmal durcheinander.

Borussias Management hat diese erste Herausforderung bestanden, insofern man lange hart geblieben ist und sich offenkundig nicht über den Tisch hat ziehen lassen. In Sachen Sommer kann man Roland Virkus und seinen Mitstreitern keinen Vorwurf machen. Den zweiten Teil des Deals können wir im Moment nicht und vermutlich auch in Zukunft nie wirklich bewerten – die beste Variante aus Fansicht wäre, Omlin macht Sommer schnell vergessen, dann stellt bald niemand mehr die Olschowsky-Frage. Das Thema Nachwuchsförderung allerdings bleibt auf der Tagesordnung, denn man wünscht sich doch, dass die vermeintliche „Philosophie“ von Borussia Mönchengladbach eines Tages auch mal mit Leben gefüllt wird.