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Alles ist anders als beim letzten Besuch in Kiew. Im ausklingenden Sommer 2012 war es das erste Auswärtsspiel für die Borussia und ihre Fans in einem europäischen Pokal nach 16 Jahren, der sommerliche Tag im friedlichen Kiew endete zwar mit dem Ausscheiden aus der Qualifikation für die Champions League, dennoch brachten die Borussen die 60.000 Fans im Olimpiysky von Kiew mit der zwischenzeitlichen 2:0 Führung zu völliger Ruhe. Die nächste Fahrt in die Ukraine ist keine Qualifikation mehr sondern ein regelrechtes Champions League Duell in einem Land, das seit Jahren einen Bürgerkrieg im Osten führt, viele Fans werden nicht im Stadion sein und wir spielen auch gar nicht gegen Dynamo Kiew. 

Sondern das erste Spiel gegen Schachtar Donezk steht auf dem Programm. Ein Verein, der gleichzeitig für die Zerrissenheit seines Landes steht wie für manche Wirrungen des modernen Fußballs, schauen wir uns diesen Verein einmal genauer an. Mit dem Namen fängt es schon an. Hießen die nicht früher Schachtjor? Doch, und so kann man heute auch noch sagen, wenn man eher der russischen Seite der ukrainischen Landes- oder Sprachgeschichte zugeneigt ist.  "Schachtar" ist die ukrainische Version würde man sagen,"offizielle Version" gäbe es scharfen Protest der Menschen in der Ostukraine, die ihren Staat verlassen  und gleichzeitig ihren Lieblingsverein in ihrer Sprache nennen wollen. Wie man sieht, alles reichlich kompliziert.

Es wird auch im weiteren nicht einfacher. Der Name "SchachtarW weist auf den Ursprung des Clubs hin, auf die Minenarbeiter (was Schachtar/Schachtjor bedeutet), die Bergwerke und Schwerindustrie im kohlereichen Donbass. Dass der Verein heute auch noch so heisst und auf seine Arbeiterwurzeln verweist, ist allerdings ein Hohn, denn 1996 übernahm der waschechte Oligarch Rinat Achmetow den Verein. Parallelen zu deutschen Bergarbeiterclubs mit Oligarchenverbindungen sind rein zufällig. Danach tat Achmetow das, was Oligarchen mit ihren Vereinen tun und ließ Geld fließen, viel Geld. Das viele Geld floss in Spieler, in Trainer und vor der Europameisterschaft 2012 auch in ein schönes, neues Stadion. Sechs Jahre nach der Übernahme durch Achmetow wurde Schachtar Donezk zum ersten Mal ukrainischer Meister. Von 2005 holte der Club in 16 Jahren 12 mal die Meisterschaft, zuletzt vier mal in Folge. Aus Schalke im Donbass wurde Bayern im Exil. 

Denn ins Exil musste man gehen, als in der Ukraine und damit in Europa 2014 ein Bürgerkrieg ausbrach. Die Hintergründe lassen sich hier nicht mal ansatzweise umreissen, sie leiten sich aus der vielschichtigen Geschichte der Ukraine her und ganz konkret von dem starken Interesse Russlands am russisch geprägten Osten des Landes und dessen wirtschaftlichen Bedeutung. Zumindest kann man sagen, dass ein Bergarbeiterclub, der einem Milliardär gehört, der verschiedene Namen in verschiedenen Sprachen hat und hunderte Kilometer entfernt von seiner Heimat spielt, ein bildstarker Ausdruck der Umstände in seinem Land darstellt.

Seither wandert Schachtar Donezk umher, zuerst wurden die Heimspiele ausgerechnet in Lviv nahe der polnischen Grenze ausgetragen, was von Donezk aus gesehen fast die halbe Strecke nach Mönchengladbach ist. Dann in Charkiv an der russischen Grenze und seit dieser Saison in Kiew, wo man sich das Stadion mit dem sportlich stärksten Rivalen von Dynamo teilt. Diese Umstände haben Schachtars sportlichem Rang allerdings nichts anhaben können. Vier Meisterschaften in Folge seit 2017 stehen auf dem kyrillischen Briefkopf und wer das für eine eher relative Größe hält, konnte sich vor 2 Wochen vom Gegenteil überzeugen lassen, als Donezk bei Real Madrid mit 3:2 gewann. Auch wenn Real ohne Ramos immer eine Art B-Mannschaft ist, allerdings mussten die Ukrainer nicht weniger als 10 Spieler coronabedingt ersetzen. 

Natürlich ist es vorrangig das Geld Achmetows, das Schachtar sportlich aufrecht erhält. Dazu auch die Einnahmen aus der Champions League, die in kleineren Ligen Monopolisten schaffen. Nicht zuletzt auch hat Achmetow ein paar Fachleute am Werk gehabt und ohne größere Einmischung arbeiten lassen, und in erster Linie war das Mircea Lucescu. Bis 2016 war der Rumäne zwöf Jahre lang als Trainer tätig und hat Schachtar Donezks heutigen sportlichen Wert aufgebaut. Es ist kein Geheimnis, dass das in erster Linie über einen Großhandel mit brasilianischen Spielern geschieht. Elf stehen im aktuellen Kader, in der Vergangenheit waren auch Spieler wie Willian, Douglas Costa und Fernandinho zu sehen, die dort ihre europäische Karriere begonnen haben. 

Man kann Schachtar Donezk  durchaus eine fußballerische Identität bescheinigen, auch wenn es keine einzigartige ist. Es handelt sich in allererster Linie um ein Kollektiv, kein Starensemble und auch nicht eine Sammlung von Talenten um ein paar Stars, sondern um eine Mannschaft, die versucht, mit schnellem Passspiel und läuferischem Einsatz das meiste als Team rauszuholen. Diese Spielweise sieht man in der Champions League bei einigen Teams aus Ligen unterhalb der obersten 6 oder 7, wo man kreativ sein muss, wenn man in der starbesetzten Champions League nicht untergehen will. Donezk ist ein Vorreiter dieses Stils, bei dem die offensiven Spieler durchaus ihre individuellen Fähigkeiten haben, die über viele kurze Pässe, Spielverlagerungen und schnelle Gegenstöße eingesetzt werden sollen. 

Die Mannschaft wird gerne unterschätzt und fühlt sich pudelwohl in der Rolle, wie eben in Madrid. Bezeichnend war, dass die ersatzgeschwächte Mannschaft ihr Passspiel dort unternehmungsfreudig durchzog, was einen Hinweis auf die fußballerische Einheit der Mannschaft gibt. Von der rechten Seite geht fast immer Gefahr aus, hier sind mit dem Verteidiger Dodo und dem Rechtsaussen Tete zwei auffällige Spieler bei der Arbeit, die bei entsprechender Ablöse auch nicht viele weitere Jahre in der Ukraine verbringen werden. Die grauhaarige Eminenz im Mittelfeld ist Marlos, seit 6 Jahren unermüdlicher Ballschlepper und eine Stütze des Teams. Der aus Schalker Zeiten und der Nationalmannschaft bekanntere Yevhen Konoplyanka kommt nicht immer zum Einsatz.

Hannes Wolf (hier im Spiel gegen Real Madrid) schoss das Tor zum ersten Sieg von Borussia gegen Leipzig.

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Die Ukrainer stellen also eine ordentliche Herausforderung auf Champions League Niveau dar. Das lässt sich mittlerweile auch über die Mannschaft von Borussia Mönchengladbach sagen. Wenn nach zwei Spielen Inter Mailand und Real Madrid froh sind, nicht verloren zu haben, ist der Start in die "Hammergruppe" anständig verlaufen. Eine Bestätigung der Leistung kam am Samstag gegen Leipzig. Auch bei einem Spiel ohne großen Zauber vor den Toren war die Intensität, die Anzahl der Zweikämpfe, die Schnelligkeit in den Aktionen hoch und die Fehlerquote eher niedrig. Die Borussen haben dem Spitzenreiter der Bundesliga seine erste Niederlage verpasst, vier Tage nach einem Spiel gegen Real Madrid und obwohl Stindl und Thuram nicht in der Startelf standen. Sicher fehlten auch bei Leipzig ein paar Prozent, aber offenbar ist die Borussia dann auf dem gleichen Niveau. Und das, obwohl man Roses Team noch lange nicht auf dem Leistungshöhepunkt sieht, was einem auch die neun Tore aus sechs Spielen in der Liga sagen, und auch die großenteils nach Standards.

Zu den positiven Dingen nach der Partie gegen Leipzig gehören die erwähnenswert gute Leistung von Bensebaini als Innenverteidiger, die spielstarke Doppelsechs-Variante mit Neuhaus und Hofmann, überhaupt die konstant guten Spiele des läuferisch unverwüstlichen Jonas Hofmann sowie das Tor von Hannes Wolf. Der Leih-Leipziger zeigte in der zweiten Halbzeit ein paar der Qualitäten, wegen derer Rose und Eberl sich um den Transfer bemüht hatten, besonders seine Beweglichkeit mit dem Ball in engen Situationen. Dadurch konnte Marcus Thuram 70 Minuten lang geschont werden, ohne dessen Fähigkeiten Borussia sonst einiger Stärken beraubt ist.

Realistisch wird es sein, am Dienstag anfangs nicht mehr als einen Punkt zu erwarten. Und dann im Laufe des Spiels zu sehen, ob noch mehr geht oder ob das schon schwierig genug ist. Auch über diesem Spiel hängt bereits das nächste, und zwar  in Leverkusen. Trotz dieser fordernden Spiele in Folge ist es eine durchweg schöne Sache, dass zwar durchaus über Belastung und Schonung gesprochen wird, dass aber Marco Rose nicht einen Moment lang den Eindruck macht, als würde ihm das alles keinen Spaß machen. Im Gegenteil, Borussia hat ein Jahr lang darum gekämpft, gegen Madrid und Mailand und Donezk spielen zu dürfen und der Trainer lebt Spielern, Verein und Fans vor, dass man bei voller Leistung genießen darf, was man sich erarbeitet hat. Dieser Trainer weiss nicht nur, wo wir herkommen, er weiss auch, wo er hin will.