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Jeder hat sicher schon vom Kollegen Sisyphos gehört. Der arme Kerl wurde, nur weil er gepetzt hatte, vom chronisch übel gelaunten Göttervater Zeus dazu verdonnert, für alle Zeiten eine unglaublich schwere Steinkugel einen Berg hochzurollen, die kurz vorm Gipfel immer wieder hinunterpoltert. Nun ist nicht überliefert, welche schräge familiäre Verbindung der (seltsamerweise immer namenlose) Fußballgott mit Zeus hat. Mit Blick auf die vergangenen Spiele der Borussia liegt zumindest der Verdacht nahe, dass sich die beiden Gottheiten zu den Themen Boshaftigkeit und Zynismus mindestens mal bei einem göttlichen Ouzo zum Austausch getroffen haben.

1:1 gegen Union Berlin, 1:1 gegen Wolfsburg, 2:2 in Mailand und zuletzt 2:2 gegen Madrid, dazwischen das knappe, wenngleich verdiente 3:2 in Mainz nach Rückstand und der obligatorische Derbysieg in Köln. Nun könnte die Glas-halbvoll-Fraktion unter uns einwenden, dass Borussia von acht Pflichtspielen in dieser Saison sieben nicht verloren hat und auch jedes hätte gewinnen können. Die andere Fraktion (ergo: die restliche Seitenwahl-Redaktion) beklagt alles Mögliche vor dem Hintergrund der Ergebnisse: „Konzentrationsmangel“ ist dabei noch der harmloseste Vorwurf. Festzuhalten ist, dass Borussia sich ausschließlich selbst um den Lohn der Arbeit gebracht hat, was sie dann doch final vom Sportskameraden Sisyphos unterscheidet. Und das ist ohne Frage ärgerlich. Dass wir uns alle über ein Remis gegen den größten Klub der Welt ärgern, zeigt aber letztlich, welchen Weg die Elf vom Niederrhein inzwischen zurückgelegt hat.

Marco Rose missfiel auf der Pressekonferenz unter der Woche dann auch der zu kritische Blick gerade auf das Spiel gegen Real Madrid. Ihm komme die Mannschaft zu schlecht weg, sagte Rose, denn diese habe über weite Strecken gegen Madrid ein sehr gutes Spiel gezeigt. Dennoch bleiben nüchtern ein paar Beobachtungen: Der qualitative Unterschied zwischen der ersten Garde, besonders im Sturm, und denen, die von der Bank kommen, ist auffällig. In diesen Wochen, in denen Borussia „alle drei Tage Champions League“ spielen müsse mit Partien gegen Leipzig, Donezk und Leverkusen wieder in der Bundesliga, wird das ein wichtiger Faktor. Rose wird Thuram, Plea oder Stindl nicht in jedem Spiel 90 Minuten durchspielen lassen können.

Ein Hannes Wolf, eigentlich als Ersatz oder erste Option für Stindl verpflichtet, schadet der Mannschaft mit seiner unangebracht lässigen Art zurzeit mehr als dass er ihr nutzt. Breel Embolo ist immer mit vollem Einsatz dabei, allerdings stellt sich uns so langsam aber sicher die Frage, was genau Rose im Schweizer sieht, das einen Einsatz auf der Zehnerposition rechtfertigt. Embolo hat sehr viele Qualitäten, aber ein Spiel zu ordnen und mit Pässen in die Spitze gefährlich zu machen, gehört ganz auffällig nicht dazu. In Erwartung eines körperlich anspruchsvollen Spiels und der zu erwartenden Pause für Stindl ist aber mit einer Rückkehr Embolos in die Startelf zu rechnen. Patrick Herrmann schließlich ist ein Liebling der Fans, aber auch bei ihm müssen wir nüchtern konstatieren, dass er auf diesem Niveau der Mannschaft keine Impulse mehr verleihen kann.

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Am Samstagabend kommt zudem ein Gegner in den Park, der mit seiner aggressiven Art Fußball zu spielen Borussia seit Jahren vor große Probleme stellt. Gleichwohl das Auswärtsspiel beim gleichen Gegner in der Vorsaison zu einem der besten Bundesligapartien der jüngeren Vergangenheit gehört (aber ja, auch das Spiel endete 2:2 durch einen Gegentreffer kurz vor Schluss). Rose wird demnach gut überlegen, welche Spieler er auch mit Blick auf das folgende und schwere Champions-League-Auswärtsspiel wenige Tage später aufstellt, denn die läuferische Leistung wird am Wochenende noch viel mehr gefragt werden, gönnte sich Real unter der Woche trotz mehr Ballbesitz dann doch mal längere Phasen des Standfußballs. Ein Gefallen, den die Gäste der Borussia nicht tun werden.

Gute Nachrichten gab es zumindest von Zugang Valentino Lazaro, der seit knapp eineinhalb Wochen ohne Beschwerden mit der Mannschaft trainiert und für Samstag zumindest eine Option für eine Einwechslung ist. Auch wenn man bei Stefan Lainers unermüdlichem Laufpensum oft das Gefühl hat, dass er über Sisyphos‘ Schicksal nur müde lächeln würde. Im Mittelfeld fehlt Denis Zakaria trotz der guten Leistungen von Neuhaus, Kramer und Hofmann immer noch sehr. Zu den drei Letztgenannten gibt es zurzeit leider wenig Alternativen, der technisch beschlagene Lászlá Benes ist kein Lieblingsspieler von Marco Rose, was auch an Benes‘ fehlender Grundschnelligkeit und Defiziten im Abwehrverhalten liegt. Der junge Rocco Reitz wird gerade behutsam an die Bundesliga herangeführt, ob Rose ihn jetzt schon in Duelle mit Emil Forsberg, Kevin Kampl oder Marcel Sabitzer schickt, darf bezweifelt werden. Tony Jantschke ist mit seiner Erfahrung und unaufgeregten Art immer eine Option, würde er wahrscheinlich auch Yann Sommer oder den Vereinsarzt ersetzen, wenn es sein müsste.

Der Gegner aus Leipzig

Das, was dieser „Verein“ repräsentiert, hat nun gar nix mit Zeus oder sonstigen Gottheiten zu tun. Es ist und bleibt ein in jeder Form abzulehnendes und irdisch-schnödes Marketingkonstrukt, das alle Verantwortlichen von DFL bis FIFA stillschweigend akzeptiert haben und bis heute hofieren. Und mehr Aufmerksamkeit und Zeit wollen wir dem Gegner an dieser Stelle auch nicht schenken.

Die SEITENWAHL-Tipps

Christian Spoo: Was ist schlimmer? Eine klare Niederlage oder ein Tiefschlag, wie Borussia ihn erhalten hat. Leipzig wird sich weniger von der Champions League aus dem Ligakonzept bringen lassen und gewinnt im Geisterpark mit 3:1.

Thomas Häcki: Nach dem Kater ist vor dem Kater. Dass ausgerechnet gegen Leipzig und in einem leeren Stadion die aktuelle Heimmisere überwunden wird, ist fraglich. Auch in diesem Jahr wird Red Bull das entscheidende Quäntchen abgebrühter sein und am Ende ungefährdet mit 2:0 die Punkte nach Sachsen mitnehmen.

Uwe Pirl: Wenn es schlimm kommt, kommt es richtig schlimm - für die Getränkevertriebler. Borussia gewinnt 5:1, sorgt also für 10 Gegentore in einer Woche und stopft den Größenwahnsinnigen erstmal das Maul. Ach ja: Danke ManUnited!

Mike Lukanz: Das 2:2 gegen Madrid war ein Nackenschlag, ohne Frage. Das Gute ist, dass auch die Marketingmannschaft einen vor den Latz bekommen hat, und das ziemlich heftig. Wenn es Borussia schafft, dem Gegner, der sicher mit Schaum vorm Mund das Spiel beginnen wird, den Nerv zu ziehen, spricht alles für umkämpftes 1:1. Nach 1:0-Führung, versteht sich. Darauf einen Ouzo.

Michael Heinen: Borussia gelingt es leider erneut nicht, ohne Gegentor zu bleiben. So reicht es gegen Leipzig nur zu einem 1:1.