„Kneif mich“, „Unfassbar“, „Wahnsinn“ – die Anhänger von Borussia Mönchengladbach sparten nicht mit Superlativen, als sich ein klarer Sieg im Champions-League-Spiel bei Schachtar Donezk abzeichnete und erst recht nicht, nachdem er feststand. An einen Auswärtssieg in der Ukraine mögen manche geglaubt haben, ein 6:0 hatten aber selbst die größten Optimisten nicht auf dem Zettel, auch ein derart dominantes Auftreten der Borussia hatte kaum jemand erwartet. Wer zu Scherzen aufgelegt war, sagte, whatsappte oder twitterte nach dem Abpfiff „Das ist nicht mehr meine Borussia“- und in der Tat, ein solches Spiel gegen einen Gegner, der nicht aus dem Bremer Amateurfußball kommt, hat es lange nicht gegeben.

Wie konnte das passieren? Der Matchplan wars, sagte nach der Partie ein gut aufgelegter Christoph Kramer. Marco Rose und sein Team hätten die Spielweise von Schachtar Donezk entschlüsselt und Wege ertüftelt, hinter die eher hoch stehende Abwehrreihe des ukrainischen Meisters zu kommen. Das habe die Mannschaft erfolgreich umgesetzt – mit Chipbällen und über die Außen – und so den Erfolg gesichert. Ganz augenscheinlich stimmt das, die Analyse gibt gut wieder, was auf dem Platz in Kiew geschehen ist. Borussia spielte aber auch in der Gegenrichtung Rose-Fußball wie gemalt: Frühes Anlaufen, unermüdliches Attackieren des Gegners schon im Mittelfeld oder noch weiter vorne. Schachtar Donezk fand zu keiner Zeit wirklich ins Spiel.

Lag das, wie Kramer und Lars Stindl nach dem Spiel meinten, an den langen Ballbesitzphasen der Gladbacher? Ein Blick auf die Spielstatistik zeigt erstaunliche 54 Prozent Ballbesitz für Donezk, dazu eine Passquote von 89 Prozent. Diese Zahlen sind aber eher ein Zeichen der Ratlosigkeit des Gastgebers, der es selten in die Nähe des Gladbacher Tores schaffte, kaum einen richtigen Spielzug zustande brachte. Die Zweikampfquote – 52 zu 48 pro Schachtar – führt vollends in die Irre. Nahezu jeden wichtigen Zweikampf gewannen die Gladbacher. Und so stehen am Ende nicht nur 6:0 Tore sondern auch 20:4 Torschüsse. Donezk war – das muss man sagen, ohne die Leistung der Borussia schmälern zu wollen – einfach sehr sehr schlecht an diesem Dienstagabend. Das Team ging behäbig zur Sache, wenig konzentriert, ideen- und kraftlos. Von Beginn an wunderte man sich als Beobachter, wie wenig die Ukrainer anboten, zeitweise hatte es schon in den ersten zwanzig Minuten etwas von einem Trainingsspiel, bei dem die Gäste ihr Ding durchziehen konnten, wie es ihnen gefiel.

Dazu war es ein Abend, an dem eben einfach alles passte. Die von Christoph Kramer erwähnten Chipbälle landeten überwiegend da, wo sie sollten. Das Spiel über Außen funktionierte, weil sich den Herren Lainer und Bensebaini kaum jemand in den Weg stellte. Der Bilderbuchangriff zum 1:0 – toller Pass von Neuhaus, brillantes Auge von Lainer, cooler Abschluss von Plea – war der frühzeitige „Dosenöffner“, dass dann Schüsse wie der abgefälschte zum 2:0 und der mutige zum 3:0 wirklich reingehen, ist am Ende natürlich auch ein bisschen Glück.

Nicht hoch genug zu bewerten ist die Souveränität, mit der Borussia das nach dem 3:0 im Grunde entschiedene Spiel dann zu Ende brachte. Mitnichten spielte die Mannschaft sich zu irgendeinem Zeitpunkt „in einen Rausch“, obwohl das sicher einige Kolleg*innen heute schreiben werden. Stattdessen blieb man 90 Minuten bei der Sache, aufmerksam, nicht übermütig und das Verwalten nicht übertreibend. Am Ende präsentierte sich Donezk wie ein unterwürfiger Hund und schenkte nahezu jeden Ball her. Ein 8:0 für Borussia war eher im Rahmen des Möglichen, als am Ende noch ein Gegentor zu kassieren.

Das sachliche Auftreten auch im Angesicht eines Kantersieges lässt hoffen: Darauf, dass man bei Borussia jetzt nicht abhebt. Es war ein toller Abend, es waren drei wichtige Punkte und möglicherweise entscheidende Treffer für das Torverhältnis. Borussia darf und wird aber nicht den Fehler machen, das Spiel gegen Donezk als Blaupause für weitere Auftritte zu verwenden. Einen so wehrlosen Gegner wird es weder in der Bundesliga noch in der Champions-League noch häufig geben. Die Partie war – Spielsystem entschlüsselt hin oder her – nicht repräsentativ für das Leistungsvermögen von Schachtar. Spielsysteme lesen können sie auch in der Ukraine. Im leeren Borussia-Park trifft man sich in drei Wochen wieder, und das kann, das wird ein ganz anderes Spiel werden. Immerhin: Bei einem perfekten Verlauf – also einem erneuten Sieg von Real Madrid über Inter Mailand - kann Borussia dann das Überwintern im internationalen Geschäft schon klar machen und sich alle Chancen auf das Achtelfinale der Champions-League bewahren