dortmund neuZumindest die Optimisten unter den Hardcore-Fans berücksichtigen bei der Jahresplanung auch den Fußballrahmenkalender. Urlaub oder Hochzeitsfeier sollten besser nicht mit dem Tag des Pokalfinales kollidieren, denn – so unwahrscheinlich es auch erscheinen mag – wäre es doch zu ärgerlich, wenn man statt nach Berlin, Berlin, zu fahren gerade in einer Finca in Mallorca sitzt oder dem eh schon nervigen Schwiegervater bei seiner großen Rede beim Hochzeits-Bankett zuhören muss. Unter Gladbachfans schienen nach der Auslosung der zweiten Pokalrunde jegliche Terminprobleme dieser Art gelöst zu sein: den 23. Mai 2020 konnte man getrost verplanen. Ein einziges Mal hatte man in den vergangenen 20 Jahren in Dortmund gewinnen können, zumeist gab es durchaus heftige Niederlagen, typischerweise noch gekrönt von einer Galavorstellung des einstigen Gladbachhelden Marco Reus. Ganz oberflächlich betrachtet wurde dieses Klischee vor nur 10 Tagen auch noch bestätigt, als es natürlich Reus war, der den Dortmunder 1:0 Siegtreffer erzielte.


Und doch erscheint so vieles gänzlich anders als noch bei der Auslosung vor gut 2 Monaten. Damals fremdelte der VFL ein wenig mit dem neuen System von Marco Rose, wirkte zwar durchaus engagiert, aber auch seltsam steif und verkrampft. Stück für Stück entwickelte sich aber etwas und zumindest in der Bundesliga überzeugt die Borussia nun schon seit Wochen und findet sich durchaus verdient auf Tabellenplatz 1 wieder.


Beim BVB lief es zuletzt ziemlich entgegengesetzt. Vor der Saison von vielen als Meisterschaftsfavorit Nr. 1 gehandelt (vor allem auch Vereinsintern), dümpelt man seit dem 4:0 Sieg gegen Leverkusen am vierten Spieltag in der Liga so herum. Abgesehen vom Sieg im Borussen-Duell spielte man zuletzt viermal Unentschieden gegen Mannschaften die im Vorjahr die Plätze 7,8,13 und 14 belegten. Was zuerst nur nach wiederholtem Spielpech aussah, hat sich mittlerweile nicht nur Ergebnis-technisch in eine leichte Krise verwandelt. Die Mannschaft wirkt angesichts ihres Potenzials teilweise lethargisch, konnte in den letzten beiden Pflichtspielen kein einziges Tor erzielen. In Mönchengladbach wird es niemanden groß wundern, dass ein Lucien Favre Team auch mal solche Phasen hat. Wenn alles passt, kann der Schweizer Taktik-Tüftler eine Elf konstruieren, die nicht nur schwer zu schlagen ist, sondern auch begeisternden Fußball liefern kann. Läuft aber nur ein Rädchen nicht so rund, kann die Favresche Passmaschine auch schnell ins Stottern kommen. In Gladbach erlebten wir das zu Ende der Saison 2011/12, als man nach 22 Spieltagen schon als Mitfavorit auf den Titel galt, dann aber nur noch 3 Siege aus 12 Spielen holte. Oder auch im Winter 2013/14 als 9 sieglose Spiele in Folge das Aus der CL-Träume bedeuteten. In jenen Phasen stand zwar das taktische Gerüst weiterhin, aber es fehlten Tempo und Kreativität. Auch hier auf Seitenwahl wurde dann nach dem "Plan B" gefragt: Warum nicht mal Standards üben, statt auch in der 93. Minute bei Rückstand kurze Ecken auszuführen? Warum wechseln wir so spät? Kann der Trainer die Jungs nicht mal in der Kabine so richtig heiß machen? Wir haben das nicht vergessen und können somit den momentanen Dortmunder Frust gut verstehen. Allerdings wissen wir auch, was möglich ist unter einem Trainer wie Lucien Favre, wenn man ihm das Vertrauen und die nötige Zeit gibt. Sollte das den Dortmundern aber zu mühselig erscheinen, kennen wir ein hervorragendes Medikament für ihre Malaise, welches in Pilotstudien kurzfristig sehr gute Resultate gezeigt hat: Es heißt Andre Schubert (wir empfehlen jedoch dringend das Kleingedruckte auf dem Beipackzettel zu den Nebenwirkungen zu lesen!).


Zumindest personell müssen sich die Ruhrpöttler keine großen Sorgen machen. Der einzige fehlende Schlüsselspieler ist der noch rekonvaleszente Paco Alcacer, während Mario Götze nach einer Handverletzung wieder einsetzbar erscheint. Etwas heikler sieht das bei der echten Borussia aus, bei der am Sonntagabend Embolo und Jantschke das eh schon beachtliche Lazarett vergrößerten und vermutlich am Mittwoch ebenso fehlen wie Alessane Plea und Matthias Ginter (Strobl, Johnson, Raffael, Traore wollen wir erst gar nicht erwähnen, damit das hier nicht ausartet). Wie sich das auf die Aufstellung auswirkt, wird man sehen. Nach dem Ausfall von Plea und Embolo scheint Patrick Herrmann neben Thuram offensiv fast gesetzt zu sein. Gut vorstellbar, dass Kramer und Bensebaini wieder für Neuhaus und Wendt in die erste Elf rücken. Auch Stindl oder Hofmann könnten aufgrund der personellen Lage früher zu einem Startelf-Einsatz kommen als ursprünglich geplant. In der Innenverteidigung darf man wohl Jordan Beyer als Jantschke/Ginter-Ersatz erwarten.


Trotz der zahlreichen Ausfälle verspürt man einen ungewohnten verhaltenen Optmismus vor der kurzen Reise in den Signal-Iduna-Park. Es ist dabei nicht unbedingt der Tabellenstand, der dafür verantwortlich ist. Auch im Vorjahr stand man im Herbst als Zweiter lange Zeit hervorragend da, aber was neu ist, ist eine gewisse Robustheit und Widerstandsfähigkeit in der Mannschaft, die gerade bei einem so schwierigem Spiel wie dem in Dortmund in den vergangenen Jahren oft fehlte. Natürlich bleibt der BVB Favorit: Die Mannschaft ist erstklassig besetzt, spielt daheim und sollte ein DFB-Pokal-Spiel genau der Adrenalinstoß sein, den die Schwatzkelben brauchen könnte angesichts der Besetzungsprobleme in der eh nicht immer sattelfesten Gladbach Defensive auch wieder mal ein klarer Dortmunder Sieg dabei herauskommen. Aber angesichts all der oben diskutierten Entwicklungen der letzten Wochen, scheint ein echter und offener Pokalfight die wahrscheinlichere Option. Die Reise nach Mallorca bzw. die Hochzeit sollte man auf jeden Fall nicht vorm späteren Mittwochabend terminieren.

Seitenwahl-Tipps:


Claus-Dieter Mayer: Später mal wird man diskutieren, ob die Schlacht von Dortmund der Borussia mit den Verletzungen von Thuram und Benes womöglich den Meistertitel gekostet hat, aber für den Moment wird sich der 2:1 Sieg nach Verlängerung großartig anfühlen.


Uwe Pirl: Die richtige Borussia kriecht auf dem Zahnfleisch und schafft nicht noch einmal eine Energieleistung wie in den letzten beiden Spielen. Deshalb gewinnt die falsche Borussia 2:0.


Michael Heinen: Seit Jahren gibt es für Borussia in Dortmund leider nichts zu holen. Selten waren die Vorzeichen aber so günstig wie jetzt. Borussia ist gut in Form, während der BVB taumelt und Favres Aus nur noch eine Frage von Stunden zu sein scheint. Durch den überzeugenden 3:1-Auswärtssieg seiner Borussia am Mittwoch wird der Schweizer vom schwarz-gelben Joch befreit und darf sich endlich wieder einen Verein suchen, der seine Qualitäten zu würdigen weiß.


Christian Spoo: Die Vorzeichen sind günstig, Borussia kommt mit Rückenwind, der Ballspielverein ist verunsichert. Aber dann läuft es doch wie immer: Irgendwann trifft Reus und das reicht dem Ballspielverein zum glanzlosen Weiterkommen.


Mike Lukanz: Herrje. Man ist ja fast geneigt, auf Auswärtssieg zu tippen. Zu verlockend ist das Ganze. Aber jahrzehntelange Prägung lassen mich weiter vorsichtig sein. Tabellenführer ist super, auf auswärts in Dortmund im Pokal? Wenn das auch noch gelingt, werde ich mentale Schwierigkeiten bekommen. Gladbach verliert unglücklich mit 1:2.

Thomas Häcki: Man möchte meinen, dass die Zeit reif ist, die Ekel-Cousine aus Westfalen aus dem Pokal auszuladen. Wenn nur nicht die Verletzungsmisere wäre. So scheitern wackere Fohlen denkbar unglücklich erneut mit 0:1