Seitenwahl 26Borussia Mönchengladbach ist auch nach dem 9. Spieltag und dem 4:2 gegen Eintracht Frankfurt Tabellenführer. Statistiker haben ermittelt, dass dies über drei Spieltage hinweg zuletzt in der Saison 76/77 der Fall war, in der Gladbach das letzte Mal Meister wurde. Also in einer Zeit vor meiner bewussten Erinnerung an Borussia, um mal die Dimension des ganzen klar zu machen. Nun ist es natürlich angesichts der extrem geringen Punktabstände in der Spitzengruppe vollkommen absurd, die Elf vom Niederrhein zum Meisterschaftsfavoriten zu erklären. Allerdings sollten sich auch Berufspessimisten mit dem Gedanken vertraut machen, dass die Tabelle nicht lügt, sondern dass das Team momentan genau dort steht, wo es hingehört: Das Team hat die meisten Siege aller Bundesligisten eingefahren, das Team hat nach Bayern München die beste Tordifferenz, es hat nach Bayern und Dortmund die meisten Tore geschossen und hinter Wolfsburg, jedoch gleichauf mit Schalke die wenigsten Gegentore zugelassen. Alle Fundamentaldaten deuten also darauf hin, dass die Mannschaft nicht zufällig an der Spitze steht.

Die Reaktionen, die mich während des gestrigen Spiels erreichten, schwanken – selbstverständlich teilweise nicht ganz ernst gemeint – zwischen ungläubiger Euphorie („Das ist nicht mehr meine Borussia. Und das ist geil!“) und dem urborussischen Schutzreflex, selbst unzweideutige Erfolge angesichts des vermeintlich unzweifelhaft bevorstehenden Einbruchs relativieren zu müssen („4:2 ist ja gut und schön. Aber Dieter hat als Spitzenreiter 6:2 gewonnen. Mein ja nur...“).   

Welche Erkenntnisse bietet der Fight gegen Frankfurt noch? Kurze Thesen:

Borussia kann nicht nur Fußball spielen, sondern auch Fußball kämpfen (dass ausgerechnet Patrick Herrmann von einem Fernsehkommentator das Attribut „Kampfschwein“ angehängt bekommt, hätte er sich vermutlich nicht träumen lassen). Gelingt es wie gestern, Kampf und Spiel zu kombinieren, ist das ein äußerst attraktives Gesamtpaket.

Am Anfang der Saison wirkte das Spiel von Borussia so, als würden mehrere Module neu zusammengesetzt. Mal funktionierte das eine, mal das andere, nie aber alle gleichzeitig. Gegen Wolfsberg fielen sogar alle gleichzeitig aus. Mittlerweile häufen sich die Spiele, in denen man das grundsätzliche Funktionieren aller Module sehen kann. Das macht Spaß!

Wir haben mit Benes endlich wieder einen Spieler in unseren Reihen, der vernünftige Standards schießt. Der perfekt auf Elvedis Kopf getimte Freistoß zum 3:1 war einfach nur schön anzusehen.

Lars Stindl kann und wird der Baustein sein, der bei gleicher Grundaggressivität wie sie Embolo und Thuram mitbringen, dem Spiel deutlich mehr Struktur verleiht. Schon in der vermutlich noch nicht komplett fitten Verfassung vom Sonntagabend war das ein beeindruckender Auftritt. Für mich der Spieler des Spiels.  

 

Die SEITENWAHL-Einschätzung:

Michael Heinen: Auf 12 Heimsiege in Serie folgten 11 erfolglose Spiele zuhause. Jetzt sind es schon wieder drei Siege am Stück im Borussia-Park, wo die Mannschaft unter Marco Rose endlich wieder eine Macht ist. Stark, wie sie gegen die im zweiten Spielabschnitt immer stärker werdenden Frankfurter dagegen hielt und am Ende den verdienten Dreier sicherte.

Christian Spoo: Was für ein tolles Fußballspiel. Zeitweise spannender, als es sein musste, aber dass Borussia sich nach den Anschlusstreffern immer weiter machte, und das auch noch mit Erfolg, fühlt sich unbekannt und gut an. Vielleicht lügt die Tabelle ja doch nicht.

Mike Lukanz: Einen ganzen Monat Tabellenführer! Ich gebe zu, dass ich noch nicht weiß, wie ich damit umgehen soll. Egal, die Momente, in denen Borussia sehr unborussisch agiert, häufen sich. Lasst uns das noch ein wenig genießen, so lange es geht.

Thomas Häcki: Das die Borussia Fussball spielen kann ist bekannt. Das sie Fussball kämpfen kann ist noch etwas ungewohnt. Gestern Abend dürfte deutlich geworden sein, wie man sich die Zukunft vorstellt.  Es bleibt zu hoffen, dass sich die Verletzungsmisere nicht ausweiten.

Claus-Dieter Mayer: In den Vorjahren wirkte es oft so, als ob da Frankfurter Männer gegen Gladbacher Bubis spielten. Zumindest wenn der wunderbare Marcus Thuram involviert war, sah das gestern Abend eher umgekehrt aus. Wenn sich die neue Gladbacher Aggressivität und Körperlichkeit auch noch mit der traditionellen Freude am schönen Kombinationsspiel vermischt wie in diesem Spiel, dann macht die Borussia einem richtig Spass.