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Selten war der Pessimismus vor einem Heimspiel gegen eine auf dem Papier deutlich schwächere Mannschaft so ausgeprägt. Selten hatten Borussias Fans mehr Manschetten vor einer über Kampf und Leidenschaft kommende Mannschaft, wie an diesem Samstag vor dem VfL Bochum. Umso ausgelassener die Freude über einen zumindest in Zahlen deutlichen Sieg gegen die Mannschaft, die vor Wochenfrist noch den deutschen Rekordmeister bezwungen hatte. Viel Wichtiger aber: Borussia hatte gefühlt zum ersten Mal seit Menschengedenken dem Bochumer Kampf Gladbacher Kampf und der Bochumer Leidenschaft Gladbacher Leidenschaft entgegenzusetzen. 

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Beim Blick auf die Startaufstellung noch hatten nicht wenige die Augen verdreht: Erneut setzte Gerardo Seoane auf Florian Neuhaus statt auf Rocco Reitz. Ausgerechnet gegen die Kampfschweine aus Bochum sollte das Gladbacher Kampfschwein draußen bleiben, stattdessen der zur Pomadigkeit neigende Schönspieler Neuhaus, körperlich zudem ein „Hemd“ das Spiel ankurbeln. Umso erstaunter und erfreuter konnte man dann zur Kenntnis nehmen, dass auch Florian Neuhaus zur Leidenschaft fähig ist. Entschlossen im Zweikampf, keine Angst vor Härte, dicke Lippe als der stets überforderte Schiedsrichter Jablonski im Begriff war, Neuhaus sein sehenswertes Tor zum vermeintlichen 3:0 zurückzunehmen und dann die Auseinandersetzung mit Kevin Stöger. Neuhaus fuhr dem Bochumer Kapitän an der Mittellinie robust in die Beine, der revanchierte sich mit einem deftigen Schubser. Die Gelbe Karte für Neuhaus war korrekt, die Revanche von Stöger hätte man durchaus als Tätlichkeit werten können. So unschön die Szene und so wenig notwendig die Grätsche war, zeigte die Szene doch eins: Neuhaus war on fire. So hat man ihn in Gladbach selten oder noch gar nicht erlebt. Wird der Mann mit der 10 am Ende doch noch so etwas wie die Führungsfigur, die man bei Borussia gerne in ihm sähe? Ein Spiel ist da sicher nicht mehr als ein Fingerzeig, was möglich wäre. Aber zumindest zeigt der Auftritt gegen Bochum, dass man Florian Neuhaus noch nicht abschreiben sollte. 

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Aber auch vom Vize-Kapitän abgesehen lieferte Borussia kämpferisch eine Leistung, die sich sehen lassen konnte. Kein einziger der 16 eingesetzten Spieler wirkte auch nur annähernd lethargisch, teilweise schienen sie sich an der eigenen Leidenschaft zu berauschen, Beispielhaft sei Max Wöber genannt, der auch durch Mimik und Gestik zeigte, dass da ein Team auf dem Platz stand, das wollte. Und selbst als das Spiel eigentlich entschieden war, haute sich der eingewechselte Tony Jantschke in zwei Szenen noch rein, als gelte es, genau an diesem Tag in dieser Minute den Abstieg zu vermeiden. In der Tat hatte der Abstiegskampf für Borussia gefühlt nach dem lausigen Heimspiel gegen Darmstadt begonnen. An diesem Tag vor zwei Wochen hatte man nicht das Gefühl, die Mannschaft habe begriffen, was die Stunde geschlagen hat. Als einige Spieler die wirklich erbarmungswürdige Leistung mit Sätzen wie „eigentlich haben wir es nicht schlecht gemacht“ zu relativieren, spätestens da wurde es dem geneigten Beobachter Angst und Bange. Auch nach der jederzeit ungefährdeten Niederlage gegen Leipzig schien Schönreden das Gebot der Stunde zu sein. Umso bemerkenswerter, dass irgendwann innerhalb der letzten Woche der Schalter gefunden worden zu sein scheint, den es umzulegen galt, um den Abstiegskampf mit Betonung auf der letzten Silbe anzunehmen. 

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Aber singen wir das Loblied auf die neu entdeckten Qualitäten nicht zu laut. Wie schon zu Florian Neuhaus geschrieben gilt auch für die ganze Mannschaft:  Ein Spiel ist nicht mehr als ein Fingerzeig, was geht. Ob die Herren das auch weiter und regelmäßig auf den Platz zu bringen gewillt sind, ist eine andere Frage. Dass Gerardo Seoane nach dem Spiel gefragt wurde, ob das der kürzeste Abstiegskampf der Bundesligageschichte gewesen sei, lässt einen gleich wieder mit den Zähnen knirschen. Denn wenn das die Erzählung ist, auf die die Mannschaft sich jetzt – explizit oder einfach nur im Hinterkopf – einigt, dann stehen wir in zwei Wochen wieder da, wo wir vor Bochum standen. In der Tabelle sind alle nah beieinander, Mainz scheint wieder zu kommen. Platz 16 ist für Borussia nicht außer Reichweite. Und auch gegen Bochum war nicht alles Gold: Zu einfach fängt die Mannschaft weiterhin Gegentore, zu oft ist die Zuordnung im eigenen Strafraum unklar, auch wenn man beim ersten zählenden Gegentor das slapstickartige Zustandekommen die Abwehr ein wenig aus der Verantwortung nehmen sollte. Zu oft sieht man erstaunliche Timing-Probleme im Luftkampf. Zu oft Orientierungslosigkeit in „Gewühl“-Situationen. Immerhin hat man sich auch gegen Bochum drei Gegentreffer gefangen, hätte der erste gezählt, wir hätten womöglich ein völlig anderes Spiel gesehen. 

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Auf der Habenseite sind drei mit „Männerfußball“ erkämpfte Punkte und ein paar Erkenntnisse, die vielleicht weiterhelfen: Stevie Lainer hat Luft für 90 Minuten und ist exakt die Sorte Spieler, die wir im Moment brauchen. Joe Scally ist links hinten zumindest nicht schlechter als rechts hinten und als Luca Netz (zumindest defensiv). Franck Honorat ist ein echter Faktor, wenn er nicht als verkappter Verteidiger verheizt wird. Nathan Ngoumou hat, ähnlich wie Florian Neuhaus, das Potenzial, mehr zu sein als ein Schönwetterkicker. Und: Gut, wenn man Spieler wie Rocco Reitz im Petto hat, den man zu einem entscheidenden Zeitpunkt ins Spiel werfen kann und der sofort von 0 auf 100 geht. 

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So wünscht man sich, die Mannschaft möge den Geist von Bochum konservieren und mit nach Mainz nehmen – und dann gegen Köln nochmal einen raushauen. Das Spiel gegen Bochum war "Männerfußball", leicht verschämt in Anführungszeichen in Ermangelung einer besseren Bezeichnung. Nicht in Abgrenzung zum Frauenfußball - der häufig viel mehr das ist, was mit "Männerfußball" gemeint ist. Aber genau so, wie Borussia gegen Bochum, muss man im Abstiegkampf auftreten. Wenn man dann die Qualitäten auf den Platz bringt, die die Mannschaft von anderen Teams, die unten stehen, abhebt - Tempo, gelegentliche Spielkunst - dann sind vier bis sechs Punkte in den kommenden 14 Tagen möglich. Danach können wir uns unserethalben über das Ende des Abstiegskampfes unterhalten, aber keine Minute vorher.