dortmund neu

Ist man nicht gerade Fan der deutschen Nationalelf (gibt es diese Fans überhaupt noch?), haben solche Länderspielpausen ja durchaus auch was für sich. So kann man z.B. ganz entspannt Freizeit mit der Familie genießen, ohne Angst haben zu müssen, dass zwei kurze Stunden zwischendurch einem komplett das Wochenende verhageln. Besonders nett ist das natürlich, wenn man in diese Bundesligafreie Zeit mit einem 4:0 Heimsieg gegen solch einen Kackverein wie den VFL Wolfsburg geht und damit zum ersten Mal seit Februar des Jahres wieder in der vorderen Tabellenhälfte steht. Noch besser wird es dann, wenn zwischendurch ein Eigengewächs wie Rocco Reitz soeben mal zwei Tore für die U21-Nationalelf erzielt und wenig später noch Stefan Lainer nach Krebstherapie wieder ins Mannschaftstraining zurückkehrt. Soviel Feelgood-Faktor gibt es sonst nur noch, wenn das Fernsehen zur Weihnachtszeit reihenweise Filme von Richard Curtis (4 Hochzeiten und ein Todesfall, Notting Hill, Liebe tatsächlich usw..) ausstrahlt. Damit die gute Laune aber nicht gänzlich überhandnimmt, hat sich der Spielplan für das kommende Wochenende ganz perfide ausgerechnet Borussia Dortmund als Gegner ausgesucht.

Das ist nicht nur ernüchternd, weil Dortmund faktisch einfach eine (ruhr-)potthässliche Stadt ist und jegliches dort produzierte Bier eher ein Fall für den Abfluss ist. Und auch nicht nur, weil der dort ansässige Fußballverein aus irgendeinem Grund meint, man sei nun eine besonders heiße Adresse im Weltfußball, während ja jeder Gladbach-Fan weiß, dass 5 Bundesligameisterschalen und zwei Europapokale eher Standardausstattung der Vitrine jedes halbwegs respektablen Fußballvereins sind und absolut kein Grund darstellen, einen auf dicke westfälische Fresse zu machen. Nein, was die Trips nach Dortmund in der jüngeren Vergangenheit so besonders unangenehm gemacht hat, ist die komplette Erfolglosigkeit die dabei für den VFL mit einherging. Seit dem Frühjahr 2014 hat Gladbach in Dortmund 10 mal in Folge in Pflichtspielen (9 mal Liga, 1 mal Pokal) verloren mit einem Torverhältnis von 6:34. Das ist besonders bitter, wenn man betrachtet, dass es diese knapp 10 Jahre überwiegend gute Zeiten für die Borussia waren. Es waren eben nicht Strasser, Pletsch, Ulich und Co die sich dort eine Klatsche nach der anderen geholt haben, sondern Spieler wie Arango, Raffael, Stindl, Thuram, Sommer, usw. Angesichts der Tatsache, dass mit dem jetzigen Kader das nominell schwächste Gladbach seit Jahren nach Dortmund trottet, ist man geneigt das Spiel schon vor Anpfiff abzuschreiben.

Das mag jedoch etwas voreilig sein, denn beide Borussias liefern ein paar Gründe, warum man aus Gladbach-Sicht nicht komplett defätistisch in diese Partie gehen sollte. Mal abgesehen von der ansteigenden Formkurve ist da beim VFL die Torgefährlichkeit zu nennen. In 5 Auswärtsspielen erzielte die Fohlenelf bislang beeindruckende 14 Treffer (nur Hoffenheim und Bayern haben jeweils ein Tor mehr erzielt). Zum einen fallen diese Tore oft durch schnelle Vorstöße, bei denen vor allem die Sprintstärke von Honorath oder auch Ngoumou (wenn er denn spielt) von Nutzen sind, was gegen die schwerfällige Altherren-Innenverteidigung des BVB ein durchaus probates Mittel zum Erfolg sein könnte. Zum anderen ist die Gefahr durch Standardsituationen hervorzuheben, denn die gibt der Borussia die Möglichkeit, auch in Situationen, wo das Spiel eigentlich gegen das Team läuft, quasi aus dem Nichts doch ein Tor herbei zu zaubern.

Auf BVB-Seite sind die Dinge komplex: Bis zum Spiel gegen Bayern konnten die Dortmunder im Kalendar-Jahr 2023 eine beeindruckende Bilanz von 20 Siegen, 7 Unentschieden und nur einer einzigen Niederlage vorweisen. Seitdem  gab es aber 2 Niederlagen, wobei die gegen Bayern vielleicht verschmerzbar aber etwas hoch war, und die in Stuttgart einfach nur hochnotpeinlich (xGoals laut understat.com: 4.17:0.76, und das beim Duell Fastabsteiger gegen Fastmeister). Die “ok, zwei Ausrutscher aber insgesamt alles noch im Lot”-Fraktion hat es dabei nicht leicht, denn auch die 9 Auftritte ohne Niederlage zuvor waren nicht sonderlich überzeugend. Ja, es gab z.B. 4 Heimsiege, aber 3 davon endeten mit einem mageren 1:0. Man vergleiche das mit den Auftritten im Frühjahr wo man Frankfurt, Wolfsburg und Gladbach leichter Hand mit 4:0, 6:0 und 5:2 abfertigte (nur gegen Mainz im letzten Spiel klappte das nicht so ganz, wie schade, hihi). Leicht wirkt nichts mehr beim BVB im Herbst 2023. Das fängt bei der kollektiv hüftsteifen Defensive an und endet in der individuell ordentlich besetzten Offensive, die aber großteils strukturlos daher spielt und meist nur durch individuelle Klasse Gefahr erzeugt. Und im Gegensatz zu den Vorjahren hat der BVB auch keinen Superstar der Kategorie Sancho, Haaland oder Bellingham mehr, sondern nur eine uninspiriert zusammengestellte Ansammlung von talentierten aber sehr inkonstanten Kickern der Marke Brandt, Adeymi oder Bynoe-Gittens unterstützt von Profis im Vorruhestand wie Hummels oder Reus. Ach ja, und in diesem seltsamen Konglomerat darf natürlich auch nicht der diesjährige Ex-Gladbacher, der wieder nichts in Dortmund reisst (vgl. Dahoud, Schulz, Hazard,…), fehlen: Ramy Bensebaini!

Es lastet somit eine Menge Druck auf den Dortmundern, vor allem angesichts der Tatsache, dass die Gegner in den Pflichtspielen darauf AC Mailand, Bayer Leverkusen, VFB Stuttgart (Pokal auswärts), RB Leipzig und Paris Saint-Germain. Sollt man gegen Gladbach patzen, könnte es daher schneller “Aufwieterzic” heißen als Hans-Joachim Watzke “Urs Fischer” sagen kann (was übrigens eine wundervolle Fehlbesetzung wäre). Insofern kann man schon ein bisschen Hoffnung, dass eine sich wehrende Borussia, die auch selbst hier und da Gefahr erzeugt, ein eh schon selbst zweifelndes Dortmund durchaus ärgern könnte.

So vielversprechend das in der Theorie klingen mag, gibt es da in der Praxis leider auch das Problem, dass Gladbach nun schon in 3 von 5 Auswärtsspielen (Darmstadt, Köln, Freiburg) den Start komplett verschlafen hat und sich von einem druckvoll startenden Gegner hat überrennen lassen. Nun hat man aus diesen 3 Spielen immerhin noch 2 Unentschieden mitnehmen können, aber ein ähnlich müder Beginn in Dortmund würde angesichts der Klasse des Gegners wohl eher wieder zu einer jener Klatschen der Vorjahre führen und den eigentlich schon etwas toten BVB unnötig wiederbeleben.

Personell gibt es relativ wenig zu diskutieren, da die Länderspielpause erfreulicherweise ohne Verletzung oder Ausfälle ablief.  Die erfolgreiche Mannschaft vom Wolfsburg-Spiel sollte auch in Dortmund erste Wahl sein. Einzig mit dem wieder ins Training eingestiegenen Jordan gibt es ein Fragezeichen, welcher von beiden sich in guter Form befindlichen Mittelstürmern denn nun ran darf. Seoane beantwortete dies in der Pressekonferenz salomonisch, als er meinte, er würde beide bringen “Den einen zuerst, den anderen danach, vielleicht eine Phase zusammen…”

Beim Ballspielverein aus Dortmund fällt Nmecha für längere Zeit aus (nein nicht wegen akuter Homophobie, sondern anscheinend wegen einer Hüftverletzung), aber ansonsten hat Edin Terzic so ziemlich freie Wahl der Qual.

Zusammenfassend kann man feststellen, dass wie so oft bei der Borussia in diesen Tagen uns ein Spiel der Sorte Wundertüte bevorsteht, bei dem am Ende so ziemlich alles herauskommen kann. Die Bedeutung des Spiels für den BVB haben wir schon zur Genüge betont, aber auch für den VFL kann die Partie richtungsweisend sein. Nachdem man gezeigt hat, dass man mit Abstiegskandidaten wie Bochum, Heidenheim oder Wolfsburg (willkommen, da unten, Niko!) klarkommt, so wäre was Zählbares in Dortmund ein starkes Signal, dass die Reise in dieser Saison doch nicht in Richtung Abstiegskampf, sondern gen ruhigere Gefilde geht. Die traditionelle Abreibung hingegen wäre ein arger Dämpfer für den zarten Optimismus der letzten Wochen.

Seitenwahl-Tipps:

Claus-Dieter Mayer: Die Überraschung des Spieles ist nicht so sehr, dass die Fohlen den BVB zu Beginn kalt erwischen, sondern dass sie es am Ende tatsächlich schaffen, den Vorsprung irgendwie ins Ziel zu retten: 2:1 für die wahre Borussia.

Christian Spoo: Borussia fährt selbstbewusst zu angeknacksten Dortmundern. Borussia fährt angeknackst von selbstbewussten Dortmundern weg. 3:0 für den Ballsportverein von 1909.

Michael Heinen: In den letzten 9 Bundesliga-Partien im Signal-Iduna-Park blieb Borussia ohne jeden Punkt bei einem Torverhältnis von 5:32. Im (gerundeten) Durchschnitt entspricht das jedes Jahr einer 1:4-Niederlage. Positiv ausgedrückt schlägt sich Borussia mit der 1:3-Pleite in diesem Jahr überdurchschnittlich gut.

Uwe Pirl: Wie so oft liefert Borussia die besten Leistungen in Spielen gegen favorisierte Teams ab. Ebenso oft hatte Marco Reus was dagegen, dass Borussia bei Borussia punktet. So auch dieses Mal. Großer Kampf. 1:0 verloren. Tor Reus.

Michael Oehm: Was, wenn es doch an meinen Tipps liegt? Zur Sicherheit: Dortmund bisher mit deutlich mehr Punkten als verdient. Jetzt ist es Zeit für ein 0:2 nach großem Kampf und einem erfolgreichen Konter tief in der Nachspielzeit.