„Aber wir haben mit ihm die Champions League erreicht“. Ja, das stimmt und das wird das sein, das wohlmeinende Fans von Borussia Mönchengladbach zur Verteidigung vorbringen werden, wenn die Frage aufkommt, ob man sich über den Abgang von Marco Rose nach nur zwei Jahren als Trainer von Borussia ärgern muss, darf oder sollte, und wenn ja, wem man den Lauf der Dinge vorwerfen kann. Die erste Saison unter Marco Rose war eine gute. Wochenlang Tabellenführer und am Ende das Erreichen der Champions League, da kann man den zwischenzeitlichen Einbruch in der Rückrunde gerne den Umständen zuschreiben. Unter dem Strich war das gut.

Aber ist es das, was Max Eberl und seine Mitstreiter im Auge hatten, als sie sich nach der zähen Heckingzeit (zu Recht) von einem soliden aber wenig visionären Trainer trennten? Man möchte es nicht hoffen und landet doch umgehend bei der Frage, warum es dann Marco Rose sein musste. Freilich: Der galt wegen seiner Erfolge in Salzburg als der „heiße Scheiß“ auf dem Trainermarkt und bei Borussia konnte man sich auf die Schultern klopfen, für diesen aufstrebenden Übungsleiter ein Schritt auf dem Weg nach oben sein zu können. Das aber ist ein Bruch mit der immer wieder vorgetragenen eigenen „Philosophie“ der Kontinuität und ein erstaunliches Sichkleinmachen – mit der Folge, dass man jetzt in der öffentlichen Wahrnehmung genau so dasteht: Klein.

Offiziell hieß es, man wolle etwas aufbauen. Mit Marco Rose, mit seinem Trainerteam, in dem vor allem über den Taktik-Spezialisten René Maric viel gesprochen und geschrieben wurde. Einen neuen Fußballstil implementieren, gemeinsam viel erreichen. Man wollte den Kader „in den kommenden Jahren“ so umbauen, dass dieser Fußballstil perfektioniert werden kann. Das ging gut los, wie oben geschrieben. Es war aber offenkundig von Beginn an nicht auf Dauer angelegt.

 Marco Rose hatte sich, wie wir seit einigen Wochen wissen, eine Ausstiegsklausel in den Vertrag schreiben lassen. Und zwar eine, die ihm ermöglicht, den Verein nach nur zwei Jahren gegen eine, gemessen an Spielerablösesummen, geradezu lächerliche Zahlung zu verlassen – wohin auch immer es die Probstheidaer Ich-AG mit Red-Bull-Vergangenheit auch ziehen mag, und sei es ein direkter Bundesligakonkurrent. Wäre das der Punkt gewesen, an dem Borussia die Verhandlungen hätte abbrechen sollen? Eindeutig. Ab diesem Moment stand fest: Geht das Experiment Rose schief, geht es halt schief. Geht es gut, ist der Mann weg, ehe man „Borussia Mönchengladbach“ sagen kann. Marco Rose und sein Team hatten keinerlei Interesse daran, sich wirklich zu „committen“, wie es neudeutsch so unschön heißt. Und so darf man zumindest darauf hinweisen, dass im zweiten Jahr Rose schon einiger Diskussionsbedarf aufgelaufen ist. Ist es richtig, alle Kraft auf die Pokalwettbewerbe zu konzentrieren, auch wenn man in der Champions-League ohne ein Wunder nicht über das Achtelfinale hinauskommen wird und im DFB-Pokal vom Losglück abhängig ist? Der einzige Weg, wieder die Champions-League zu erreichen, die bei aller Liebe für „etwas Blechernes“ das einzige Ziel ist, das sich wirklich finanziell auszahlt, ist der über die Bundesliga. Dort aber hat es Rose nicht erst beim denkwürdigen Spiel gegen Köln sondern auch so manches Mal vorher nicht geschafft, eine schlagkräftige Mannschaft auf den Platz zu bringen. Es ist im Grunde müßig, weiter darüber nachzudenken und es wird sich niemals veri- oder falsifizieren lassen, aber das ungute Gefühl, dass da ein Trainer(team) schon viele andere Dinge im Kopf hatte, als wie man mit der Mannschaft den größtmöglichen nachhaltigen Erfolg hat, wird bei vielen nicht weggehen.

„So ist halt das Geschäft“, „es sind doch eh alles nur Passanten“ und „Reisende soll man nicht aufhalten“. Floskeln wie diese kursieren seit dem Mittag dieses Rosenmontag in Borussenkreisen, gepostet, getwittert oder gewhatsappt von denen, die sich von der ja nun auch nicht wirklich überraschenden Nachricht des Rose-Wechsels nicht die ohnehin coronabedingt mäßige Laune weiter vermiesen lassen möchten oder die ihren eigenen Zynismus in Sachen Fußball vor sich hertragen, wie eine Monstranz. Und natürlich ist das nicht ganz falsch – und trotzdem ganz falsch. Es sind so viele Worte gemacht worden, so große Erwartungen geweckt worden, als Borussia Marco Rose verpflichtete. Und die Frage aller Fragen ist: Wo hat Borussia den Bock gebaut? Hat sie tatsächlich darauf vertraut, dass es dem Team Rose am linken Niederrhein so gut gefallen würde, dass sich alle Gedanken an ein weiteres Fortkommen oder ein pralleres Portemonnaie schnell erledigen würden? Das zeugte von einer geradezu rührenden Naivität. Oder war man sich von vorneherein darüber im Klaren, dass das Kapitel Marco Rose nur eine halbe Seite in der Borussen-Chronik einnehmen würde und wollte nur einmal im Leben der Konkurrenz eine lange Nase gedreht haben, indem man den so hoch Gehandelten nach Gladbach lockt? Das wäre dann, angesichts dessen, was man öffentlich so rausgehauen hat, eine enorme Respektlosigkeit gegenüber dem eigenen Anhang. Naiv oder respektlos? Was ist schlimmer? Das wird wohl jeder Borussen-Fan für sich selbst beantworten müssen.

Fest steht: Borussia steht vor einem Neuanfang. Im Worst-Case hat der Rose-Abgang enorme Folgen über die Personalien Rose/Maric/Zickler hinaus. Ob Spieler, die bisher mit ihrer Unterschrift unter einen neuen Vertrag noch zögern, den Stift jetzt noch in die Hand nehmen? Ob Rose womöglich gar handverlesene Spieler mit zu seinem neuen Arbeitgeber nimmt und seinen Ex-Verein damit weiter schwächt? Ob sich angesichts der Erkenntnis, dass es sich bei Borussia Mönchengladbach nicht um ein aufstrebendes Projekt sondern um einen kleines, relativ wehrloses Teil der Fresskette Profifußball handelt, weiter vielversprechende Talente zu einem Wechsel dorthin entscheiden, um den „nächsten Schritt“ zu machen? Wie klein Borussia Mönchengladbach wirklich ist, das hat uns allen Marco Rose heute schmerzhaft vor Augen geführt.

Unabhängig davon, was sich nun im Hinblick auf die kommende Saison noch tut, und auch unabhängig davon, welche Lösung Borussia findet, wenn es um die Nachfolge geht, ob man erneut einen Mann holt, dessen Verpflichtung Ambitionen belegen sollen oder ob man quasi vorab die Waffen streckt und Florian Kohfeldt nimmt: Noch ist die Saison 2020/21 nicht zu Ende. „Bis dahin werden wir mit Marco gemeinsam alle Kräfte mobilisieren, um unsere Ziele in der Bundesliga, im DFB-Pokal und in der Champions League zu erreichen“, schreibt Borussia in der heutigen Pressemitteilung. Davon abgesehen, ob Rose das wirklich will und kann oder ob er den Lame-Duck-Status nicht mehr los wird, muss man fragen, ob das klug ist. In der Champions-League wird die Reise der Borussia in Manchester enden und in der Bundesliga ist man mittlerweile so weit, das Erreichen der Euro League als Erfolg werten zu müssen.  Bleibt der DFB-Pokal. Gegner: Borussia Dortmund. Eine unglücklichere Konstellation lässt sich nicht denken. Lothar Matthäus 1984 lässt grüßen. Im „echten Leben“ wird eine Führungskraft, die zu einem direkten Konkurrenten wechselt, umgehend freigestellt. Das ist im Fußball nicht die Regel, und was wäre auch die Alternative?

Aber die Wahrscheinlichkeit, am Ende mit völlig leeren Händen dazustehen, ist größer als die, die Saison noch zu vergolden oder zumindest zu verblechern. Dass die Geschichte von Borussia Mönchengladbach und Marco Rose ein versöhnliches Ende finden kann, an diesem so gar nicht lustigen Karnevalstag fehlt uns dafür die Phantasie.