Zugegeben, das sprachliche Bild hinkt etwas, weil Wagenburgen üblicherweise im freien Gelände gebildet werden und deshalb keine Zugbrücke haben. Wer die heutige Pressekonferenz mit Max Eberl und Marco Rose gesehen hat, wird dennoch verstehen, was gemeint ist.

Viel war im Vorfeld spekuliert worden. Da war von sofortiger Freistellung die Rede, von lautstarken Auseinandersetzungen zwischen Rose und Eberl, weil der neben dem „Staff“ angeblich auch noch Thuram mitnehmen wolle, von ebenso lautstarken Auseinandersetzungen zwischen Trainer und Mannschaft, weil Spieler sich belogen fühlten. Es kursierten Audiodateien, denen zufolge Rose schon auf dem Weg nach Leipzig sei, weil seine sofortige Entlassung auf einer hektisch einberufenen Aufsichtsratssitzung beschlossen worden sei, die gleichzeitig aber auch davon berichteten, dass dies erst am Dienstag nach einem Gespräch mit dem Mannschaftsrat entschieden werde.

Max Eberl hat das alles in der vorgezogenen Pressekonferenz für das Spiel gegen Mainz als von „Dumpfbacken im Hintergrund verbreitete Lügen“ bezeichnet und in einen Kontext zu allgemeinen gesellschaftlichen Entwicklungen – Stichwort „Fake News“ – gestellt. Glaubt man den Worten von Eberl und Rose, war alles ganz anders – nämlich total harmonisch, alle haben die Nachricht mannhaft und super professionell aufgenommen und sind total dankbar, dass man zwei Jahre zusammenarbeiten durfte und sich menschlich immer noch ganz toll versteht und über die Maßen schätzt, keiner hat was falsch gemacht, wenn überhaupt Eberl selbst, der die Ausstiegsklausel akzeptiert hat, anderenfalls Rose aber nicht bekommen hätte.

Wer in dieser Zusammenfassung ein gewisses Maß an Sarkasmus findet, liegt durchaus nicht falsch. Was wirklich in den letzten beiden Tagen (bzw. davor) im und um den Borussia-Park abgelaufen ist, wer wann mit wem geschimpft oder sich total konstruktiv und professionell harmonisch ausgetauscht hat, was also an den vielfältigen Gerüchten dran ist – im besten Fall werden wir es nie erfahren.

Dieser beste Fall tritt ein, wenn Wagenburg und Zugbrücke halten. Das wird nur passieren, wenn Ruhe und vor allem sportlicher Erfolg eintreten und wenn schnell personelle Klarheit für die Zeit nach dem 30. Juni 2021 herrscht. Denn nur dann besteht kein Grund für weitere gegenseitige Schuldzuweisungen und öffentliche Selbstzerfleischung, nur dann werden Indiskretionen ausbleiben und mehr oder weniger zutreffende Pressespekulationen ins Leere laufen.

Geht es dagegen richtig schief, fängt man sich z.B. mit einer erneut durchrotierten Mannschaft eine Niederlage gegen Mainz und verliert anschließend in Bestbesetzung 0:9 gegen Manchester City und 1:4 bei den sympathischen Dosenvermarktern (nur um mal das Horrorszenario durchzudeklinieren) wird die Entscheidung vom Montag keinen Bestand haben. Läuft es „so lala“, werden die Diskussionen über die Frage, ob die Ergebnisse nun trotz oder wegen Rose so erzielt werden, den Verein bis Ende Juni begleiten. Dann wird jede Rotationsentscheidung des Trainers auf Interessenkollision hin geprüft und jede Schlechtleistung der Mannschaft auf ein mögliches Zerwürfnis hin seziert werden. Da diese Untersuchungen von Außenstehenden – und das sind sowohl Journalisten als auch Fans (auch wenn wir Fans das selbstverständlich anders sehen) – immer losgelöst von Detailkenntnissen sind, darf man getrost bezweifeln, ob das zielführend ist. Ruhe wird in diesem – nicht unwahrscheinlichen - Szenario jedoch erst im Borussia-Park einkehren, wenn alle Entscheidungen gefallen sind und Rose weg ist.   

Insbesondere vor diesem Hintergrund, aber auch angesichts der unbestreitbar vorhandenen Interessenkollision hätte viel dafür gesprochen, sofort einen klaren Schnitt zu machen und die Saison mit einem Interimstrainer zu Ende zu spielen. Natürlich wäre auch das keine Garantie für ein versöhnliches, erfolgreiches Ende der Saison gewesen. Es hätte uns aber vermutlich andauernde Diskussionen erspart. Dass sich Max Eberl und die Vereinsführung anders entschieden haben, ist zu respektieren. Der Verantwortung, die damit verbunden ist, wird sich Eberl bewusst sein, das kam heute in der Pressekonferenz auch klar zum Ausdruck. Nur wenn das Experiment gelingt, wird Max Eberl am Ende auch die Deutungshoheit darüber behalten, ob es vor zwei Jahren richtig war, die von Rose verlangte Ausstiegsklausel zu akzeptieren.