Es gab Zeiten, da machte es mehr Spaß, Fan von Borussia Mönchengladbach zu sein. Drei Punkte gegen Bremen, schön und gut – aber auch so ziemlich das Mindeste, das man angesichts des immer noch aktuellen Saisonziels erwarten kann. Borussia will wieder in die Champions-League. Da sollte man am Ende einer dann doch eher durchwachsenen Hinrunde gegen ein qualitativ klar schwächeres Team schon gewinnen. Die Rücküberweisung des Dauerkartengeldes wird so manches Konto aus dem Dispo holen, auch wenn die Aussicht, erst zur kommenden Saison (wenn überhaupt) wieder im Stadion zu sein, natürlich eine trübe ist. Ansonsten nervt die Anfälligkeit für späte Gegentore, nervt das VAR-Versagen von Stuttgart, nervt die unbeantwortete Trainerfrage und nerven die Nebenkriegsschauplätze, von denen in dieser Woche ein neuer entstanden ist, auf dem sich der Verein vermutlich noch eine ganze Weile wird tummeln müssen. Dass Borussia sich gleichzeitig für die kommende Saison die Dienste des französischen Talents Manu Koné gesichert hat, dessen stolzer Preis von kolportierten neun Millionen Euro nahelegt, dass man hier keinen Ergänzungsspieler erwarten sollte, geht dabei etwas unter.

Aus dem Bremen-Spiel kann man einige Erkenntnisse mit in die Rückrunde nehmen: Borussia ist nach wie vor weit weg von ihrer Bestform, Rose-Fußball und Hecking-Fußball sind nur noch temporär voneinander zu unterscheiden, ohne Lars Stindl ist Borussia im Moment nur die Hälfte wert, Laszlo Benes tritt begnadete Standards, Hannes Wolf ist zu keinem Zeitpunkt eine Verstärkung, die Mannschaft wird bei knapper Führung am Ende auch weiter extrem zappelig. Die Schlussfolgerungen aus diesen Erkenntnissen zu ziehen, obliegt dem Trainerteam.

Inwieweit sich dieses Team noch mit der Aufgabe bei Borussia identifiziert, ist kaum zu sagen. Das Schweigen von Marco Rose zu jeder Frage bezüglich seiner Zukunft wird immer donnernder, je länger das Thema Dortmund im Raum steht. Der Abschluss der Hinrunde wäre ein guter Zeitpunkt gewesen, Klarheit zu schaffen. Stattdessen windet sich Rose, er wolle sich zu Spekulationen nicht äußern. Warum denn nicht, wenn an den Spekulationen nichts dran ist? Rose wird das nicht machen, nur, um den Medien eine lange Nase zu drehen. So darf er sich nicht wundern, dass man ihn weiter löchert und dass auch geneigte Beobachter seine Aussagen, Körpersprache und sein Handeln nach Indizien absuchen, ob der Trainer innerlich mit Mönchengladbach womöglich schon abgeschlossen hat.

Vielleicht ist es normal, dass ein Team den Spirit nicht über Monate auf konstant hohem Niveau halten kann. Borussia wirkte lange Zeit wie eine Einheit mit einer Idee, einem Ziel. Eine Truppe guter Typen, geführt von einem hungrigen Trainerteam, fokussiert auf das Wesentliche und auf die Umsetzung eines klar umrissenen Konzepts. Das ist im Moment anders. Natürlich: Die Hinrunde war keine Katastrophe. 28 Punkte in der Liga lassen alle Möglichkeiten offen, in der Champions-League ist man noch dabei, ebenso im DFB-Pokal. Und trotzdem: Ein bisschen fühlt es sich von außen an, als herrsche im Borussia Park ein kollektiver Burn-Out.

Dazu passt, dass das Bild von der Truppe guter Typen Kratzer bekommen hat. Der Fall Thuram ist ausgiebig besprochen worden, hier wurde in mindestens ausreichendem Maße Buße getan. Der Fall Embolo dagegen hat noch viel Potenzial. Nachdem die Bild-Zeitung eine Kampagne versucht, mit der sie ihren Ruf als Organ der Niedertracht einmal mehr festigt, möchte man sich fast reflexhaft auf die Seite des Spielers und des Vereins stellen. Um dann festzustellen, dass man da auf sehr dünnem Eis steht. Embolo hat Borussia mit seinem Verhalten, selbst wenn seine Version der Ereignisse nicht nur abenteuerlich, sondern auch wahr sein sollte, massiv in die Breeldouille (©Claus-Dieter Mayer) gebracht. Und der Verein hat sich entschieden, einen Weg einzuschlagen, der sich als Sackgasse entpuppen könnte. „Unschuldig, bis das Gegenteil bewiesen ist“ ist die Sprachregelung. Die vereinsinterne Sperre von einem Spiel ist angesichts eines unstrittig vorliegenden Verstoßes gegen die Corona-Regeln (und gegen die Regeln eines professionellen Verhaltens) fast schon auffällig kurz. Und selbst das Bremen-Spiel verpasste Embolo nicht aus disziplinarischen Gründen, sondern wegen der angenommenen Infektionsgefahr nach seinem Ausflug an den Baldeneysee. Die weitere Aufarbeitung an Embolos Anwälte outzusourcen und die doch zunehmend eindeutigen Einlassungen aus dem Essener Polizeipräsidium erst einmal unkommentiert zu lassen, birgt das Risiko, sich am Ende der Komplizenschaft schuldig zu machen. Dass eine durchdachte, vom Ende her gedachte Krisenstrategie hinter dem Verhalten des Vereins im Fall Embolo steht, lässt sich nicht erkennen. Die Instagram-Erklärung des Spielers, ganz offenbar unabgestimmt, wäre sonst nicht veröffentlicht worden, die Social-Media-Abteilung des Vereins hätte sich diese Erklärung mittels Teilen nicht zu eigen gemacht. Die Geschichte ist einfach zu schräg, als dass man das Thema damit hätte klein halten können. Enthalten wir uns einer weitergehenden Bewertung und warten ab, was da noch kommt – in der Annahme, dass noch was kommt.

Erstmal kommt Dortmund in den Borussia-Park. Für die Spieler Thuram und Embolo ist es ein Segen, dass diese Partie in dieser Situation ohne Zuschauer ausgetragen wird. Bei Spielen gegen den westfälischen Ballspielverein sind in der Regel besonders viele Auswärtsfans oder -sympathisanten im Borussia-Park, und die hätten die Gelegenheit, die mehr oder weniger reuigen Sünder 90 Minuten plus Nachspielzeit an ihre Verfehlungen zu erinnern, sicher nicht liegen lassen.

Sportlich gesehen ist es das Treffen zweier Teams, die in der Hinrunde unter ihren Möglichkeiten geblieben sind. Dortmund und Borussia trennt nur ein Punkt, das ist angesichts der Qualität des jeweiligen Kaders für Dortmund eine deutlich schlechtere Bilanz als für Mönchengladbach. Wenn bei Borussia die Stimmung gedämpft ist, ist sie beim Vizemeister im Eimer. Nach dem Punktverlust gegen Mainz und der Niederlage in Leverkusen gibt man sich zerknirscht, die Mannschaft übt sich im Mea Culpa, wobei die Einlassungen nach dem Leverkusen-Spiel den Eindruck nährte, jeder befragte Spieler sehe die Probleme eher bei zehn anderen. Währenddessen attestieren Sportdirektor Zorc und Interimstrainer Terzic ihren Spielern Mentalitätsprobleme, was sich anhört, als würden sie sich selbst für nicht zuständig erklären wollen.

Klar ist: Dortmund liefert im Moment selten 90 Minuten am Stück ab, es ist jedem Gegner möglich, die Mannschaft zu verunsichern. Hier könnte Borussia ansetzen, gerade weil Dortmund sich oft schwertut, in Spiele hineinzufinden. Das frühe Sackzumachen gehört allerdings leider derzeit nicht zu den Kernkompetenzen der Gladbacher. Sicher fühlen darf man sich auch gegen möglicherweise mentalitätsgeschädigte Dortmunder keinesfalls. Das Spiel in Leverkusen war nicht so schlecht, wie es im Nachhinein gesehen wird. Dortmund hatte nach der Halbzeit eine sehr gute Phase mit einem Tor und diversen sehr guten und teils unglücklich vergebenen Torchancen. Das 2:1 für Leverkusen fiel eher überraschend, danach allerdings war tatsächlich spürbar die Luft raus – wohl auch deswegen machte Terzic seinem Namen nach dem Spiel alle Ehre. Bemerkenswert und aus Borussen-Sicht wenig ermutigend ist, dass Dortmund in dieser Saison schon so manches Spiel in der Schlussphase oder gar in der Nachspielzeit zu eigenen Gunsten entschieden hat.

Mögliche Aufstellung

Borussia: Sommer – Lainer, Elvedi, Ginter, Bensebaini – Kramer, Neuhaus – Thuram, Hofmann – Stindl, Embolo

Dortmund: Bürki – Meunier, Akanji, Hummels, Guerreiro – Bellingham, Can – Sancho, Reus, Brandt – Haaland

SEITENWAHL-Prognose

Thomas Häcki: Dass bei der Borussia derzeit nicht alles rundläuft ist bekannt. Leider beim Gastgeber weniger als bei der Namenskopie so dass beim 1:3 die Punkte nicht am Niederrhein verbleiben.

Mike Lukanz: Gegen die guten Gegner scheint sich Borussia besser motivieren zu können, zudem kehrt Thuram in die Mannschaft zurück. Allerdings ist es Dortmund. So läuft alles auf ein 1:1 hinaus.

Claus-Dieter Mayer: Ein angeschlagener Angstgegner, schwache Leistung unter der Woche, Unruhe nach Embolos Eskapaden, eigentlich spricht alles gegen die wahre Borussia, die es aber irgendwie trotzdem schafft mit der besten Saisonleistung 3:1 zu gewinnen.

Uwe Pirl: Die Wahrheit liegt auf dem Platz! Beim Aufeinandertreffen zweier schlingernder Borussias kann die richtige Borussia die Unruhe um Embolo besser ausblenden als die falsche ihre angeblich fehlende Mentalität. Deshalb: 2:1 für Gladbach.

Christian Spoo: Zwei Teams mit mäßiger Form und Laune treffen aufeinander. Dortmund ist individuell aber besser besetzt und gewinnt mit 3:1.