AJ7X2485Seitenwahl 17Aug19Eine der gängigen, gern wiederholten Weisheiten aus Fuschl am See ist die von der „gemeinsamen fußballerischen DNA“ aller konzerneigenen Vertriebsgesellschaften, deren Geschäftsgegenstand das Ruinieren eines funktionierenden Wettbewerbs im Profifußball ist. Leichtgläubige könnten jetzt natürlich einwenden, dass Red Bull Salzburg ja seit einiger Zeit wirtschaftlich vollkommen unabhängig agiert und deshalb gar nicht in diese Kategorie fällt. Wie auch immer – in der Welt des Ralf Rangnick, Ex-Sportchef der deutschen Vertriebsgesellschaft, bedeutet „gemeinsame fußballerische DNA“ Pressen bis der Arzt kommt.

Ralf Rangnick ist aber nicht mehr da, jedenfalls nicht mehr in der deutschen Konzerntochter. Und so bezieht das Duell der Fußballmannschaft dieser GmbH mit Borussia Mönchengladbach seine Spannung daraus, dass die Mannschaften zweier Fußballlehrer aufeinandertreffen, die völlig gegensätzliche Aufgaben, jedoch mutmaßlich ein ziemlich ähnliches Ziel haben.

Da ist auf der einen Seite Julian Nagelsmann, vielleicht noch vor dem Gladbacher Trainer der angesagteste Trainer der jüngeren deutschen Fußballgeschichte. Nagelsmann wurde mutmaßlich mit der Intention geholt, das extrem verschleißende Rangnicksche Pressing mit mehr fußballerischen Komponenten zu versehen, wie man das in den vergangenen drei Jahren in Sinsheim beobachten konnte. Möglicherweise basiert diese Personalentscheidung und auch die (auf Deutschland beschränkte) Trennung von Ralf Rangnick auf der Erkenntnis, dass man mit dieser Art Fußball zwar in der Bundesliga dritte Kraft sein kann, international aber auf Dauer wenig Erfolg haben wird.

Auf der anderen Seite steht Marco Rose, nach Gladbach gekommen von der konzernunabhängigen Konzerntochter Red Bull Salzburg, hierher geholt mit der klaren Intention, einer allein auf fußballerische Lösungen fixierten und gerade in körperlich geprägten Spielen sehr passiv agierenden Mannschaft diese Passivität auszutreiben und mehr Punch zu verleihen.

Am Ende der jeweiligen Entwicklung sollen – Marco Rose hat das für Gladbach mehr als einmal betont – Teams stehen, die aggressives, aber richtig dosiertes Pressing mit einer fußballerischen Komponente verbinden, Ballbesitz und spielerische Qualitäten also nicht vergessen. Beide Trainer haben mit den ihnen zur Verfügung gestellten Mitteln gute Chancen ihre Ziele zu erreichen.

Wer von beiden am Freitagabend mehr Erfolg haben wird, ist schwer vorhersagbar und hängt wahrscheinlich davon ab, welcher der beiden Fußballlehrer es in den Wochen der Vorbereitung besser geschafft hat, seiner Mannschaft sein Konzept zu vermitteln. Dabei ist ein zermürbendes und wenig attraktives Pressingfestival, bei dem sich beide Mannschaften zu einem torarmen Unentschieden neutralisieren genauso möglich wie ein Torfestival, das die Schwachstellen beider Offensivreihen bei hohem Tempo offenlegt oder wie ein klarer Sieg desjenigen der beiden Teams, das seine PS an diesem einen Abend (Tagesform!) besser auf die Straße bringt.

Zieht man die Statistik zu Rate, ist das Team der Getränkevertriebs-GmbH klarer Favorit, in sechs Begegnungen konnte Borussia noch nicht einmal gewinnen, zwei Unentschieden stehen vier Niederlagen gegenüber. Zudem ist bei dem am Freitag zu bespielenden Gegner der Saisonstart gelungen, drei Pflichtspiele wurden mit drei Siegen abgeschlossen. Nagelsmann sieht seine Mannschaft bisher im Soll, bittet aber – ebenso wie Marco Rose – das Umfeld noch um Geduld, bis seine Spielidee umgesetzt sei. Ungeachtet der guten Statistik und des guten Saisonstarts war der Pressekonferenz vor dem Spiel aber auch jede Menge Respekt vor Borussia Mönchengladbach anzumerken, so etwa mit der Erwägung, vielleicht einen zusätzlichen „defensiver denkenden“ Mittelfeldspieler einzubauen und eine von der Orientierung her eher neutrale Aufstellung wählen zu wollen.    

Andererseits geht – man vertraue Hans Meyer – jede Serie einmal zu Ende. Auch in Gladbach waren in jedem Spiel Fortschritte zu erkennen, gegen Schalke eher defensiv, gegen Mainz eher offensiv. Auch in Gladbach kann man den Saisonstart als gelungen bezeichnen, auch in Gladbach hat man hohe Qualität im Kader. Gelingt es am Freitag, das Puzzle neu und noch besser funktionierend zusammen zu setzen, gibt es eigentlich keinen Grund für Borussia Mönchengladbach, mit einer übergroßen Portion Demut an die kommende Aufgabe heranzugehen. Im Gegenteil, man kann Trainer und Mannschaft nur dazu auffordern, mit Mut und Selbstbewusstsein an die Aufgabe heranzugehen – nur dann wird der Gegner eine neue Erfahrung gegen Borussia Mönchengladbach machen.

Will man Spekulationen über die Aufstellung anstellen, kommt man um die Erwägung, Kramer für Johnson beginnen zu lassen und stattdessen Zakaria nach vorn zu verschieben nicht herum. Ansonsten hat sich niemand für eine Pause empfohlen. Benes und Neuhaus sollten weitere Chancen erhalten, Embolo und Thuram haben beide noch nicht die Luft für 90 Minuten und sollten daher das in Mainz mit Erfolg praktizierte Job-Sharing beibehalten.  

 

Der Seitenwahl-Tipp: 

Uwe Pirl: Timo Werner schießt dieses Mal weder ein Tor noch gelingt es ihm, einen Elfer zu schinden. Plea schon. Ansonsten neutralisieren sich die Teams weitgehend. Deshalb gewinnt Borussia 1:0. 

Michael Heinen: Leipzig kommt für die neue Borussia deutlich zu früh. Sie kämpft zwar wacker, aber am Ende steht mal wieder ein 2:1-Auswärtserfolg des Dosenklubs.

Mike Lukanz: Borussia bricht den Bann, gewinnt völlig verdient 3:1 und ist für eine Nacht Tabellenführer. Glaube ich wirklich dran? Nein, aber einmal pro Saison darf die Hoffnung die Vernunft schlagen.

Christian Spoo: Leipzig hat recht leichtes Spiel mit einer Borussia, die sich ihrer selbst noch nicht sicher ist. Weil immerhin die Defensive recht gut steht, bleibt es bei einem 2:0 für das Produkt.

Thomas Häcki: Rose verleiht Flügel. Leider lernt die Borussia noch das Fliegen so dass das Heimspiel 0:2 verloren geht. 

Claus-Dieter Mayer: Nach dem hart umkämpften 1:1 erklären sich beide Teams im Nachhinein zum moralischen Sieger der Partie, während die Zuschauer dieses torchancenarmen Pressingfestivals das Stadion mit dem Gefühl verlassen, dass sie dann wohl die unmoralischen Verlierer des Abends sind.