Der Euphorie, die noch bis vor wenigen Tagen rund um den Borussia-Park vorherrschte, ist Ernüchterung gewichen. Ein desolater Auftritt im Breisgau reichte aus, um die bislang so makellose Saisonbilanz von vier Siegen in vier Pflichtspielen zu relativieren. So falsch wie es war, nach Siegen u. a. über Drochtersen und Bern tollkühne Meisterschaftsträume zu hegen, so sollte bei der ersten Niederlage jetzt nicht alles grundlegend in Frage gestellt werden. Unbestreitbar ist aber, dass die Fohlenelf eine sichtbare Auswärtsschwäche vorweist. Von den letzten zwölf Bundesliga-Partien in fremden Stadien gingen neun verloren. Lediglich das sportlich bedeutungslose Spiel bei den freudetrunkenen Darmstädtern am letzten Spieltag der Vorsaison wurde erfolgreich bestritten. Selbst wenn der Europapokal andere Voraussetzungen bietet, müssen die Gründe für diese erschreckende Bilanz aufgearbeitet und möglichst schnell abgestellt werden. Sonst droht Borussia noch viel Schlimmeres als eine hohe Klatsche im einstigen City of Manchester Stadium.

Viel Zeit bleibt André Schubert nicht, um bis Dienstagabend die eklatanten Mängel vom vergangenen Samstag abzustellen. Gerade die Defensive sorgte für permanentes Kopfschütteln. Tobias Strobl, der in den ersten Wochen noch ein Muster an Zuverlässigkeit gewesen war, stümperte sich von einem Fehler zur nächsten Nachlässigkeit. Sein Zweikampfverhalten vor dem ersten Gegentor war faktisch nicht vorhanden. Dem stand der sonst so unumstrittene Andreas Christensen kaum nach. Der Däne absolvierte seinen schwächsten Auftritt im Borussen-Dress und stand einige Male völlig neben sich. Aber auch Nico Elvedi, Tony Jantschke und der eingewechselte Jannik Vestergaard trugen zur dauerhaften Unsicherheit in der Verteidigung bei, was der Coach noch während der Partie mit einer Systemumstellung auf Viererkette beantwortete. Möglich, dass er am Dienstag von Beginn an auf diese Variante setzt, um fürs erste wieder mehr Sicherheit ins Spiel zu bekommen. Vermutlich wird er sich aber noch gut zurückerinnern an das letzte Aufeinandertreffen mit dem aktuellen Tabellenführer der Premier League. Da hielt Borussia mit einer relativ neuformierten Dreierkette eine knappe Stunde lang überragend mit und führte sogar noch bis 10 Minuten vor Ende der regulären Spielzeit. Eine Wiederholung dieser Leistung wird mindestens nötig sein, um sich auf diesem Top-Niveau mit einem der stärksten Teams Europas behaupten zu können.

Die neue Mannschaft von Pep Guardiola ist nicht ohne Grund mit sechs Pflichtspielsiegen in die Saison gestartet. In den letzten beiden Jahren wurden jeweils mehr als 200 Mio. Euro für neue Spieler ausgegeben. Im Vorjahr waren es u. a. Kevin de Bruyne und Raheem Sterling. Diesen Sommer wechselten Leroy Sané und Ilkay Gündogan aus der Bundesliga nach Manchester. Zudem wurde die Mannschaft u. a. mit Evertons Innenverteidiger John Stones und mit Torhüter Claudio Bravo verstärkt, der bis zuletzt noch bei Barcelona Marc André ter Stegen vorgezogen worden war. Die Entscheidung Guardiolas zugunsten des 33jährigen Chilenen und gegen den englischen Nationalkeeper Joe Hart wird von den Fans besonders kritisch beäugt. Dies verstärkte sich am vergangenen Samstag im Derby bei United durch das unglückliche Debüt des neuen Keepers, der beim Gegentor patzte und auch sonst einige Unsicherheiten offenbarte. Fernab davon ist Bravo aber ohne Zweifel einer der weltbesten seines Fachs und ganz sicher nicht als Schwachstelle in einem ohnehin von Schwachstellen befreiten Kader auszumachen.

Auch auf die Dienste von Yaya Touré kann Guardiola guten Gewissens verzichten. Den Ivorer hatte er einst schon in Barcelona aussortiert. Nun scheint sich die Geschichte zu wiederholen, denn Touré wurde für den offiziellen Champions-League-Kader nicht nominiert. Trotz der ebenfalls verletzten bzw. angeschlagenen Bundesliga-Ex-Stars Vincent Kompany und Ilkay Gündogan verfügt Manchester aber über so viel Qualität, dass sich dies nicht spürbar negativ auswirken wird.

Selbst den jüngsten Ausfall von Torjäger Sergio Aguero, der in der Liga für drei Spiele gesperrt wurde, konnte das Team problemlos ausgleichen. Ersatz Kelechi Iheanacho zeigte sich gegen United sogleich mal für ein Tor und eine Vorlage beim umjubelten 2:1-Sieg verantwortlich. Das Derby war faktisch der erste echte Prüfstein für City und ihren neuen Coach. Man darf darauf hoffen, dass sie am Dienstag der zweite erwartet, wenn Borussia eine entsprechende Leistungssteigerung bewerkstelligen kann.

Gutes Omen: Schiedsrichter Björn Kuipers aus den Niederlanden pfiff bereits im Vorjahr das 1:1 daheim gegen Juventus – ein Ergebnis mit dem die Fohlenelf an diesem Dienstag mehr als nur gut leben könnte.

Manchester: Bravo – Zabaleta, Stones, Otamendi, Kolarov – de Bruyne, Fernandinho, Silva - Sané, Aguero, Nolito

Borussia: Sommer – Elvedi, Christensen, Vestergaard – Johnson, Strobl, Kramer, Dahoud, Wendt – Stindl, Raffael

SEITENWAHL-TIPPS

Michael Heinen: „In Manchester zu verlieren ist keine Schande. Borussia schlägt sich zwar wacker und zeigt sich gegenüber Freiburg deutlich verbessert. Am Ende gewinnen die Gastgeber aber doch mit 2:0.“

Volkhard Patten: „Dieses Mal begleiten nur 4000 Fans den VfL ins Etihad. Diese werden aber für ihr kommen mit einem 2:1-Sieg belohnt. Wir können Pep :-)“

Claus-Dieter Mayer: „Auch wenn die Borussia ganz anders auftritt als am Samstag in Freiburg und über weite Phasen dem englischen Tabellenführer ebenbürtig ist, gibt es die zweite 1:3 Niederlage innerhalb weniger Tage, da sich am Ende die individuelle Klasse von Manchester City durchsetzt.“

Thomas Häcki: „Manchester und Auswärtsspiel. Das ist keine gute Kombination für die Borussia. City hat beim 3:0 keine ernsthaften Probleme.“

Christoph Clausen: Der Grusel-Auftritt von Freiburg lässt Schlimmes befürchten. Dennoch traue ich der Mannschaft eine erhebliche Leistungssteigerung zu. Für zählbaren Erfolg wird diese am Ende aber nicht reichen. Borussia unterliegt mit 1:2 und kann sich für Guardiolas anschließendes Lob wenig kaufen.

Christian Spoo: Mit der Leistung von Freiburg ginge Borussia in Manchester mit 0:7 unter. Mit der Leistung von Manchester verliert Borussia in Manchester lediglich mit 0:3.