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Wenn am Donnerstag um 19:00 das Rückspiel der Europa League zwischen Lazio Rom und Borussia Mönchengladbach angepfiffen wird, geht es um das Schicksal des Clubs vom Niederrhein für die absehbare Zukunft. Eine Runde weiter zu kommen und einen italienischen Vertreter auszuschalten brächte Prestige, Einnahmen, erhöhte nationale Aufmerksamkeit. Das Ausscheiden im zweiten Pokalwettbewerb bei enger werdender Perspektive in der Liga nach oben würde die Erinnerung an die erfolgreiche vergangene Saison schneller verblassen lassen als gedacht. Hoffen wir darauf, dass die Mannschaft es so hält wie ihre Anhänger, die sich bereits seit dem Wochenende in der italienischen Hauptstadt sammeln -  von allem das beste mitnehmen.


Wird es für die Borussen möglich sein, nach den kraftraubenden und wenig günstig verlaufenen Spielen der letzten Zeit gerade in Rom zu gewinnen? Aber sicher ist das drin. Zuerst ein Mal ein Blick auf die Gladbacher. Die an sich doch stabile Defensive wurde in den letzten drei Partien sieben mal durchlöchert, dabei  hätte Leverkusen noch für mehr Schaden sorgen können. Trotzdem gibt es keine grundlegenden Probleme in dem Bereich, entscheidend ist eher, wie die Abschirmung durch die diversen Sechser davor aussieht. Und auch wenn die Fortschritte von Xhaka eher Grashalm für Grashalm ausfallen, gibt es trotzdem keine Probleme, wenn Nordtveit und Marx auflaufen. Check.

Nach vorne hingegen dürfte spielerisch und in der Erarbeitung von Chancen mehr gehen. Wenn de Jong spielt, kommt er nach wie vor zu wenig in Schussposition. Den Antrieb bilden zur Zeit fast ausschliesslich die Pässe von Arango und die Schnelligkeit von Herrmann und wenn das nicht reicht, müssen eben Standards her. Das ist etwas knapp für Höhenflüge und es kann trotzdem reichen in einem einzigen Spiel. Zumal auch die Hoffnung besteht, dass Amin Younes mehr Spielzeit bekommt, der sich als idealer Vorbereiter in der zweiten Spitze anbietet. Dadurch könnte Herrmann wieder über die rechte Seite kommen und die Offensive insgesamt deutlich variabler werden. Ob die Schnelligkeit in der Spitze verloren geht, müsste sich dann erweisen.

Die zarten Hoffnungen, die der Auftritt von Younes in der zweiten Halbzeit beim HSV machte, sollten sich die Gladbacher Anhänger gegen Lazio wohl für so ca. die 60. Minute oder später aufbewahren. In der weiteren Hoffnung, dass das Spiel dann noch für die Borussia entschieden werden kann. Denn zu erst einmal besteht die Aufgabe darin, das Spiel so lange wie möglich offen zu halten (lies: defensiv geschlossen auf dem Platz zu stehen) um jede Vorentscheidung zu Gunsten der Römer zu vermeiden. Und dann kann womöglich die halbe Stunde eines dribbelstarken Technikers schlagen.

Dass dieser Plan aufgeht, ist gar nicht mal so unwahrscheinlich. Denn trotz ihrer ordentlichen Leistung beim Hinspiel hat der Ausfall von Klose die Laziali hart erwischt, die nun mehr seit sechs Spielen ohne Sieg sind. Das Spiel vom Montag abend gegen Siena war von grosser Bedeutung beim Kampf um die Qualifikation zur Champions League für die kommende Saison und wurde beim Drittletzten der Tabelle glatt mit 3:0 verloren. Auch wenn Trainer und Spieler standhaft das Gegenteil versichern, scheint die Moral für den Moment angeschlagen. Natürlich haben die Römer nach dem 3:3 im Hinspiel die besseren Mòglichkeiten auf ein Weiterkommen, aber die Messe ist noch lange nicht gelesen.

Das sieht auch der Gladbacher Anhang so, der offenbar in sensationeller Anzahl vor Ort sein wird. Mehr als 7.000 Karten wurden vorab an die Borussen abgegeben, die offizielle Seite des Vereins nimmt inzwischen beeindruckende 10.000 Auswärtsfans an, mehr als jemals zuvor in der europäischen Geschichte der Borussia. Nach dem Hinspiel sagte der Lazio-Trainer Petkovic mit Blick auf die drei Elfmeter, dass "solch ein Stadion und solche Fans" auch ein Ergebnis beeinflussen könnten. Wenn er damit recht hat, könnte ihm am Donnerstag erneut unangenehmes blühen. Der Vorverkauf der Tickets lief bei den Heimfans nämlich höchst schleppend an, so dass Lazio anfangs 13.000 verkaufte Karten verkündete, die über 7.000 Gäste inbegriffen. Die offizielle Stellungnahme schloss mit einem "Diese Situation ist sicher überraschend."

Auch für die Fans der Römer. Die Anstosszeit von 19:00 steht bei ihnen in der Kritik, der es für viele unmöglich mache, rechtzeitig zum Spiel zu kommen. Wieviel dahinter steckt, ist schwer zu sagen, das Olimpico ist jedenfalls aus der Innenstadt mit ein mal Umsteigen bestens zu erreichen. Tatsache ist viel mehr, dass auch die überdurchschnittlich gut laufende Saison den Anhang nicht mehr in Massen ins Stadion treibt. Als der Verfasser in der Hinrunde ein Heimspiel der Laziali an einem Sonntag abend sah, füllten auch nur etwas über 30.000 das  grosse Olympiastadion. Wenigstens waren die 15 Gäste aus Genua keine akustische Gefahr. Dass aber der früher so sprichwörtlich leidenschaftliche Tifo darum ringt, in einem entscheidenden Spiel mehr Fans als die Gäste in Stadion zu bekommen, das ist in diesem Ausmass "sicher überraschend".

Aber es ist konsequent. Bereits seit Jahren laufen die Dinge so, dass die Serie A von der boomenden Bundesliga in allen Bereichen abgehängt wird. Ein bisschen Ironie liegt auch darin, dass die Italiener zu Beginn der 90er Jahre als das Mass aller Dinge angesehen wurden, was die Attraktivität der Liga anging und besonders das bunte Treiben auf den Rängen. Junge Fans in Deutschland hatten keine Lust mehr auf eine Perspektive als Kutte und liessen sich von den coolen Ultras inspirieren. Das Nachahmen der italienischen Vorbilder kann komische Züge annehmen, wie sich im heute möglichen Blick auf diverse Seiten und Foren erweist: Die Lazio Fans diskutieren dieser Tage ernsthaft darüber, was das Transparent der Mönchengladbacher mit der Aufschrift "Sottocultura" wohl zu bedeuten hat.

Auch die schlechten Angewohnheiten ihrer Vorbilder in Sachen Gewalttätigkeit sollten die deutschen Ultras später übernehmen, was uns die heutigen Probleme beschert. Der Blick nach Italien sollte zeigen, wie eine solche Entwicklung weiter verläuft. Natürlich sind da noch weiten Ursachen für die Misere der Serie A. Es wird allgemein über die Stadien gejammert, sie seien zu unsicher, zu wenig komfortabel, mit schlechter Sicht und allgemein nicht zeitgemäss. Als Vorbilder werden fast immer die Stadien von Schalke und Bayern genannt, die es zu kopieren gilt. Dabei ist es aber nicht wahrscheinlich, dass die Fans, die früher in Massen in die Arenen zogen, nur auf Grund von zu zugigen Plätzen zu Hause bleiben. Auch die nicht abreissenden Wettskandale tragen dazu bei, denn wer will schon Spiele sehen, die nicht durch sportliche Leistung entschieden werden, sondern durch die Quoten Singapurer Wettmafiosi. Und ein ganz wesentlicher Punkt sind die ständigen Querelen der Tifosi untereinander und mit der Polizei. Ob eine Seite wie "ich fühle mich im Stadion sicher" in Italien ähnlichen Zuspruch hätte, wäre interessant zu sehen.

Denn schon seit langem werden die Auseinandersetzungen hier härter ausgetragen, von und zwischen Fans und seitens der Polizei. Internationale Aufmerksamkeit wird zu Teil, wenn gelegentlich wieder ein Toter zu beklagen ist, wie 2007 der Polizist Filippo Raciti beim Spiel Catania - Palermo und im gleichen Jahr der Fan von Lazio Rom, Gabriele Sandri. Sandri wurde auf dem Rücksitz eines Wagens erschossen, als ein Polizist in Schlägereien zwischen Fans von Juventus und Lazio eingreifen wollte; sein Name ist den Lazio-Fans heute Synonym für Polizeiwillkür, Verfolgung und Ungerechtigkeit. Und trägt vielleicht tragischerweise mehr dazu bei, die Fronten zu verhärten als irgendeine Form der Einsicht und Zusammenarbeit auf beiden Seiten zu ermöglichen. Graffiti wie "Gabbo vive!" und Transparente wie "Gabriele sempre da noi", wie die Gladbacher sie am Donnerstag im Stadion sehen werden, halten die Erinnerung wach. Und die Wunde offen.

Zwischen solchen tragischen Tiefpunkten kommt es aber einfach viel zu häufig zu regelrechten Akten von Landfriedensbruch. Wenn Tifosi die Polizei vor sich her treiben oder Wachen stürmen wollen, in denen sie gefangene Kameraden vermuten, dann wird in solchen Aufführungen klar, warum Fussball in Italien kein Sport für jeden mehr sein kann. Manchmal heisst das nichts anderes, als das keine 20.000 zu einem entscheidenden Spiel der Europa League im Stadion sind. Zur dringenden Beachtung andernorts empfohlen.


Aufstellungen:

Borussia: ter Stegen - Jantschke, Dominguez, Stranzl, Wendt; Rupp, Nordtveit, Marx, Arango; Herrmann, de Jong

Lazio: Marchetti - Konko, Biava, Ciani, Radu; Candreva, Hernanes, Ledesma, Lulic; Floccari, Kozak

SEITENWAHL-Meinung:

Michael Heinen: Das Wunder von Rom bleibt leider aus. Nach großem Kampf verliert Borussia mit 1:3 und kann sich fortan voll auf die Sicherung des Mittelfeldplatzes in der Bundesliga-Tabelle konzentrieren.

Christoph Clausen: Es ist Zeit für eine tüchtige Portion Wunschdenken. Borussia siegt in einem nur scheinbaren Auswärtsspiel in Rom 1:0 und fügt der langen Reihe legendärer Europacupabende einen weiteren hinzu.

Christian Spoo: Das Wunder von Rom ist zum Greifen nah - das 2:2 bedeutet das für Borussia ägerlichstmögliche Ergebnis.

Christian Heimanns: Dai, Benedetto. Sorg für ein Wunder, das Padre Pio wie einen Auswechselspieler da stehen lässt. Damit wir 1:0 gewinnen.