90 Minuten, drei Torchancen, null Punkte. Borussia hat auch beim abstiegsbedrohten VfB Stuttgart gezeigt, wie man es besser nicht macht. Außer ein paar Connaisseuren rätselt die Anhängerschaft weiterhin, was Idee und Ziel dieser Mannschaft und ihres Trainers sein könnte. Mit dem heutigen Tag wissen wir: Keine Gefahr zu erzeugen, gehört zwingend dazu. Auch in der Phase des Spiels, die Borussia ob nervöser Stuttgarter souverän wirkte, gab es nur eine einzige Situation, in der man gefährlich vor das gegnerische Tor kam, und die resultierte aus einem Alleingang: Itakuras Solo und der Schuss, den Zagadou mit der Hand abfing. Weigl verwandelte den unstrittigen Elfmeter sicher. Ansonsten spielte Borussia erneut, zumindest in den Augen normalsterblicher Beobachter, wie denen in der Seitenwahl-Redaktion, fürchterlichen Fußball. Wie schon gegen Union Berlin brauchte es aufseiten des Gegners nicht viel. Am Ende genügt im Jahr 2023 Willenskraft, um Spiele gegen Borussia Mönchengladbach erfolgreich zu bestreiten. 

Durch den verletzungsbedingten Ausfall von Bensebaini gab Daniel Farke dem zuletzt von vielen Borussia-Fans lautstark geforderten Luca Netz die Chance, sich zu beweisen. Der 20-jährige zeigte in einigen Situationen recht gut, warum sein Trainer trotz des bevorstehenden Bensebaini-Weggangs und dessen bestenfalls halblustvollen Einsatzes lieber den Algerier auf der linken Seite der Viererkette spielen lässt. Zwar hat Netz Tempo, weswegen er gelegentlich Laufduelle durchaus beeindruckend für sich entscheiden kann. Sein Stellungsspiel und seine Orientierung im Verteidigungsfall waren zumindest in Stuttgart eher bedenklich. Auf der rechten Seite hatten Stefan Lainer und Nathan Ngoumou in den letzten Minuten des Union-Spiels einen guten Eindruck hinterlassen und durften den in der Anfangsphase im Neckarstadion bestätigen. Es dauert aber nicht lange, und sie passten sich dem Niveau ihrer Mitspieler an. Diese beiden waren aber bis zum Ende bzw. im Fall Lainer bis zur Auswechslung noch die aktivsten in einer ansonsten erneut leidenschaftslos wirkenden Mannschaft. 

Um nichts zu unterschlagen: Die beiden eingangs erwähnten weiteren Chancen hatten Plea in der ersten Halbzeit am Ende des wohl einzigen vernünftig ausgespielten Borussen-Angriffs im ganzen Spiel und der eingewechselte Telalovic mit einem schönen Drehschuss ganz kurz vor Schluss. 

Nicht unerwähnt bleiben sollten auch die beiden letzten Endes spielentscheidenden Szenen, denn die boten Diskussionsstoff: Vor dem 1:0 durch Guirassy bekam Millot im Strafraum den Ball von seinem Mitspieler Anton und stand dabei klar im Abseits. Warum das anschließend erspielte Tor trotzdem zählte, erschloss sich weder den Zuschauerinnen und Zuschauern im Stadion noch denen vor dem Fernseher, denn es gab keine Erklärung. Nirgends. In der Halbzeit wurde die Erklärung nachgeliefert. Nicht Anton, sondern Neuhaus soll den Ball zu Millot gespielt haben. Alle der Allgemeinheit zur Verfügung stehenden Zeitlupen scheinen das Gegenteil zu belegen, aber wer sind wir, den Ratschluss der unparteiischen Kellerbewohner in Zweifel zu ziehen? Vor dem Stuttgarter 2:1 foulte Itakura Tigao Tomas im Strafraum. Elfmeter zu geben, war korrekt. Ob die Doppelbestraftung in Form der roten Karte gegen Itakura notwendig oder richtig war, kann man zumindest fragen. Eher aber sollte man darüber sprechen, wie der Gladbacher Verteudiger kurz nach dem 1:1 überhaupt in eine Situation kommen konnte, in der er sich nur durch ein Foul zu helfen wusste. 

Stuttgart blieb nach dem 2:1 engagiert, war dem 3:1 näher als Borussia dem erneuten Ausgleich. Den Borussen gelang es nicht einmal ansatzweise, eine Art Powerplay aufzuziehen. Die Wechsel und die offenkundige Marschroute in der Nachspielzeit sollten wohl bedeuten: Alles nach vorn. Doch bis auf den erwähnten Schuss von Telalovic kam nichts dabei herum. Borussia blieb auch in dieser Phase harmlos.

36 Punkte hat Borussia auch nach dem 30. Spieltag. Vier Spieltage sind noch „zu gehen“, wie man auf Fußballkauderwelsch zu sagen pflegt. Ob, wie und gegen wen Borussia noch punkten soll, man kann es sich nach den beiden vergangenen Spielen kaum noch vorstellen. Dass eine Mannschaft mit 36 Punkten auf den Relegationsplatz abrutscht, ist rechnerisch möglich, praktisch müsste da schon sehr sehr viel zusammenkommen. Malen wir also den Teufel nicht an die Wand, stellen aber trotzdem fest: Borussia spielt zurzeit wie ein Absteiger. Wer den traurigen Zustand der Mannschaft zuletzt an den Spielern Thuram und Bensebaini festmachen wollte, wurde in Stuttgart eines Besseren belehrt. Lustlos geht auch ohne die beiden Baldexborussen. Uninspiriert Fußball spielen können auch als künftige Säulen des Teams ausersehene Kicker wie Florian Neuhaus und Jonas Hofmann.

Vielleicht ist der Blick auf die Mannschaft am Ende einer Saison mit wenig Höhe- und vielen Tiefpunkten getrübt, vielleicht sind die Ansprüche noch zu hoch, vielleicht sehen wir nicht, was andere sehen. Für uns jedenfalls gibt es derzeit wenig Anlass, an eine bessere Zukunft zu glauben. Hoffnungsträger sehen wir neben und auf dem Platz kaum. Die Idee, mit der man auch aus ohne ein Ensemble aus Hochbegabten zur Verfügung zu haben, eine erfolgreiche Mannschaft formen kann, erkennen wir nicht ansatzweise. Farkefußball ist augenscheinlich Ballbesitz ohne Ballsicherheit und ohne jeden Punch. Borussia wirkt heute ungefährlicher als unter Michael Frontzeck. So kann man in der Bundesliga nicht reüssieren. So landet man zielsicher im unteren Drittel der Tabelle. Drei oder vier neue Spieler, von denen wir bisher nicht einmal ahnen, wer sie sein können und welche Qualität sie mitbringen, werden nicht ausreichen, um das Ruder herumzureißen. Trotz alledem macht der Verein Borussia nach außen einen recht selbstzufriedenen Eindruck. Von daher ist es vermutlich ein frommer Wunsch. Äußern wollen wir ihn dennoch: Wie schon im vergangenen Jahr sollten sich einige der handelnden Personen nach dieser Saison die Zeit und Muße nehmen, ohne Denkverbote zu sprechen und einander dabei sehr tief in die Augen zu schauen.