schalke neu

In der Werbebranche, bekannt für unsägliche Anglizismen und inhaltsloses Gesülze, gibt es ein Mantra: „Content is King, Context is Queen.“ In diesem Satz steckt trotz allem mehr Wahrheit, als es vordergründig scheint. Eine Aussage, ein Umstand, ein Ereignis alleine hat erst einmal keinen Wert an sich. Es ist immer der Zusammenhang, der einordnet. 

Beispiele gefällig? Wenn die eigene Frau sagt, dass dem Gatten die Hose nicht mehr passe, ist es ein Unterschied, ob die Hose spannt (Kritik!) oder herunterrutscht (Lob!). Wenn der Briefträger sagt, dass er keine Post für sie habe, ist es ein Unterschied, ob man auf die Nachzahlung vom Finanzamt (schlecht!) oder den neuen Arbeitsvertrag (gut!) wartet. Und wenn eine Bundesligamannschaft ein Pflichtspiel 0:2 gegen die beste Vereinsmannschaft der Welt verliert, ist es ein Unterschied, ob es die erste oder siebte Niederlage in Folge ist. 

Wohl niemand bei wachem Verstand hatte sich ohnehin etwas gegen ManCity ausgerechnet und die Mannschaft von Pep Guardiola tat Borussia den Gefallen, sehr schnell für sehr klare Verhältnisse zu sorgen. Die brutale fußballerische Dominanz von Gündogan, de Bruyne & Co. hätte ganz andere Mannschaften (wahrscheinlich jede) vor ernste Probleme gestellt. Dennoch: Es ist nun offiziell eingetreten, was viele vor fünf, sechs Wochen vorhergesagt hatten. Abgeschlagen in der Bundesliga, raus aus beiden Pokal-Wettbewerben und im Sommer geht der Trainer. Machen wir uns nix vor: Die Saison ist gelaufen; unterschwellig geht es nur noch um die Frage, ob der Trainer nun bis zum Ende bleibt oder eben nicht. Der Zeitpunkt, an dem das einen Unterschied gemacht hätte, ist eh verstrichen. Bringen wir den Rest also achselzuckend hinter uns.

Viel wurde in den vergangenen Wochen an Statistiken bemüht, die Borussias Absturz zu erklären versuchten: Abschlüsse im letzten Drittel, die sogenannten „Expected Goals“, Laufleistung, Passquoten, Anzahl an Sprints – fast überall hat die Mannschaft zuletzt rapide abgebaut. Es soll an dieser Stelle lediglich auf einen Umstand hingewiesen werden, den mein geschätzter Kollege Uwe Pirl im Anschluss an das Spiel gegen ManCity korrekt bemerkt hatte, weswegen ich hier seine WhatsApp im Original zitieren möchte: „Was mir bei uns momentan auffällt, ist das grottenschlechte Passspiel. Kaum ein Pass kommt wirklich in den Lauf. Kaum ein Pass hat die richtige Schärfe. Kaum ein Passt kommt ´one touch´. Kaum ein Pass kommt so, dass der Mitspieler unmittelbar damit etwas anfangen kann. Ein Spieler wie Stindl, der das zweifellos kann, guckt momentan bei der Ballannahme auf den Ball und nimmt dann den Kopf hoch, bevor er spielt. Das ist genau die Sekunde, die er im Spiel gegen Bayern für den Assist auf Hofmann nicht gebraucht hat.“

Was hilft also im Blues (sic!), der zurzeit rund um die Hennes-Weisweiler-Allee herrscht? Richtig, Kontext: Beim Blick auf die Zustände beim kommenden Gegner Schalke 04 befindet sich Borussia im Vergleich noch immer auf der Insel einer rosaroten Glückseligkeit. Es mag ein schwacher Trost sein, zugegeben. Das Schalke, das noch vor zweieinhalb Spielzeiten unter Trainer Tedesco relativ unattraktiv, aber letztlich erfolgreich Vize-Meister wurde, taumelt seit einem Jahr wie ein seelenloser Zombie schnurstracks in den Abgrund. (Nette Anekdote: Tedesco musste seinerzeit nach einem 0:7 gegen ManCity in der Champions League gehen.) 

In Dimitrios Grammozis versucht sich der fünfte (!) Trainer seit Saisonbeginn an der Mannschaft. Sportvorstand Schneider wurde entlassen, es bilden sich Gruppierungen außerhalb des Aufsichtsrates, die ohne Mandat mit möglichen Kandidaten verhandeln. Auf der sportlichen Habenseite (darf man das so nennen?) steht ein Saisonsieg, dagegen 17 Niederlagen und 66 Gegentore. Allein Schalkes Tordifferenz ist größer als jede andere Mannschaft überhaupt Gegentreffer bekommen hat. Schalke bräuchte aus den letzten neun Spielen circa sieben Siege, um überhaupt noch Chancen auf den Relegationsplatz zu haben. 

Das Duell mit Borussia wird also eins der Frustrierten. Was es wiederum für Borussia kompliziert macht, denn ein Selbstläufer wird das Spiel in Gelsenkirchen trotz allem nicht. Das Risiko einer Blamage ist mehr als vage, die Leistungen gegen tief stehende, spielerisch limitierte und qualitativ schlechtere Mannschaften aus den vergangenen Wochen (Köln, Mainz, Augsburg) geben keinen einzigen Grund, überheblich zu sein. 

Sollte Borussia auch dieses Spiel verlieren, wären sowohl Inhalt (Spiel verloren) als auch Kontext (achtes Spiel in Folge! Gegen Schalke!) ausnahmsweise eins: beschissen. 

Die Tipps der SEITENWAHL-Redaktion:

Mike Lukanz: Noch ein Tiefpunkt. Und noch ein tieferer Tiefpunkt. Und dann noch ein Tiefpunkt. Schade, dass Waldemar Hartmann am Samstag nicht dabei sein wird. Nach dem 0:0 könnte er mit Max Eberl den legendären Rudi-Völler-Dialog sicher nachholen. 

Claus-Dieter Mayer: Nach dem 1:1 in Gelsenkirchen schwärmt Marco Rose von einem „fantastischen Derby“. 

Christian Spoo: Im Duell Schalke gegen Rückrunden-Schalke gelingt den verunsicherten Gladbachern nicht viel. Das 1:1 ist so leistungsgerecht wie unbefriedigend, bleibt aber ohne Konsequenzen. 

Thomas Häcki: Das Spiel ist ein typisches -1:-1. Da ein solches Ergebnis nicht möglich ist, wird der Borussia nach dem 0:1 die Deppenkrone aufgesetzt. Gleichzeitig ist dies aber auch das erwartete Ende einer Ära. 

Uwe Pirl: Der Defätismus der Kollegen ist kaum auszuhalten, deshalb muss ich ja antizyklisch tippen. Der Knoten platzt: 5:1 für Borussia. Darunter 3x Plea.