Kramer

Borussia hat die Pflichtaufgabe Schalke bewältigt und die Misserfolgsserie erst einmal gestoppt. Das 3:0 in Gelsenkirchen war auch in der Höhe absolut verdient und verschafft der Mannschaft eine Atempause, die Diskussionen im Umfeld dürften zumindest vorübergehend etwas an Schärfe verlieren. Die Partie auf Schalke war der erwartete Anti-Leckerbissen. Immerhin trafen die erfolglosesten Teams der Rückrunde aufeinander, wobei Borussia in der Rückrundentabelle bis zu diesem Samstag sogar noch hinter dem designierten Absteiger aus dem Ruhrgebiet lag. Dass dieses Schalke 20/21 tatsächlich die schlechteste Mannschaft ist, die die Liga in den vergangenen 50 Jahren bevölkert hat, war nun auch für die Anhänger von Borussia deutlich zu sehen. Gegen das Trümmerteam der Trainerverschleißmeister reichte die höhere individuelle Qualität des Gladbacher Kaders aus. Die Schwächen, die uns seit vielen Wochen bekümmern, waren aber auch in diesem Rückrundenkellerduell deutlich zu erkennen. Borussia bestritt die erste Halbzeit überlegen aber nicht souverän. Auch die Führung, die Lars Stindl nach einem Scheibenschießen im Strafraum mit einem berherzten Treffer unter die Latte erzielte, brachte nicht die gewünschte Ruhe. In der Folge leistete sich Borussia teils haarsträubende Fehler im Aufbau, es war allein der Schwäche des Gegners zu verdanken, dass diese Fehler ungeahndet blieben. Zu Beginn der zweiten Halbzeit versuchten die Schalker es kurz mit Pressing, was Borussia sichtlich unangenehm war. Das 2:0, das der kreisligahaft gedeckte Lainer im Anschluss an einer Hofmann-Ecke per Kopf erzielte, beendete aber jeden Zweifel am Ende der Sieglos-Serie. Schalke legte sich in der Folge noch ein Slapstick-Ei ins eigene Tor. Die Schlussviertelstunde brachte den Anhängern der Borussia etwas, was sie lange nicht erleben durften: Langeweile. Dem Team beim routinierten Verwalten eines komfortablen Vorsprungs zusehen zu können, ist ein Luxus, den man als Gladbach-Fan lange nicht hatte.

Was aber bedeutet der Sieg auf Schalke nun für die Restsaison? Erst einmal gar nichts. Eine derart schwache Mannschaft wie Schalke 20/21 wird Borussia frühestens in der ersten Hauptrunde des DFB-Pokals der kommenden Spielzeit wieder vor die Flinte bekommen. Die Aufgaben, die in den letzten Bundesligaspielen warten, sind allesamt deutlich schwieriger. Immerhin ist mit den drei Punkten aus Gelsenkirchen der Klassenerhalt gesichert. Selbst im unwahrscheinlichen Fall, dass Borussia bis Saisonende ab jetzt punktlos bleibt, dürfte sie nicht tiefer rutschen, als Platz 15. Um ein Brustlöser, ein Wendepunkt oder gar der Beginn einer wundersamen Aufholjagd zu sein, war das Spiel vom Samstag aber nicht gut genug. Die Schwächen, die uns spätestens seit der Heimniederlage gegen Köln bekümmern, waren immer noch zu sehen: Vorne betrieben die Offensiven zeitweise Chancenwucher, die Fehler in Defensiv- und Aufbauspiel waren zeitweise atemberaubend, Konsequenz fehlte über weiter Strecken nicht nur im Abschluss sondern auch im Passspiel, von einer Spielidee war weit und breit nichts zu sehen. Damit wie auch immer entstandene Knoten platzen, braucht es mehr als einen Pflichtsieg gegen einen desolaten Gegner. So kann sich Marco Rose zwar freuen, dass sein Job bis auf Weiteres und vermutlich sogar bis zum Vertragsende am 30.06. gesichert ist, die Frage nach dem Zusammenhang zwischen seiner Demission und der spielerischen Remission bei Borussia bleibt aber virulent - auch wenn vereinsintern noch so oft beteuert wird, dass alles in Butter ist.

"Brutaler Quatsch" ist es in den Augen von Borusias Rhetorik-Weltmeister Christoph Kramer, eine direkte Verbindung von Roses Abschied vom Verein und Borusias Abschied von vernünftigem Fußball zu ziehen. Im ZDF-Sportstudio legte Kramer einen bemerkenswerten Auftritt hin. Und natürlich hat Kramer mit der Antwort auf die Frage, die ihm nach eigenem Bekunden auch seine Eltern regelmäßig stellen, oberflächlich betrachtet völlig Recht. Kein Spieler wird auf die Ankündigung Roses, Mönchengladbach gen Dortmund zu verlassen, mit bewusster Leistungsverweigerung reagieren. Natürlich ist allen Spielern bekannt, in welchen Business sie unterwegs sind und dass Jobwechsel dazugehören wie Scheidt zu Bachmann (wie man in Rheydt aka Mönchengladbach 2 zu sagen pflegt). Und natürlich sind sie Profis. Dass kein Spieler mit Überzeugung sagen wird: "Trainer geht, gebe ich also ab sofort nur noch 50 Prozent", weiß jeder Fan mit einem IQ oberhalb von 85. Genauso weiß aber jeder halbwegs intelligente Mensch, mithin also definitiv auch Christoph Kramer, dass externe Faktoren die Leistung einzelner Spieler und erst recht eines komplexen Gefüges wie einer Fußballmannschaft trotzdem beeinflussen können. Kramers Auftritt war perfekt: In einer Mischung aus Eloquenz und Emotion quasselte er seinen Gesprächspartner Boris Büchler in die Sprachlosigkeit. Er nahm sie alle mit, nannte die Theorien der Fans "brutalen Quatsch", holte diejenigen, die sie aufstellen aber mit der Analogie "meine Eltern" quasi heim in die Familie. Er schaute dabei so treuherzig, dass man ihn nur liebhaben konnte und sprach kein einziges Mal die Unwahrheit. Eine eindrucksvollere Bewerbung um das Amt des Pressesprechers nach dem Ende seiner aktiven Laufbahn hat selten jemand abgegeben. Was für ein Unterschied zu den linkischen und unbeholfenen Auftritten seines Sportdirektors. Wo Max Eberl Worthülse an Worthülse stanzt, mit jedem Satz die Distanz zur Anhängerschaft nicht nur illustriert sondern auch vergrößert und flexibel mit der Wahrheit umgeht, zeigt Christoph Kramer, wie es geht. Man sollte ihm vorschlagen, eine betriebsinterne Weiterbildung "Öffentlichkeitsarbeit" anzubieten. Das könnte sich auszahlen. Am langen Ende. Ein Stück weit. Stand jetzt.

PS: Gerade explodiert mein Handy. Xabi Alonso. Erste Reaktion: "Wat?" Zweite Reaktion: "Warum nicht Markus Kauczinski?" Dritte Reaktion: "Immer ruhig mit den jungen Pferden". SEITENWAHL bezweifelt (noch) den Wahrheitsgehalt dieser Meldung. Ente auf Spanisch: El pato. Mehr dazu vermutlich sehr bald in diesem Theater.