„Auswärts hui, zu Hause pfui“. Ein Spruch wie gemalt für die Borussia. Zumindest bis in die 80er Jahre hinein. Mit schwungvollem Konterspiel gewann man nicht nur die Herzen vieler bundesdeutscher Fußballfans, sondern auch entscheidende Partien auf des Gegners Platz. Höhepunkt war sicherlich das 5:1 bei Twente Enschede 1975, als man im Rückspiel das erste Mal einen internationalen Titel an den Niederrhein holen durfte. Auch die zweite Meisterschaft 1971, die man mit einem 4:1 in Frankfurt besiegelte und den FC Bayern auf Distanz hielt, fällt in diese Kategorie. Die Borussia spielte auswärts zeitweise so gut, dass man selbst bei Real Madrid die Hilfe eines holländischen Schiedsrichters in Anspruch nehmen musste, um nicht im eigenen Stadion düpiert zu werden. Borussia und Auswärtssieg – dass passte lange Zeit zusammen. Die Realität sind derzeit anders aus.

Spätestens in den 90er Jahren änderte sich das Bild. Gladbachs Fans nahmen es mit Humor und erfanden für ihr Team den wenig schmeichelhaften Titel der Auswärtsdeppen. Selbst entworfene Trikots waren in kürzester Zeit ausverkauft. Eigentlich änderte sich dieser Trend erst wieder, als ein gewisser Lucien Favre das Ruder übernahm. Plötzlich begeisterte man auch wieder auf fremden Plätzen und besiegte in dieser Phase sogar den übermächtigen FC Bayern öfter, als in 50 Jahren zuvor. Umso ungläubiger reibt sich der Fan nun die Augen, wenn er auf die Bilanz 2016 schaut. 2 Siege stehen dort zu Buche. Ein 2:0 im bedeutungslosen letzten Spiel in Darmstadt und ein 1:0 beim SC Drochtersen/Assel. Hinzu kommen je ein Unentschieden in Augsburg und bei den Bayern. Dagegen stehen 8 Niederlagen, zum Teil mit erschreckenden Darbietungen. Ist die Borussia zu Hause eine Macht, so ist sie Auswärts zum Punktelieferanten mutiert. Die Statistik lügt nicht. Im Unterschied zu den grauen Jahren verfügt die Borussia allerdings über einen hervorragenden Kader, anders wären auch die Erfolge der Champions League Teilnahme und die zum Teil berauschenden Heimauftritte wie zuletzt gegen Werder Bremen kaum zu erklären. Woher kommt diese Diskrepanz? Erklärungsansätze gibt es viele, aber wirklich erklärbar ist es nicht. Auffällig ist nur, dass von Selbstbewusstsein vor heimischer Kulisse auf des Gegners Platz plötzlich nichts mehr zu spüren ist.

An Selbstvertrauen mangelt es den Sachsen von Österreichs Gnaden hingegen nicht. Nein, RB Leipzig ist noch weit davon entfernt, der nächste Bayern-Jäger zu sein, ungefähr genauso weit wie die Borussia vermutlich. Aber es ist dem Neuling gelungen, den Schwung des Aufstiegs mitzunehmen und Akzente zu setzen. Borussia Dortmund musste dies bereits schmerzhaft erfahren. Der HSV ging im eigenen Stadion zuletzt mit 0:4 unter. Keine Frage, dass das Marketingexperiment-Ost auch gegen die Borussia mit breiter Brust antreten wird. Sollte deren Auftritt dann ähnlich konfus und ängstlich sein, wie in den letzten Begegnungen, kann man sich die Fahrtkosten nach Leipzig getrost sparen. Denn ganz so einfach wie beim letzten Aufeinandertreffen wird diese Reise nicht werden. Vor über 20 Jahren war man zum einzigen Mal Gast in der sächsischen Metropole. 1:1 hieß es am Schluss gegen den VfB Leipzig, der nur ein einjähriges Gastspiel in der Bundesliga hatte. Danach verschwand er, wie so mancher anderer Ostverein in der Versenkung und mutierte zur Bedeutungslosigkeit.

Leipzig, Magdeburg, Jena, BFC Dynamo, Rostock, Cottbus … die Liste der Traditionsvereine aus dem Osten, die nicht einmal mehr zweitklassigen Fussball bieten können, ist lang. Dementsprechend groß ist die Sehnsucht nach einem Vertreter aus den nicht mehr ganz so neuen Bundesländern. Red Bull hat diese Sehnsucht erkannt und surft dementsprechend auf der Ostalgie-Welle. Wie sehr dies Konzept ist, erkennt man an der Wahl des Standortes. Leipzig war nämlich keineswegs erste Wahl. Zunächst versuchte der Brause-Hersteller sein Projekt an anderen Standorten zu etablieren, zuletzt war Fortuna Düsseldorf im Gespräch. Westlicher geht es kaum noch, Ostalgie-Gefühle kommen da allenfalls bei den Niederländern auf. Nicht alle lassen sich von dieser Masche vereinnahmen. Die „Ost-Band“ Silly trat bei einer RB Leipzig Feier in den Trikots von Traditionsvereinen ausdem Osten auf. Das Echo war geteilt. Die Zahl der Kritiker ist hoch, die Nachfrage nach einem „Ost-Vertreter“ aber ebenso, was auch die Zuschauerzahlen beweisen. Gerne wird auch mit den professionellen Strukturen argumentiert, die es im Profi-Fussball braucht. Als ob Mainz, Augsburg, Bayern und natürlich Mönchengladbach ihre Erfolge ohne professionelle Strukturen hätten schaffen können. Natürlich sind auch diese Vereine mit der Wirtschaft verknüpft und pflegen intensive Sponsoring-Aktivitäten. Der Unterschied liegt aber darin, dass diese Vereine ihren Erfolg zunächst selbst erwirtschaften müssen und nicht die Gnade eines Großkonzerns, unabhängig vom sportlichen Erfolg, genießen können. Verweise auf Wolfsburg und Leverkusen sind dabei in etwa so, als wollte man den Teufel mit dem Beelzebub rechtfertigen.

Egal, wie man dies nun bewerten mag – Borussia Mönchengladbach wird sich am Mittwoch zunächst der sportlichen Herausforderung stellen müssen. André Schubert hatte auf die dürftigen Darbietungen in Freiburg und Manchester reagiert und die Mannschaft personell verändert. Mit Erfolg. Der Kader ist bekanntlich qualitativ breit besetzt und die Anforderungen der nächsten Wochen sind anspruchsvoll. Insofern ist nicht zu erwarten, dass die  Startelf von Bremen unverändert bleibt. Interessant dürfte die Personalie Christensen werden, der zuletzt ungewöhnlich schwach in der Verteidigung agierte, im defensiven Mittelfeld aber eine passable Rolle spielte. Auf seiner Position wusste hingegen Vestergaard zu gefallen. Dies allerdings gegen einen Gegner, der offensiv in der ersten Halbzeit nicht stattfand und erst agil wurde, als die Borussen einen Gang zuviel heruntergeschaltet hatten. Leipzig agierte zuletzt forsch und wird besonders gegen einen Champions-League-Teilnehmer nicht weniger Elan zeigen. Für die Borussia ist es daher wichtig, die Spielkontrolle zu behalten und sich der Herausforderung nicht nur spielerisch, sondern auch kämpferisch zu stellen. Ansonsten wird es schwer, gegen einen engagierten Aufsteiger zu bestehen. Auch wenn Bayern und Dortmund die Bundesliga dominieren – die Liga ist zu stark und ausgeglichen, dass man sich 95-Prozent Einsatz ohne eine erste Hälfte wie gegen Werder erlauben dürfte.

Mögliche Aufstellungen

Leipzig: Gulacsi - Bernardo, Orban, Compper, Halstenberg - Ilsanker, Demme - Kaiser, Forsberg - Werner, Poulsen

Borussia: Sommer – Elvedi, Vestergaard, Jantschke – Kramer, Christensen - Wendt, Johnson – Stindl – Raffael, Hazard

Seitenwahl-Prognose:

Thomas Häcki: Man sieht es und möchte verzweifeln. Wieder einmal lassen sich die Borussen auf fremden Rasen beeindrucken und verlieren sang- und klanglos mit 0:2. Die Auswärtsschwäche löst nun auch außerhalb des Borussen-Umfeldes Kopfschütteln aus.

Christian Spoo: Eine gute Halbzeit macht noch keinen Frühling. Borussia knüpft leider an die Leistung aus dem zweiten Durchgang gegen Bremen an und verliert beim Club, den es nicht geben darf, mit 1:3.

Claus-Dieter Meyer: Auch in diesem Auswärtsspiel glänzt die Borussia nicht, zeigt sich aber erheblich bissiger als in Freiburg und Manchester und erarbeitet sich am Ende ein verdientes 1:1, welches die eine Hälfte der Anhängerschaft als Ende des Auswärtsfluchs feiert, während für die andere Hälfte das Auswärtsdeppentum kein Ende nimmt.

Volkhard Patten: Gladbach holt Leipzig mit einem souveränen 3:1-Auswärtssieg auf den Boden der Tatsachen zurück.

Uwe Pirl: Es wird Zeit, dass jemand den Österreichern die Euphorie austreibt. Wenn Borussia sich besser konzentriert als gegen Freiburg und die Form des Leverkusen-Spiels mit nach Salzburg nimmt, gelingt das. 3:2 für Borussia!

Michael Heinen: Ach wie schön wäre es, wenn Borussias schwarze Auswärtsserie ausgerechnet in Leipzig enden könnte. Leider ist die Welt aber nicht immer schön, sondern am Ende gewinnt allzu oft das Böse. So ist es auch am Mittwoch, wenn der Brauseklub den nächsten Spitzenklub mit 2:1 besiegt.

Christoph Clausen: Das Konstrukt, das seine Existenz der Feigheit des DFB verdankt, hat gegen auswärts gewohnt hasenfüßige Borussen wenig Mühe und siegt mit 2:0.