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VfB StuttgartDen überraschendsten Stuttgarter Einfall gab es nach dem Spiel. Kapitän Serdan Tasci befand, der Gegner aus Gladbach habe ja „nur ein paar Mal auf unser Tor geschossen, aber trotzdem drei Tore erzielt.“ Das war, vorsichtig formuliert, eine originelle Sichtweise. Insgesamt 19 Gladbacher Torschüsse zählten die Statistiker von bundesliga.de. Darunter waren ein halbes Dutzend hochkarätige Chancen, doch Arango, Reus, Hanke, Nordtveit und Herrmann scheiterten entweder am blendend aufgelegten Ulreich oder zielten zu ungenau. Wäre die Gladbacher Chancenverwertung tatsächlich so formidabel gewesen, wie Tasci hinterher suggerierte, die Borussia hätte sich für das 0:7 aus der Vorsaison in ähnlicher Höhe revanchiert.

 

Wie Tasci hatten sich schon andere vor ihm schwer getan, eine Niederlage gegen Gladbach vornehmlich auf die Stärke des Gegners zurückzuführen. Berlins Markus Babbel und Hannover Ron-Robert Zieler betonten gleichermaßen das Glück, das Marco Reus bei seinen Treffern gehabt habe, Bastian Schweinsteiger machte den Rasen dafür verantwortlich, das man keine Lücke im Geflecht der zwei Gladbacher Viererketten gefunden hatte. Die Suche nach Relativierungen hat Gründe, die über reine Enttäuschung hinausgehen. Nicht jeder kommt auf dem Spielfeld mit dem Tempo des Gladbacher Spiels mit und nicht jeder abseits davon gedanklich mit dem Tempo der Gladbacher Entwicklung. In Rekordzeit ist aus einem Abstiegskandidaten eine Mannschaft geworden, die in schöner Regelmäßigen Mannschaften aus dem Mittelfeld der Liga spielerisch und taktisch überlegen ist und Spitzenteams auf Augenhöhe begegnet. Das zu begreifen fällt manchen noch schwer.

 

Es ist ja eigentlich auch unglaublich. Ein gutes halbes Jahr ist es erst her, da zitterte sich fast die gleiche Gladbacher Mannschaft durch zwei nervenaufreibende Relegationsspiele. Inzwischen beträgt der Vorsprung auf den Relegationsplatz satte 18 Punkte, auf einen Platz ohne Europacup-Berechtigung 12, auf einen Nicht-Champions-League-Platz 8. Borussia hat am 19. Spieltag bereits so viele Punkte auf dem Konto wie nach der Saison 09/10, als diese Ausbeute weithin, auch an dieser Stelle, als höchst respektabel angesehen wurde. Damals freilich hatte Borussia die drittmeisten Gegentore der Liga kassiert, aktuell sind es die wenigsten.

 

Warum das so ist, war auch am Sonntag wieder zu besichtigen. Selbst als die Stuttgarter fast alles nach vorne warfen, brachten sie die Gladbacher Defensive kaum jemals ernsthaft in Bedrängnis. Wie die Bayern in der Vorwoche, suchten auch zunehmend ratlose Schwaben ihr Heil in hohen Bällen, die freilich meist sichere Beute von Dante, Stranzl oder ter Stegen wurden. Kehrseite des Stuttgarter Brechstangenspiels waren riesige Räume, wie gemalt für das Gladbacher Konterspiel. Wenn man den Borussen eines vorwerfen kann, dann dass sie es versäumten, die Partie schon frühzeitig zu entscheiden. Wie sie es in der 81. und 84. Minute schließlich aber taten, das erfreute nicht nur Max Eberl, der völlig zu Recht von einer „Augenweide“ sprach.

 

Und allmählich geraten die Tascis der Liga in die Minderheit. Lange hatten viele Experten gemutmaßt, der Gladbacher Höhenflug sei eine schöne Episode, aber nicht mehr. Die tapferen Borussen würden am äußersten Rand ihrer Möglichkeiten agieren, so dass eine baldige Kurskorrektur der tabellarisch überbewerteten Aktie der normale Gang der Dinge sei. So langsam wächst die Ahnung, dass die Borussen sich aus der Spitzengruppe der Liga vielleicht nicht mehr werden vertreiben lassen. Zu konstant agiert die Favre-Truppe, zu selten sind Tiefpunkte wie in Augsburg, zu unbeeindruckt zeigt sich die Mannschaft von medialer Hysterie wie jener, nachdem Marco Reus‘ Wechselentscheidung publik wurde.

 

Spieler und Verantwortliche hingegen halten den Ball weiter flach, und das nicht nur auf dem Spielfeld, wo die hohe Gladbacher Flanke in den Strafraum eine aussterbende Spezies ist. Schließlich lebt es sich in der Rolle des Außenseiters ganz gut. Und trotz scheinbar komfortabler Polster: Bei allen drei Verfolgern im Kampf um das europäische Geschäft oder gar die Champions League muss Borussia noch auswärts antreten. Bis dahin tut man gut daran, weiter von Spiel zu Spiel zu denken, so klischeehaft das auch klingen mag. Immerhin sind die Borussen in den letzten zwölf Monaten mit dieser Taktik exzellent gefahren. Und wenn der Rest der Liga auch in den verbleibenden fünfzehn Spielen mit dem Gladbacher Tempo nicht mitkommt, wäre das nicht die schlechteste Nachricht.