wolfsburg neu

Jetzt sind wir bei SEITENWAHL ja nicht unbedingt für unbeirrten, anlasslosen Optimismus berühmt. Also, wir schrecken nicht davor zurück, bei passender Gelegenheit auch mal Kritikwürdiges vorsichtig anzusprechen. So hat Kollege Spoo in seinem Nachbericht zum Spiel gegen Freiburg mit angemessenem Fug und noch mehr Recht den Finger in die Wunde gelegt: Das reichte auf vielen Ebenen einfach nicht für die Bundesliga. Der aufmerksame Leser wird ein kleines “Aber” zwischen den Zeilen schon vernommen haben: Keineswegs war das jetzt so ein Unterschiedsduell, wie daraus medial und - wie immer dort – extrem ergebnisorientiert gemacht wurde. Der Deutschen liebstes Fachblatt verstieg sich bei der Benotung der Spielerleistungen sogar dazu, in der Freiburger Darbietung eine Mannschaft gesehen zu haben, die nochmal deutlich besser und souveräner agiert hatte als der Dortmunder Ballspielverein bei seinem Auswärtssieg bei Bayern München. Den Mathematiker freut es, denn die Schwartzgelben hatten ja schließlich im Süden Deutschlands auch nur mit 0:2 gewonnen.  

Aber da wird ja mutwillig vergessen, dass das keineswegs eine verdiente Halbzeitführung der Freiburger gewesen war, dass Borussia auch in der wirklich schlechten zweiten Halbzeit Chancen für mehr als ein Tor hatte. Da wird dann so getan, als habe Freiburg agiert, wie der Vater gegen die vierjährige Tochter, der sich absichtlich mal tunneln lässt, damit die Filia sich freut. Freiburg hatte einfach das Glück, auf einen völlig indisponierten Gegner zu treffen, der sich zudem völlig verunsichert zeigte. Das hatte weniger mit eigenem Können als mit gegnerischem Unvermögen zu tun, und deshalb verlassen wir an dieser Stelle auch den Gegner im zurückliegenden Heimspiel und versuchen stattdessen zu ergründen, was das für das kommende Gastspiel in Niedersachsen bedeutet.  

Was den Anhänger der Borussia so in Sorge versetzt, ist weniger der Umstand, dass man wenige Chancen erspielt und diese dann zum Teil kläglich vergibt. Es stimmt einfach auch nicht, dass die Mannschaft sich nicht wehrt und sich klaglos in ihr Schicksal ergibt, nicht mal in der zweiten Hälfte am vergangenen Wochenende. Es ist vielmehr – und das ist viel schlimmer – so, dass sie sich eben zu wehren versucht und das, was die Fans am Samstag in Scharen aus dem Stadion trieb, dabei herauskommt. Und dass es eben nicht nur individuelle Fehlleistungen einzelner sind (der unglücklich agierende Omlin wurde ja bereits zur Genüge angesprochen), die zu Niederlagen führen, sondern das Fehlen eines sichernden Korsetts immer wieder dazu führt, dass einzelne Fehlleistungen mit fast tödlicher Sicherheit bestraft werden. Der das Spiel entscheidende zweite Schuss, der Omlin niemals durch die Hände flutschen darf (okay, es reicht doch noch nicht), wäre zuvor gleich zweimal zu verhindern gewesen. Nur der kicker glaubt ernsthaft, das wäre ein fantastisch herausgespieltes Tor gewesen; in Wirklichkeit war es einfach Resultat eines dilettantischen Abwehrverhaltens.  

Es ist derzeit äußerst schwierig einzuschätzen, wieviel der Verunsicherung an den unstrittig katastrophalen Ergebnissen der letzten Spiele liegt. Zumal die Mannschaft ja in dieser Saison nachweislich durch die Unzahl an verschenkten Punkten nach Führung bereits bewiesen hat, dass ihr eigene Erfolgserlebnisse ohnehin kaum Sicherheit bringen, weil sie sich ja oft genug noch genügend gegnerische Erfolgserlebnisse fängt. Diese Gegentorflut, 53 Bälle im eigenen Netz, in Buchstaben dreiundfünfzig, ist Symptom und Ausweis der fehlenden Entwicklung, denn Borussias Konstanz in dieser Saison liegt im Kassieren von vermeidbaren Treffern für den Gegner. Es sind fast zwei pro Spiel. Trainer Seoane schwankt zwischen Vierer- und Dreierkette, bisher hat aber nichts nachhaltig Sicherheit gebracht. Es fehlt anscheinend nach wie vor die klare Idee, der klare Plan. Oder er fehlt nicht, sondern die Spieler sehen sich nicht in der Lage, ihn umzusetzen. Man weiß nicht, was man mehr fürchten sollte. Schauen wir also auf das Personal für Sonntag. 

Außer Manu Koné stehen alle Spieler zur Verfügung, vermutlich auch Elvedi, der am Samstag verletzungsbedingt ausgewechselt werden musste. Jonas Omlin wird trotz seiner missratenen Rückkehr wieder im Tor stehen, alles andere wäre auch unsinnig. Ihn nicht zu bringen, hätte sich Seoane früher überlegen müssen. Das wäre vor dem Freiburg-Spiel eine lohnenswerte Überlegung gewesen. Jetzt wäre es eine Demontage. Die Besetzung der Abwehrkette wird wohl mehr auf Seoanes Intuition zurückzuführen sein als auf leistungsgeprägte Überlegungen. Große Überraschungen kündigen sich nicht an. Chiarodia hat beispielsweise seit seinem unglücklichen Kurzeinsatz in Frankfurt überhaupt nicht mehr auf einem Bundesligarasen gestanden, und seit Wochen ist er nicht einmal mehr im Kader, sondern spielt stattdessen mit der zweiten Mannschaft im Abstiegskampf der Regionalliga West. Wir wollen mal nicht hoffen, dass Seoane ihn über den dort für den in der Bundesliga fit machen wollte. Lukas Ullrich ist sogar noch länger kein Thema mehr. Also lauten die Fragen wohl mehr, ob Lainer oder Scally, ob Wöber oder Elvedi oder Itakura oder doch eventuell Friedrich. Gladbachs Abwehr ist so eine Art Slotmachine, die aber immer schon beim ersten Hochdrücken auf null Sonderspiele zurückfällt.  

Davor werden wohl Weigl und Reitz agieren, ob auch Neuhaus von Anfang an mitwirken wird, hängt sicherlich auch davon ab, ob Plea schon wieder eine Option für die Startelf sein kann. Überhaupt lässt sich in der Offensive am wenigsten sagen, mit welchem Personal die Borussia agieren wird. Dem zuletzt immer weniger einen Faktor darstellenden Jordan würde Seona sicher gerne eine Pause gönnen, ob Tomáš Čvančara aber für einen Startelfeinsatz bereit ist, entscheidet sich eventuell erst kurzfristig. Nach welchem Kriterien Ngoumou oder Hack zu Einsätzen kommen, ist ebenfalls immer noch nicht ganz eindeutig auszumachen. Und auch die Antwort auf die Frage, ob der als einziger einigermaßen stabil wirkende Honorat wirklich auf dem Platz steht, gibt unsere Glaskugel nicht zweifelsfrei her. 

Geschuldet sind diese Unsicherheiten aber auch ein wenig der Tatsache, dass man bei Borussia wenig Gewissheit haben kann, wie der Gegner agieren wird. Ist es doch das erste Heimspiel unter dem neuen Trainer Ralph Hasenhüttl, der am vergangenem Wochenende zum Einstand einen zwar wenig überzeugenden, aber umso wichtigeren Sieg bei Werder Bremen einfahren durfte. Denn Wolfsburg hat nun 28 Punkte und hat sich damit aus dem Abstiegskampf verabschiedet, wie man unter der Woche lesen durfte. Was ein wenig Wunder nimmt, da die Borussia bei trotz der bereits beschriebenen Vielzahl an Gegentreffern leicht besserem Torverhältnis ebenfalls 28 Punkte ihr Eigen nennt. Um diesen Abstiegskampf wirklich zu vermeiden, müssen aber noch Punkte her, das gilt für beide Mannschaften. Das Spiel in Bremen ist durch einen Bremer Platzverweis schon in der ersten Hälfte nach zerfahrenem Beginn ein Muster ohne Wert. Wolfsburg agierte in der Folge nicht allzu souverän, was auch Hasenhüttl anmerkte, der davon sprach, dass man “weit entfernt” davon gewesen sei, was man eigentlich habe machen wollen. Man muss hoffen, dass man sich dem am Wochenende nicht allzu sehr wird annähern können, denn das ist bestimmt besser als das, was Wolfsburg – trotz des Siegtreffers in der zweiten Hälfte - in Bremen zustande brachte. Hasenhüttl hatte immerhin eine gesteigerte defensive Stabilität bewirken können, diesen Weg wird er, wie für Neutrainer typisch, sicherlich zuförderst weiterverfolgen wollen. Dabei wird Lacroix durch eine ebenfalls am Samstag erhaltene Rotsperre nicht mitwirken können. Das sonstige Personal vorauszusagen gliche an dieser Stelle Kaffeesatzleserei. Hasenhüttl hatte nach Dienstantritt diverse Änderungen vorgenommen und beispielsweise den zuletzt überhaupt nicht zum Zuge gekommenen Sarr in die Startelf berufen und ihn Jonas Wind vorgezogen, ob er nach einer weiteren Trainingswoche dabei bleibt, lässt sich nicht seriös vorhersagen.  

Borussia wird also auf einen unberechenbaren Gegner treffen und kann sich auch nicht auf ein stabiles und eingespieltes eigenes System verlassen. Die “Schießbude” komme, frohlockte die örtliche Presse bereits. Denkbar ungünstige Voraussetzungen um die Punkte zu holen, die für eine wirkliche Vermeidung des Abstiegskampfs dringend benötigt werden, wie auch unsere SEITENWAHL-Tipps zeigen. Wie gesagt, unbeirrter, anlassloser Optimismus ist des Seitenwählers Ding jetzt nicht unbedingt:  

Christian Spoo: Borussia steht vor Wolfsburg, wie der Hase vor dem Hüttl, äääh, das Kaninchen vor der Schlange natürlich. Ohne nennenswerte Spannung schlägt der Finalgegner von einst (bald ist übrigens wieder DFB-Pokalfinale) die taumelnde Borussia mit 3:0. 

Michael Heinen: 8 Punkte Vorsprung auf den Relegationsplatz geben eine trügerische Sicherheit. Nach dem 1:2 in Wolfsburg werden es nur noch 5 Punkte sein. 

Kevin Schulte: Nach sieben Heimspielen ohne Sieg strotzt Borussias Gegner trotz des starken Hasenhüttl-Einstands nicht vor Selbstvertrauen. Borussia nimmt beim 1:1 am Mittellandkanal zumindest einen Punkt mit, der im Abstiegskampf noch entscheidend werden kann. Ein Glück, dass Wolfsburg den Trainer schon eine Woche früher ausgetauscht hat. 

Christian Grünewald: Borussia taumelt, fällt und liefert ein erwartbares Auswärtsspiel: 4:0 für Wolfsburg. 

Uwe Pirl: Borussia taumelt nicht mehr, Borussia ist im freien Fall. Das 1:3 in Wolfsburg macht nichts besser. 

Michael Oehm: Der Motor stottert weiter. Beim 4:1 für die Autoexperten verspielt die Borussia die nächsten drei Punkte nach eigener Führung.  

Claus-Dieter Mayer: Borussia holt in einem recht wilden 2:2-Spiel in Wolfsburg immerhin einen Punkt und nähert sich somit im Schneckentempo ganz langsam dem Ziel Klassenerhalt.