hertha berlin neu

Ach, die Borussia! Wann immer man denkt, jetzt ginge alles den Bach runter, schlachtet man den rheinischen Rivalen aus Köln mit 5:2 ab, fiedelt den BVB mit 4:2 weg oder gewinnt elegant mit 4:1 in Hoffenheim. Andersrum ist es aber genauso: Wann immer man denkt, jetzt hätte das Team sich gefunden und könne eine Serie hinlegen, um in die internationalen Plätze zu gelangen, blamiert man sich in Bremen, Bochum oder gegen Schalke 04. Wie unser Seitenwahl-Toxikologe M. Heinen vor einigen Ausgaben schon analysierte, liegt viel an einem zwar qualitativ guten, aber unausgewogenem Kader, dessen ernsthafte Auffrischung nun schon seit 6 Transferperioden ausbleibt und dessen eigentlich beste Spieler nicht mehr da sind, weil sie es so wollen, sondern weil sich das dummerweise so ergeben habt.

Das Gladbacher Umfeld hat sich ob dieses Auf und Abs bislang einigermaßen geduldig gezeigt, was auch daran liegt, dass man dem sympathischen und kommunikativen Trainer Farke einiges an Kredit gewährt, aber wie die gellende Pfiffe nach Ende des Schalke-Spiels zeigen, ist dieser Geduldsfaden auch nicht endlos lang. Man kann diskutieren, ob dies gut oder schlecht ist, aber am Sonntag hat die Mannschaft gleich nochmal die Chance zu zeigen, dass sie vielleicht doch in der Lage ist gegen einen unangenehmen Abstiegskandidaten zu gewinnen. Berlin ist dabei nicht immer ein gutes Pflaster für den VFL gewesen: die Resultate der letzten 4 Partien lauten aus Gladbacher Sicht: 2:4,0:0,2:2,0:1, wobei die Hertha in diesen Jahren die Plätze 11, 10, 14 und 16 belegte. Es stellt sich also die Frage, wie tief die Berliner noch sinken müssen, damit die Borussia mal wieder im Olympiastadion gewinnt.

Beim diesjährigen Versuch eines Auswärtssieges in der Hauptstadt wird auf jeden Julian Weigl fehlen, der eine Gelbsperre absitzt. Dies könnte für eine Startelf-Rückkehr von Florian Neuhaus sorgen, der seitdem er wieder im Kader ist nur in Augsburg nennenswerte Spielzeit hatte und das auch nur, weil Christoph Kramer angeschlagen war. Die vom Kicker spekulierte Verbannung Nico Elvedi auf die Bank hingegen zeigt nur, wie wenig man beim Fachblatt aus Nürnberg über die Borussia weiß, denn seit Jahren gilt die Gladbacher Grundregel: Elvedi spielt! Dass er dies in der jüngeren Vergangenheit nicht besonders guttat (Kicker-Notendurchschnitt der letzten 6 Spiele: 4.5), wird daran auch nichts ändern.

Ach, die Hertha! Wenn beim eigenen Team nicht alles rund läuft, ist es ja immer ermutigend auf andere Vereine zu schauen, bei denen die Situation noch viel düsterer erscheint. Investor weg, Sportdirektor weg, drei Siege in 19 Spielen. Dabei hatte es doch alles ganz anders werden sollen nach der letzten Saison, in der man so tief sank, dass man zum Ende Felix Magath als Trainer benötigte, um den Abstieg in der Relegation gerade noch zu verhindern. Zum einen gab es mit Kay Bernstein einen neuen Präsidenten, bei dessen Erwähnung es absolute Journalisten-Pflicht ist, stets seine Ultra-Vergangenheit zu erwähnen, als ob Bernstein zu Präsidiums-Sitzungen stets schwarz vermummt mit Pyros in der Hand erschiene. Dann gab es mit Sandro Schwarz einen neuen Trainer, der nichts mit dem Glamour der Herren Klinsmann oder Magath mehr gemein hatte, sondern eher für harte Arbeit mit einem Schwerpunkt auf solider Defensive stand. Und zunächst schien es, als würde die neue bodenständige Hertha auch funktionieren. Exemplarisch dafür ist das Hinspiel in Mönchengladbach, das die Pensionärin aus Berlin eher unglücklich verlor und nach dem Sandro Schwarz befand: „Wir haben sehr ordentlich gespielt und hatten viele Chancen. Wir haben unglücklich verloren. Wir waren sehr mutig und haben alles ausgeschöpft. Auf dieser Leistung gilt es aufzubauen. Dann kommen auch die Ergebnisse." Und so ähnlich ging es weiter. Die Mannschaft habe unter Schwarz große taktische Fortschritte gemacht, Lukebakio sei gereift, und überhaupt was für eine tolle Moral nach 0:3 gegen Bayern fast noch ein Unentschieden zu spielen. Vieles rund um die Hertha las sich zunächst mal recht positiv, aber die Ergebnisse kamen halt nicht (trotz der Vorhersage des Trainers) und so sank die Hertha fast ein wenig unbemerkt langsam auf einen Abstiegsplatz.

Nicht wirklich hilfreich dabei sind die Tumulte im Umfeld des Vereins. Der Abgang des Investors Lars Windhorst im Herbst mag noch eine eher befreiende Wirkung gehabt haben, aber der Trubel um die Entlassung von Sportdirektor Fredi Bobic Ende Januar wird nicht spurlos an der Mannschaft vorbeigegangen sein. Zumindest für die Außenwelt kam dieser Schritt überraschend, war Bobic doch erst 1.5 Jahre im Amt und damals nach seiner sehr erfolgreichen Zeit in Frankfurt mit der Hoffnung verpflichtet worden aus der jahrelangen Stagnation der Ära Preetz herauszukommen. Sehr schnell gab es Gerüchte über die Gründe für diese Entlassung. War das die Strafe der Hertha für Bobics Flirt mit einem Job beim DFB? Oder wurde der Schwabe gefeuert, weil er sich gegen eine Verpflichtung von Max Kruse stellte? Konnten Bernstein und Bobic einfach nicht miteinander? Es ist wohl kein Geheimnis in Berlin, dass Bobic sich bevor Bernstein zum Präsidenten gewählt wurde, für dessen Gegenkandidaten Frank Steffel starkgemacht hatte, was sicherlich nicht die beste Voraussetzung für eine Zusammenarbeit war. Dann gibt es jetzt auch noch die Berichte im Berliner Boulevard über extreme Gehaltszahlungen. Während Bobic auf Spielerebene sparte, indem er z.B. Cunha verkaufte, stellte er im Umfeld (Scouts, Betreuer) im großen Stil ein und tauschte dann auch noch fröhlich Trainer, was wiederum Geld kostete. Interessanter als diese Vorwürfe selbst sind vielleicht die Tatsache, dass sie mit genauen Summen garniert sind, ein Zeichen dafür, dass die Informationen aus dem inneren Zirkel der Hertha an die Presse weitergegeben wurden.

Und so ist die Hertha im Februar 2023 leider nicht der bescheidene, seriöse Verein, der man zu Saisonbeginn werden wollte, sondern weiterhin ein Chaos-Verein, der aber mittlerweile keine großen Gelder mehr zur Verfügung hat und sportlich schlechter denn je dar steht.

Im Prinzip hat die Hertha einen Kader, der in der Lage sein sollte solche Mannschaften wie Bochum oder Schalke hinter sich zu lassen. Lukebakio (mit 7 Toren der erfolgreichste Stürmer) hat die Borussia schon manchmal vor Probleme gestellt und mit Spielern wie Serdar und Tousart that man auch diverse technisch beschlagene Kicker in seinen Reihen. Neuestens spielt auch Tolga Cigerci (einstmals auch Borusse) wieder bei der Hertha. Das Problem in Berlin ist (und da gibt es dann auch Parallelen zur Borussia), dass die Gesamtleistung weniger ergibt als die Summe der Einzelteile verspricht.

Das Spiel gegen Gladbach ist für die Hertha und vor allem für ihren Trainer Sandro Schwarz ein kleines Endspiel. Bereits 5 Punkte Rückstand sind es auf den 15.Platz, in der Woche darauf muss man in Dortmund spielen, das ist ein Sieg gegen eine ungefestigte Larifari-Mannschaft wie die Borussia eigentlich Pflicht. Da die Qualitäten der Borussia als perfekter Aufbaugegner bekannt sind, sollten die Chancen dafür auch gar nicht so schlecht stehen. Außer der VFL überrascht uns mal wieder in dieser Achterbahn-Saison.

 

Seitenwahl-Tipps:

Claus-Dieter Mayer: Hertha spielt nicht gut, aber engagiert. Und das reicht gegen eine lethargische und überhebliche Borussia zu einem 1:0-Sieg.

Michael Heinen: Zum zweiten Mal in Folge trifft Borussia auswärts auf einen angeschlagenen Gegner, deren Trainer kurz vor dem Aus steht. Zum zweiten Mal in Folge wird Borussia dieses Aus beschleunigen. Dieses Mal reicht es allerdings nur zu einem 3:1-Auswärtssieg.

Uwe Pirl: Zum zweiten Mal in Folge trifft Borussia auf einen Abstiegskandidaten. Zum zweiten Mal in Folge verkackt Borussia die Chance, Anschluss ans vordere Tabellendrittel herzustellen. Mit dem 1:1 in Berlin bestätigt Borussia einmal mehr den Status als der Bundesligaverein, der aus seinem Potential am Wenigsten macht.

Christian Spoo: Auch gegen Hertha zaubert Borussia wenig von der (vermeintlich) vorhandenen größeren Qualität auf den Platz. Am Ende steht eine etwas enttäuschende Punkteteilung. 1:1.

Michael Oehm: Stellt die Weizengläser bereit, es kommt ein noch tieferer Tiefpunkt: das 0-0 ist dieses Mal nicht nur glücklich, sondern nachgerade schmeichelhaft. Und das gegen Hertha!

Volkhard Patten: Nach dem blutleeren Auftritt gegen Schalke wird es nicht besser. Nach dem 0:0 feiern wir immerhin Omlins zweites Spiel in Folge ohne Gegentreffer