Es ist vollbracht. Mit dem Gastspiel des BVB im Borussia-Park wird das sehr durchwachsen verlaufene Fußball-Jahr 2022 zu einem hoffentlich noch halbwegs versöhnlichen Abschluss gebracht. Mehr als Mittelmaß ist für die Gladbacher allerdings selbst bei einem weiteren Heimsieg nicht mehr zu erreichen. Nicht wenige befürchten nach der trostlosen Vorstellung im Bochumer Ruhrstadion sogar, dass das Borussen-Jahr ähnlich enden könnte, wie es im Januar begann – mit einem bösen Knall und vielen Tränen.

Noch Anfang des vergangenen Monats fiel das Zwischenfazit der meisten Beobachter für diese Hinrunde sehr positiv aus. Borussia hatte das Derby am 9. Spieltag mit 5:2 gewonnen und sich auf den 6. Tabellenplatz vorgearbeitet. Seitdem wurde die Stimmung durch eine Serie von 4 Niederlagen – bei nur je einem Remis und Sieg – stark eingetrübt. Neben dem bitteren Pokalaus und der Niederlage beim Tabellenvorletzten schmerzt besonders die stark erhöhte Anzahl der Gegentore. Im Durchschnitt waren es zuletzt zwei pro Partie, was durch eine zunehmend indiskutabel auftretende Defensive erklärbar wird.

Wenn es schlecht läuft, werden schnell die Rufe nach – zumeist jungen, talentierten – Alternativen laut. Spieler aus der eigenen Jugend haben den Vorteil, dass man sie noch nicht wirklich kennt, ihnen aber eher einmal einen schlechten Auftritt verzeiht. Zudem erinnern wir uns alle gern an die Positivbeispiele von jungen Talenten, die ins kalte Wasser geschmissen wurden und sich direkt auf großer Bühne behaupteten – selbst wenn diese nicht selten später beim Gegner vom heutigen Abend landeten.

In Borges Sanches, Reitz oder Noß scheint Daniel Farke bisher noch nicht das ganz große Vertrauen gefasst zu haben. Dabei ist er aus seiner Zeit in England bekannt dafür, junge unbekannte Akteure zu fördern und sie zu entwickeln. Sein gegenüber Borussias aktuellen Talenten leider noch zurückhaltendes Urteil sollte daher ein gewisses Gewicht haben.

Gleiches gilt dafür, dass er es zu Saisonbeginn Louis Jordan Beyer im Vergleich zu Spielern wie Friedrich, Elvedi, Lainer oder Scally schwächer einschätzte. Dies schmerzt den Fan gerade bei einem echten Borussen – zudem noch dem einzigen Eigengewächs seit Jahren, bei dem zwischenzeitlich Hoffnung auf einen Bundesliga-Durchbruch bestand (und weiter besteht).

Die Fakten bestätigen aber leider eher das skeptische Bild von Farke. In seinen vier Jahren bei Borussia hat Beyer lediglich 24 Bundesliga-Spiele über mehr als eine Halbzeit bestritten. In der vergangenen Saison konnte er immerhin 15 Partien über diese Distanz absolvieren, bei denen er zumindest Bundesliga-Niveau offenbarte. Insgesamt waren es aber zu wenige gute Spiele, um bereits von seinem Durchbruch sprechen zu können. Bei aller Skepsis, die man gegenüber der Notengebung des kicker äußern kann: In 7 der 15 Partien wurde Beyer vom Fachmagazin mit der Note 4 oder schlechter bewertet.

Nichtsdestotrotz war die Entscheidung fragwürdig, die ohnehin schon sehr dürftige Breite im Kader durch die Leihe eines bundesligatauglichen Defensivspielers nach England weiter zu verringern. Dort steht er inzwischen auf Tabellenplatz 1 der zweiten englischen Liga und hat schon einige positive Kritiken bekommen. In den letzten beiden Partien sah aber auch er bei einigen Gegentore sehr unglücklich aus und irrlichterte zuletzt beim 2:5 bei Sheffield United derart hilflos durch den eigenen Strafraum, dass er ganz hervorragend in die aktuelle Viererkette der Borussia passen würde.

Sein Talent soll damit gar nicht madig gemacht, sondern nur realistisch eingeordnet werden. Mit 22 Jahren ist er immer noch entwicklungsfähig und hat im vergangenen Jahr einen erfreulichen Sprung gemacht, der ihn perspektivisch doch noch zu einem Durchbruch im Profifußball und hoffentlich bei Borussia verhelfen kann. Es wäre fahrlässig, sollte sich Roland Virkus bei ihm auf eine Kaufoption eingelassen haben. So naiv es wäre, in Spielern wie Beyer den potenziellen Heilsbringer für ein Ende der schwachen Defensivleistung zu sehen, so sollte er dennoch genau im Blick behalten werden. Ein gestandener Verteidiger aus eigenem Anbau würde Borussia endlich mal wieder gut zu Gesicht stehen.

Während Beyer vorläufig für Borussia nicht verfügbar sein wird, kehrt mit Ko Itakura der beste Innenverteidiger aus der weit stabileren Saisonstartphase wieder in den Kader zurück. Daniel Farke machte in der Pressekonferenz allerdings klar, dass dies eher symbolischen Charakter hat und der Japaner kein ernsthafter Kandidat für einen Einsatz sein wird. Spielpraxis wird er stattdessen demnächst in Katar erhalten. Eine etwas fragwürdige Entscheidung des japanischen Verbands angesichts der langen Verletzungspause und man kann nur hoffen, dass sich dieser Ehrgeiz nicht rächen wird. Andererseits kann man es dem Spieler und den Japanern nicht wirklich verdenken. Trotz der fragwürdigen Umstände dieses Events ist und bleibt eine Weltmeisterschaft das größte, was ein Fußballspieler in seinem Leben erreichen kann. Daher hat sich Itakura diese Nominierung – nicht zuletzt durch seine starken Leistungen zu Saisonbeginn – verdient und er wird hoffentlich gestärkt (und vor allem fit) aus dem Wüstenstaat zurückkommen. Würde die Bundesliga nicht durch diese unsägliche Winter-WM unterbrochen, hätte auch Borussia ihn irgendwann in den nächsten Wochen wieder Fußball spielen lassen. Warum sollte dies den Japanern dann beim größten Event der Welt versagt werden?

Ähnliches gilt für Yann Sommer, der heute Abend ebenfalls noch immer nicht spielfähig sein wird und dennoch aller Voraussicht nach für die Schweiz im WM-Tor steht. Eigentlich wäre er – neben Elvedi – ein guter Grund, um die Eidgenossen in den kommenden Wochen anzufeuern. Mit Blick auf seine weiterhin ungesicherte Zukunft ergibt sich dem Borussen-Fan aber ein zwiespältiges Bild. Einerseits freut es einen ungemein, wenn die unbestrittene Klasse von Borussias Nr. 1 auch weltweit Anerkennung findet. Andererseits wird jede Sommer-Parade bei der Winter-WM die Wahrscheinlichkeit erhöhen, dass er ab kommendem Juli für einen anderen Verein im Tor stehen wird.

Gegen den BVB wird dies dagegen erneut Jan Olschowsky vergönnt sein. In Bochum bekam der letztlich gar nicht so schrecklich viel zu tun. An den beiden Gegentoren war er schuldlos. Allzu viele Großchancen hatten die Gastgeber ansonsten nicht. Dennoch überzeugte der Youngster durch seine Souveränität und Gelassenheit, die ein ruhigeres Gefühl vermittelten als zuletzt so manche Male bei dem routinierten Tobias Sippel. Wirklich große Torhüter nutzen genau solche Gelegenheiten, um ihre Klasse unter Beweis zu stellen, die in den meisten Fällen auch schon in jungen Jahren erkennbar ist. Bei Borussia denkt man hier z. B. an Robert Enke oder Marc-André ter Stegen. Eine solche überzogene Erwartungshaltung sollte bei Olschowsky zwar nicht geweckt werden. Aber ähnlich wie bei Beyer wäre es sehr erfreulich, wenn sich mit ihm mal wieder ein Torwarttalent bei Borussia in den Vordergrund halten könnte, das zukünftig irgendwann einmal in die großen Fußstapfen von Yann Sommer tritt.

Auf dem Feld stellt sich die Mannschaft für Daniel Farke beinahe von selbst auf. Seine Ausführungen in der Pressekonferenz haben deutlich erkennen lassen, wie nüchtern-realistisch er die Qualität der Spieler auf der Ersatzbank einstuft. Erstaunlich, dass er hierbei offensichtlich auch Lars Stindl mit einbezieht, indem er den offensiven Einsatz von Christoph Kramer in Bochum praktisch als „alternativlos“ einstufte.

Gegen Dortmund wird Kramer notgedrungen neben Stindl auf dieser Position spielen müssen, da Alassane Plea coronaerkrankt ausfällt. Während die Gäste Spieler wie Hazard, Adeyemi, Can oder Modeste werden einwechseln können, sitzen bei Borussia Ngoumou, Herrmann und Lainer auf der Bank.

Eine kleine Resthoffnung besteht bei den Westfalen noch darauf, dass Marco Reus seinen schon mehrfach erprobten Stunt wiederholen kann: Für das Spiel gegen seinen Ex-Verein gerade wieder fit zu werden, zu treffen, um kurz danach wieder für mehrere Monate verletzt auszufallen. Nach den jüngsten Meldungen aus Dortmund sieht es aber dann doch eher so aus, dass er in diesem Jahr in dieser Rolle ausfällt und nicht im Kader von Edin Terzic stehen wird.

Der BVB-Trainer steht gehörig unter Druck, da sein Verein inzwischen schon wieder von den Bayern abgehängt worden ist. Ein Überwintern auf einem Champions-League-Platz wird voraussichtlich nur bei einem Auswärtssieg im Borussia-Park möglich sein. Die Statistik spricht dabei überraschend gegen sie. Während Dortmund in den letzten fünf Bundesliga-Auswärtsspielen vier Niederlagen kassierte, gewann Gladbach drei der letzten vier Heimspiele. Zudem konnte Borussia die letzten beiden Bundesliga-Heimspiele gegen die Schwarz-Gelben siegreich gestalten.

Für die Elf von Daniel Farke geht es darum, zumindest die Einstelligkeit ins neue Jahr zu retten und den Anschluss an die internationalen Plätze nicht völlig zu verlieren. Dabei würde es helfen, wenn die Mannschaft wieder mit der richtigen „Geisteshaltung“ in die Partie starten würde. In Bochum war dies nicht der Fall, wie nicht nur der Trainer korrekt erkannte. Auf der Pressekonferenz vor dem Dortmund-Spiel relativierte er seine Aussagen vom Dienstagabend aber ein wenig, indem er der Mannschaft generell eine gute Geisteshaltung und Charakterstärke assistierte. Diese sei nur in Bochum „ausnahmsweise einmal“ irgendwie so nicht da gewesen, was zweifelsohne jeder Mannschaft einmal zugestanden werden muss. Die Argumentation verfängt sich aber, wenn man betrachtet, dass die Mannschaft in dieser Saison bereits siebenmal schläfrig in eine Partie startete. Da spricht schon einiges dafür, dass dies ein grundlegenderes Problem zu sein scheint, das einer grundlegenden Lösung bedarf.

Roland Virkus erklärte die Defizite im Bochum-Spiel eher mit „fehlenden Skills“ und meinte hier insbesondere Attribute wie Aggressivität oder Bissigkeit, die von den Bochumern stärker in die Partie eingebracht wurden. Dass Borussia insgesamt die Skills fehlen sollen, um Gegner vom Kaliber Schalke, Darmstadt oder Bochum zu schlagen, würde wiederum kein gutes Licht auf seine Kaderpolitik werfen. Individuell hat Borussia aber weiterhin eine Startelf, die über alle Möglichkeiten verfügen sollte, solche Partien erfolgreich(er) zu bestreiten. Farke hat selbstverständlich Recht, dass es Anfangsphasen wie in Bochum immer geben kann. Auch Union und Frankfurt haben sich dort zuletzt schwergetan, sodass die Niederlage im Ruhrstadion für sich alleinstehend ebenso wenig problematisch ist wie die Pleiten zuvor gegen eben jene vorgenannten Teams. Schwierig ist es nur, wenn sich gewisse Grundmuster immer wiederholen, wenn die Mannschaft z. B. sehr häufig den Beginn verpennt, in so gut wie jeder Partie zwei Gegentore aufgrund indiskutabler Fehler fallen und man weiterhin zu oft den Eindruck bekommt, dass die Mannschaft nicht all die Skills aus sich herausholt, die sie in anderen Partien unter Beweis gestellt hat.

Gerade in den wichtigen Spielen gegen unbequeme Gegner wie Leipzig, Köln oder Bayern waren die Leistungen stark. An diesem Freitag wird es wieder so ein wichtiges Spiel gegen einen bei vielen Fans verpönten Kontrahenten geben. Nicht nur angesichts der langen Winterpause wäre es wichtig, mit einem Sieg über den westfälischen Erzfeind für einen positiven Stimmungsabschluss dieses Fußballjahres zu sorgen. An der Geisteshaltung sollte es dabei ebenso wenig scheitern wie an den Skills von Borussias durchaus stattlicher Startformation.

Borussia: Olschowsky – Scally, Friedrich, Elvedi, Bensebaini – Weigl, Kone – Hofmann, Kramer, Stindl – Thuram

Dortmund: Kobel – Süle, Hummels, Schlotterbeck, Guerreiro – Özcan, Bellingham – Reyna, Brandt, Malen - Moukoko

Michael Heinen: „Im Grunde spricht nicht viel für einen Heimsieg der Borussia, deren anfällige Defensive sich dafür enorm steigern müsste gegenüber den letzten Auftritten. Zum Jahresabschluss sollten wir aber eine optimistische Geisteshaltung vorleben und darauf vertrauen, dass sich die Mannschaft gegen nominell stärkere Gegner oft zu steigern versteht. So soll es auch am Freitag sein beim umjubelten 3:2-Erfolg der einzig wahren Borussia aus Mönchengladbach.“

Christian Spoo: „Kurz und schmerzvoll: 0:3“

Claus-Dieter Mayer: „Mit dem 1:1 gegen den BVB gleicht die Borussia ihre Bilanz gänzlich aus: 5 Siege, 5 Niederlagen, 5 Unentschieden, komplettes Mittelmaß.“

Michael Oehm: „Wenn man dieser Mannschaft gar nichts mehr zutraut, vermag sie zu überraschen: im letzten Spiel vor der WM trennen sich Borussia und Dortmund 1:1.“


Volkhard Patten: „Nach dem klaren 4:1 gegen die falsche Borussia – selbst Tennis Borussia Berlin wurde früher gegründet – überwintert die Elf vom Niederrhein mit Kontakt zu den Europapokalplätzen.“

Thomas Häcki: "Nach dem 1:5 wird die Winterpause dunkel, kalt und unruhig."