sommer

Wir alle kennen diese Geschichten, die nur der Fußball schreibt. Weniger bekannt sind dabei die Geschichten, die er mal anfing zu schreiben, dann aber verwarf, aus der Schreibmaschine zog und zusammengeknüllt in Papierkorb schleuderte (der Leser errät aus diesen Zeilen, dass wir uns den Herrn Fußball eher als eine altmodische Figur vorstellen, der nichts von modernen Textverarbeitungssystemen hält und dessen Homepage – sofern er denn eine besitzt – vermutlich so ähnlich aussieht wie die von Seitenwahl). Die Story „Wie vor (fast) 30 Jahren: Gladbacher Elfmeter-Killer bring Leverkusen zur Verzweiflung!“ gehört leider zu dieser zweiten Kategorie. Dabei hat die Geschichte von zwei Elfmeter-Großtaten Yann Sommers zumindest für Gladbach-Fans absolutes Sensationspotential, für Anhänger der Schweizer Nationalelf allerdings den „Gähn-wie immer“-Faktor. Da das Spiel trotz dieser beider Paraden Sommers verloren ging, bleiben sie letztendlich nur eine Fußnote dieses Spiels und eine Warnung für die Borussia, dass diese Partie auch noch schlimmer hätte enden können.

 

benes

Dabei war es zumindest in der ersten Halbzeit alles gar nicht so schlecht, was sich da auf dem Rasen des Borussiaparks vor 750 Zuschauern abspielte. Leverkusen hatte mehr Ballbesitz und versuchte die natürliche Geschwindigkeit seiner Spieler einzusetzen, was vor allem über rechts (Bellarabi vs Netz) auch immer wieder gut gelang, die Borussia hoffte auf Umschaltmomente oder benutzte lange Bälle um sich Raum zu verschaffen, wobei vor allem der fleißige Embolo immer wieder Anspielstation war. Beiden Teams gelang aber meist nur die Chance auf die Chance, der letzte Pass bzw. die Flanke wurde immer wieder abgefangen. So entwickelte sich ein zwar munteres aber letztendlich nicht so richtig aufregendes Duell auf Augenhöhe. Ein Stilmittel, auf das die Borussia vor allem zu hoffen schien waren Standardsituationen, für die Laszlo Benes – neu in die Startelf gerückt – als Spezialist vorgesehen war. Leider konnte er wenig daraus machen, wie er auch ansonsten im Spiel zwar manches versuchte, aber immer wieder mit ungenauen Pässen das Spiel eher hemmte, als es zu beschleunigen.

Wie auch immer, es war bis zur Halbzeit ausgeglichen, mit dem Geruch eines „das erste Tor wird entscheidend sein“-Spiels. Und so kam es dann auch. Unnötig grausam für die Fanseele war dabei, dass der Treffer genau nach dem vereitelten Elfmeter-Treffer fiel und dann noch völlig vermeidbar war und ausgerechnet noch Fußball-Gott Tony Jantschke bei der Verteidigung des Eckstoßes patzte (warum Nationalinnenverteidiger Matthias Ginter nicht eingriff? Dazu kommen wir gleich, ganz ruhig…). Das Spiel drehte sich nun: Borussia hatte – notgedrungen – mehr Spielanteile und Leverkusen lauerte auf Konter und bedauerlicherweise lag diese neue Konstellation der Werkself erheblich besser als den Gladbachern, die zwar mehr Ballbesitz hatte, aber relativ wenig damit anzufangen wusste, wohingegen Bayer immer wieder zu schnellen gefährlichen Gegenangriffen kam. Ironischerweise war es aber nicht einer dieser Konter, sondern erneut ein Standard, der das 2:0 brachte. Die Borussia konnte zwar noch den Anschlusstreffer durch Elvedi erzielen und damit eine spannende Schlussphase einleiten, in der aber wiederum die Leverkusener die besseren Chancen hatten. Das reine Chancenverhältnis (Understat.com gibt als  xGoals-Endstand 1.44:6.5) ist am Ende deutlicher als das über weite Strecken ausgeglichene Spiel hergab, aber es gibt wenig Zweifel daran, dass es ein verdienter Auswärtssieg war. Die Partie reiht sich damit nicht nur gut in die letzten Auseinandersetzungen mit dem Dauerrivalen aus Leverkusen ein (die dritte Heimniederlage gegen Bayer in Folge) ein, sondern ist auch insgesamt stellvertretend für den Zustand der Borussia. Denn auch wenn man die katastrophale Köln-Freiburg-Leipzig-Serie der Hinrunde rausnimmt, so scheint es einfach nicht für mehr als Liga-Mittelmaß (und das muss man erstmal tabellarisch erreichen) zu reichen derzeit.

ginter

Umso mehr mag es verwundern, dass man es sich leisten kann, einen Nationalmannschafts-Stammspieler wie Matthias Ginter auf der Bank zu lassen. Adi Hütter verwies darauf, dass Marvin Friedrich (der im Übrigen einen durchschnittlichen Einstand hatte, aber beim ersten Elfmeter und beim zweiten Tor nicht so gut aussah) als Ginter-Ersatz geholt worden sei und es daher nur logisch sei, dass er ihn auch ersetzt. Das ignoriert aber etwas die Möglichkeit, mit einer Dreierkette Ginter-Elvedi-Friedrich antreten zu können und die Tatsache, dass Ginter auch nach 5 Wechseln nicht auf dem Platz stand, lässt vermuten, dass es sich hierbei nicht nur um eine situationsbedingte Entscheidung, sondern eher um eine Ansage an Gladbachs langjährigen Innenverteidiger (der sich laut Hütter nichts zuschulden habe kommen lassen) handelt. Man kann das aufgrund der durchwachsenen Leistungen Ginters in der Hinrunde und vor allem wegen seiner langen Hinhaltetaktik bezüglich einer möglichen Vertragsverlängerung nachvollziehen, aber sollte man es nicht schaffen ihn in der Wintertransferperiode zu verkaufen, könnte man sich auf die Art und Weise auch ein unnötiges Problem einhandeln.

Aber wer weiß, vielleicht steht Ginter beim nächsten Spiel schon wieder auf dem Platz. Das findet nämlich schon am Mittwoch am früheren Abend in Hannover statt, denn wie jeder mit der Borussia-Historie verbundene weiß, hängen Elfmeter-Heldentaten gegen Leverkusen intrinsisch mit Pokalspielen gegen 96 zusammen. Wie beim Finale 1992 befinden sich die Niedersachsen dabei eine Liga unter der Borussia und dort auch eher in der unteren Hälfte. Dementsprechend ist Gladbach am Mittwoch Favorit auf den Einzug ins Viertelfinale. Selten in den letzten Jahren (mal abgesehen vom Halbfinale gegen Frankfurt 2017) war ein Pokalspiel so wichtig für den VFL. Nicht nur würde ein Ausscheiden in Hannover die Erinnerung an das phänomenale 5:0 gegen die Bayern in der 2. Runde doch arg trüben und die Stimmung rund um den Verein noch ein gutes Stück düster werden lassen, sondern nach dem Ausscheiden der Münchener Serien-Sieger täte sich mit einem Weiterkommen vielleicht ein Weg auf, eine missratene Saison doch noch zu retten und am Ende womöglich sogar „Blechernes“ einzuheimsen. Wäre das nicht ein schöner Stoff für den Bestseller-Autoren mit den einzigartigen Geschichten oder hat der im Moment mehr Interesse an fiesen Horror-Storys? Am Mittwochabend wissen wir mehr!

Seitenwahl-Tipps:

Claus Mayer: Ein schlechtes Fußballspiel, dass aber von der Spannung lebt, bleibt torlos und wird letzten Endes im Elfmeterschießen entschieden. Der Held heisst diesmal aber nicht Jörg Sievers, sondern Yann Sommer!

Christian Spoo: Borussia macht es spannend, setzt sich aber dann doch mit 2:1 in der regulären Spielzeit durch.

Michael Heinen: Borussia kann an einem guten Tag jeden Gegner schlagen, an einem schlechten Tag aber leider auch gegen jeden verlieren. Gegen die zuletzt verbesserten Hannoveraner wird es daher ganz bestimmt kein Selbstläufer. Gerade die Probleme im Offensivspiel bereiten Sorge solange Hofmann ausfällt und Thuram/Plea ihrer früheren Form hinterherlaufen. Mein Tipp: Borussia quält sich zu einem mühsamen 1:0-Sieg.

Uwe Pirl: Ein unterdurchschnittlicher, aber auf dem aufsteigenden Ast befindlicher Zweitligist trifft auf einen verunsicherten Erstligisten. Das ist der Stoff, aus dem Pokalsensationen gemacht werden, die eigentlich gar keine großen Sensationen sind. Hannover vermeidet Verlängerung und Elfmeterschießen und gewinnt in der regulären Spielzeit 2:1 gegen Gladbach.

Thomas Häcki:  Bei der Borussia läuft es nicht gut, an der Leine aber auch nicht. Und so zieht Adi Hütter mit einem 2:1 ins Viertelfinale ein.