Es ist fast geschafft. Nur noch 90 quälende Minuten und die unbefriedigendste Bundesliga-Saison seit dem Abstieg 2007 findet ihr verdientes Ende. Mit einem Sieg in Bremen bestünde für Borussia noch immer die Chance, mit der European Conference League einen internationalen Wettbewerb zu erreichen. Gleichzeitig droht aber die Gefahr, erstmals seit 2011 wieder in die zweite Hälfte der Tabelle abzurutschen. Spätestens dann gäbe es für wirklich niemanden mehr die Möglichkeit, diese Spielzeit noch in irgendeiner Weise ein Stück weit schönzureden. Aber selbst wenn es am langen Ende tatsächlich noch zu Platz 7 reichen sollte, kann niemand ernsthaft mit der Entwicklung der letzten Monate zufrieden sein.

Finanziell wäre die Conference League ein hübsches Trostpflaster, das dem Verein gerade in diesen schwierigen Corona-Zeiten guttun würde. Sportlich wären nach aktuellem Stand immerhin Teams wie Tottenham, Villarreal und der AS Rom qualifiziert. Selbst der Wolfsberger AC hat noch eine Chance, sich für seinen letzten Auftritt im Borussia-Park zu rehabilitieren. Die Österreicher scheinen aber genau wie Borussia nur begrenzte Motivation für ein solches Wiedersehen aufbringen zu können. Im letzten Heimspiel setzte es ein 0:4 gegen den direkten Konkurrenten aus Linz, was die Chancen auf die einzig wahre CL erheblich reduziert hat.

Borussia spielte zuletzt gegen Stuttgart einmal mehr so als habe sie die Saison bereits vor Monaten mit der Verkündung des Trainerwechsels beendet. Mit Ausnahme der berauschenden Siege über Frankfurt und Bielefeld zeigt die Elf vom Niederrhein im Grunde schon die gesamte Rückrunde ebenso wenig Leistung wie Charakter. Dies wird ihnen erfolgreich vorgelebt von ihrem Noch-Übungsleiter, der die monatelange Krise aufreizend lässig über sich ergehen lässt. Es gibt wenige Indizien, die darauf hindeuten, dass sich dies ausgerechnet im letzten Spiel der Saison ändern wird.

Dort wartet mit dem SV Werder ein Verein, der froh wäre über die Sorgen der Borussia. Bei einer Niederlage zum Saisonfinale droht aller Voraussicht der direkte Abstieg. 40 Jahre nach der höchst erfolgreich verlaufenen Rückkehr in die 1. Bundesliga wären die Aussichten dann auch aus finanzieller Sicht trostlos. Nur so lässt sich die Verzweiflungstat erklären, mit der zu Wochenbeginn doch noch der lange hinausgezögerte Trainerwechsel vollzogen wurde.

Florian Kohfeldt hatte sich nach anderthalb ordentlichen Jahren an der Seitenlinie und dank seines sympathischen Auftretens großen Kredit bei Fans und Vereinsführung erspielt. Dieser wurde seitdem aber – im zweiten trostlosen Jahr in Folge – mehr und mehr aufgebraucht, sodass die Ablösung nur noch eine Frage der Zeit war. Vor einigen Wochen hätte sie Sinn ergeben, um ggf. einen positiven Impuls für die letzten Wochen zu setzen, der in der kurzen Frist im statistischen Durchschnitt erwiesen ist. Ob dieser jetzt immer noch erfolgen kann und wird, erscheint dagegen fraglich.

Bislang gibt es in der Bundesligahistorie eine Referenz bei Werders direktem Konkurrenten um den Abstieg. Arminia Bielefeld trennte sich 2009 vor dem letzten Spiel gegen Hannover 96 vom chronisch erfolglosen Michael Frontzeck, um sich von Edel-Feuerwehrmann Jörg Berger doch noch retten zu lassen. Damals ging das Experiment schief – Arminia stieg nach einem 2:2 als Tabellenletzter ab und musste 11 lange Jahre in der Zweit- und Drittklassigkeit verbringen ehe es im Vorjahr endlich wieder fürs Oberhaus reichte.

Anders als Arminia damals vertraut Werder nicht auf einen etablierten Feuerwehrmann, sondern auf eine Vereinsikone, die sich im Abstiegskampf bislang eher schlecht als recht bewährt hat. Thomas Schaaf war im ersten Jahrzehnt dieses Jahrtausends einer der erfolgreichsten Vereinstrainer. Schon beim sportlich durchaus erfolgreichen Wirken in Frankfurt 2014/15 offenbarten sich aber Generationenkonflikte mit den inzwischen relativ jünger gewordenen Spielern. Zudem sollen private Probleme den einstigen Erfolgscoach beeinflusst haben, was sich bei seinem nächsten Engagement in Hannover auch sportlich niederschlug. Seit dem desaströsen Gastspiel in Niedersachsen hat sich niemand mehr getraut, Schaaf auf den Cheftrainerstuhl zu befördern. Sein Ex-Verein lotste ihn 2018 zurück in die Heimat, wo er seitdem als Technischer Direktor fungiert. Für eine Partie rückt er am kommenden Wochenende noch einmal zurück ins Rampenlicht. Und das mit einer durchaus dankbaren Aufgabe – gilt es doch eigentlich nur, den Gast vom Niederrhein früh in Führung gehen zu lassen, um sich am Ende über sichere drei Punkte freuen zu dürfen.

Was der neue, alte Trainer verändern wird, ist schwer vorherzusagen. Vermutlich gar nicht mal viel. Christian Groß wird nach seiner Gelb-Roten-Karte definitiv ersetzt werden müssen. Ansonsten kann Schaaf weitgehend aus dem Vollen schöpfen. Weniger wichtig als die Auf- wird aber die Einstellung sein, mit der Werder in dieses Finale geht: Im schlimmsten Fall betrachten sie es als eine Art Pokalspiel, wo sie traditionell stets die besten Leistungen abzurufen imstande sind. Sollten Sie ähnlich auftreten wie vor wenigen Wochen gegen RB Leipzig, dann dürfte es für Borussias Schönwetterfußballer und ihren lässigen Trainerdarsteller ein ziemlich bitteres Ende ihrer gemeinsamen Zeit geben.       

 

AUFSTELLUNGEN:

Werder: Pavlenka – Selassie, Toprak, Moisander, Augustinsson – Möhwald – Eggestein, Bittencourt, Sargent – Selke, Rashica

Borussia: Sommer – Lainer, Ginter, Elvedi, Bensebaini – Kramer, Neuhaus – Hofmann, Stindl, Thuram - Plea

 

SEITENWAHL-TIPPS:

Michael Heinen: „Borussia ist aktuell selbst zu schlecht, um den 1. FC Köln in die 2. Liga zu schießen. Durch ein trostloses 0:0 in Bremen reicht es zudem nicht einmal für den so begehrten Platz im runderneuerten UI-Cup.“

Christian Spoo: „Ein Spiel aus der Kategorie „untippbar“. Nutzt Bremen der Trainerwechsel etwas? Ist Thomas Schaaf der Typ der das Steuer herumreißt? Borussia wird ihren Stiefel runterspielen, das könnte genügen. Ich sag mal 1:1.“

Mike Lukanz: „Zum letzten Mal werde ich hier bei Seitenwahl einen Tipp abgeben, die Lust am Fußball und damit auch an Borussia hat ganz schwer nachgelassen durch Corona und Marco Rose. Sei es drum: Borussia beendet die Saison mit einem weiteren uninspirierten Auftritt in Bremen. Das 1:1 wird nicht reichen, um sich für diesen grotesken Wettbewerb namens Conference League zu qualifizieren, und das ist auch gut so. Vielleicht tut ein weiteres Jahr ohne Europa mal gut. Dass Borussia mit diesem Ergebnis irgendwie auch dem FC aus Köln hilft, passt zu dieser Saison. Ebenso, dass drei (!) Gladbacher nach eben dieser Saison von Jogi Löw für ein Großturnier wie der Europameisterschaft nominiert werden – bis auf den, der es verdient gehabt hätte aus dem Kader. Gehabt Euch wohl und bleibt gesund!“

Thomas Häcki: „Bremen ist heiß, die Rose-Elf allenfalls lauwarm. Nachdem Bremen die Führung gelungen ist, trabt ein Großteil der Fohlen dem Ende der Saison lustlos entgegen. Werder wird es bei ihrem 4:0-Erfolg nur recht sein.“

Claus-Dieter Mayer: „Der lustlose Auftritt der Borussia bei der 0:2 Niederlage in Bremen wird noch auf Jahre Kölner Verschwörungstheorien befeuern.“

Uwe Pirl: „Borussia kann oder will sich nicht mehr aufraffen. Das 1:2 gegen Bremen beschert den Werderanern den Klassenerhalt. Union Berlin hat die Conference League ohnehin mehr verdient.“

Christian Grünewald: „Laut PK vor dem Spiel ist die Saison ein Erfolg, wenn man mit Leipziger Schützenhilfe die Conference League erreicht. Da man selbst aber 1:2 verliert, kann man sich die Augenwischerei auch schenken."