Die Pflicht wurde mit dem 3:1-Arbeitssieg über Mainz am vergangenen Wochenende mühsam, aber erfolgreich bewältigt. Am kommenden Samstag folgt im Bundesliga-Topspiel die Kür, wenn Borussia Mönchengladbach den achten Versuch startet, eine Partie gegen den einstigen SSV Markranstädt zu gewinnen. Im Hinspiel gab es trotz guter Leistung die vierte Niederlage im vierten Heimspiel. Zum Glück steht jetzt aber ein Auswärtsspiel an, denn in Sachsen blieb die Fohlenelf immerhin in zwei der drei Konfrontationen mit dem ultimativ Bösen ohne Niederlage.

Um diese Auswärtsserie fortzusetzen, bedarf es aber einer wesentlichen Leistungssteigerung zu den letzten Partien, in denen sich Borussia bei weitem nicht mehr so überragend präsentierte wie in den ersten Monaten der Hinrunde. Defensiv wird es darauf ankommen, die schnellen Leipziger Angreifer im Griff zu behalten. Timo Werner erzielte im Hinspiel drei seiner 20 Saisontore. Evtl. wird Rose auf eine Dreierkette umstellen, wofür er dann aber voraussichtlich Denis Zakaria zurückziehen müsste. Stefan Lainer sollte nach abgesessener Gelbsperre für Fabian Johnson auf die rechte Seite zurückkehren – entweder in die gewohnte Viererkette oder ins defensive rechte Mittelfeld.

Davor muss bei der Aufstellungsprognose erneut die Glaskugel helfen. Lässt Rose seine Startelf weitgehend unverändert und setzt er so auf den Faktor Eingespieltheit? Oder würfelt er durch, um so alle Spieler bei Laune zu halten. Zuletzt hatten Hofmann und Neuhaus erste Ansätze leichter Unzufriedenheit geäußert, die von den Medien selbsterklärend direkt hochstilisiert wurden. Durch die Einfachbelastung in der Rückrunde wird dies noch sehr häufig vorkommen – unabhängig davon, ob die entsprechenden Spieler tatsächlich unzufrieden sind und einzig abhängig vom sportlichen Erfolg. Bleibt Borussia oben dran, werden solche Geschichten kaum größere Beachtung finden.

Viel Beachtung findet dagegen die märchenhafte Geschichte vom wundersamen Aufstieg des erst 2009 gegründeten Ostklubs RB Leipzig bis an die Tabellenspitze der Fußball-Bundesliga. Zumindest in der Vorstellung so manch „objektiver“ Medien, die sich an dem zweifelsohne tollen Fußball und der guten Arbeit in Leipzig allzu sehr berauschen. Auch hier gilt: Im Erfolgsfall ist für kritische Worte wenig Platz in den Medien. Zuletzt lief es mit dem 0:2 in Frankfurt weniger gut, weshalb es direkt große Aufregung um einen allzu exklusiven Friseurbesuch gab. Die größte Gefahr für RB liegt offensichtlich darin, dass einige Jungsternchen glauben, sich auf die Tabellenführung etwas einbilden zu können und in ihren Anstrengungen nachlassen. Um dem entgegenzutreten hat Julian Nagelsmann ähnlich reagiert wie im vergangenen Oktober nach dem 1:2 in Freiburg – mit schonungsloser Kritik. Damals folgte ein 6:1-Pokalerfolg in Wolfsburg, ein 8:0 über Mainz und eine Serie von sechs Bundesligasiegen in Folge.

Realistisch betrachtet spricht leider auch am kommenden Samstag wieder viel für einen Leipziger Heimsieg. Zwar wird Winterneuzugang Dani Olmo vermutlich ebensowenig wie der zweite angedachte Wintertransfer Robin Koch zum Einsatz kommen. Aber allein dass der Konzern im Winter mal eben 40 Millionen Euro nachschießen kann, zeigt die wirtschaftlich anderen Dimensionen, in denen er unterwegs ist. Die trotzdem lediglich zwei Zähler Unterschied auf Borussia sprechen dann wiederum dafür, dass in Mönchengladbach (noch) weit bessere Arbeit geleistet wird als bei den medial so oft abgefeierten Salzburgern.

Kein anderer Verein hatte in den vergangenen Jahren ein dermaßen großes Transferdefizit wie der Brauseklub aus Fuschl am See. Red Bull steht mit seinem extremen Markteingriff für die (bislang) allerhöchste Stufe der kommerziellen Wettbewerbsverzerrung im Fußball. Ohne Frage: Es gibt keinen Profiverein, der nicht von den Segnungen des Kommerzes profitiert. Auch die extremen Sponsoringbeiträge von z. B. Gazprom, Puma, Adidas und Co., die bevorzugt einzelnen Premium-Vereinen zugute kommen, der Geldeinsatz von z. B. Kühne, Windhorst und Tönnies oder die exorbitanten Geldzahlungen in der Champions League verzerren den Wettbewerb so sehr, dass es nur noch einer Handvoll Vereinen überhaupt realistisch möglich ist, jemals das obere Tabellendrittel der Fußball-Bundesliga erreichen zu können. Was bei Red Bull noch hinzukommt ist allerdings, dass diese Verzerrung auf dem Reißbrett geplant wurde und der sportliche Erfolg die Folge des wirtschaftlichen Engagements war, während es sich beim FC Bayern oder dem BVB und seinen Sponsoren andersherum verhält. Es kann nicht im Sinne des Fußballsports sein, wenn sich zukünftig sportlicher Erfolg primär danach richtet, wer den zahlungskräftigsten Sponsor findet. Von daher ist das Projekt Markranstädt allein schon wegen seiner Signalwirkung für jeden Fußballfan ebenso strikt abzulehnen wie die Abschaffung der 50+1-Regel.

Doch bei aller nötigen Kritik an der zunehmenden Kapitalisierung des Fußballsports entbehrt es nicht einer gewissen Ironie, dass sich der rechtspopulistische Menschenfeind aus Fuschl am See ausgerechnet einen Ostklub für seine Machenschaften ausgesucht hat. Immerhin wurden die wirtschaftlich nicht wettbewerbsfähigen Vereine der ehemaligen DDR vor 30 Jahren von ebenso windigen wie findigen West-Kaufleuten der Marke Calmund oder Meier systematisch ausgebeutet, wodurch der Osten für Jahrzehnte faktisch von der Fußballlandkarte getilgt wurde. Vor RB war er seit dem Abstieg der Cottbuser 2009 für sieben lange Jahre nicht in der 1. Bundesliga vertreten. Da ist es eine Paradoxie der Geschichte, dass die Leipziger den Spieß jetzt faktisch umdrehen und durch eine noch härtere Form des Kapitalismus den Wettbewerb zuungunsten der Westklubs massiv verzerren. Den ostdeutschen Fußballfan, der zuvor letztmals 1991 durch Hansa Rostock im Europapokal vertreten worden ist, kann man da schon verstehen, dass er dem anti-kapitalistischen Klagelied der „Jammerwessis“ nur bedingt zuhören möchte. Fraglich nur, ob man so viel besser damit fährt, sich von einem milliardenschweren Rechtsaußen benutzen zu lassen, dem die Menschen in Leipzig letztlich ähnlich stark am Herzen liegen wie jeder andere Ausländer auch.

In Mönchengladbach fährt man ohnehin seit Jahren gut damit, sich aus all dem herauszuhalten, sondern das Beste aus seiner Lage und seinen Möglichkeiten zu machen. Durch hervorragendes Personal und kluges, strategisches Arbeiten beweist Borussia, dass sich finanzielle Nachteile zumindest in einem gewissen Maße kompensieren lassen. Deshalb steht die Mannschaft auch nach 19 Spieltagen auf dem 3. Tabellenplatz und deshalb besteht am kommenden Samstag im direkten Topduell sogar die Möglichkeit, den bisherigen Tabellenführer zu stürzen und zu überholen, woran immerhin die Hälfte der sechs Seitenwahl-Redakteure zu glauben scheint. Wenn das mal kein „gutes“ Omen ist.

 

Projekt: Gulasci – Mukiele, Klostermann, Upamecano, Halstenberg – Adams, Sabitzer, Laimer, Nkunku – Poulsen, Werner

Borussia: Sommer – Ginter, Zakaria, Elvedi – Lainer, Neuhaus, Kramer, Stindl, Wendt – Plea, Thuram

 

Seitenwahl-Tipps

Michael Heinen: „Borussia hält zwar ordentlich mit und liefert die beste Auswärtsleistung seit Monaten ab. Am langen Ende reicht es aber wieder nicht für Leipzig, die ihre Tabellenführung mit dem 2:1 verteidigen.“

Christian Spoo: „Die Leipziger Frisuren sitzen, der Nagelsmannsche Psychotrick wirkt. Rasenbullshit fegt Borussia vom Platz und es hätte durchaus noch schlimmer enden können als 4:0.“

Claus-Dieter Mayer: „Ganz Deutschland drückt an diesem Samstag der Borussia die Daumen. (Ganz Deutschland? Nein, ein von bekloppten Kölnern bevölkertes Dorf hört nicht auf, …, aber egal!) In der realen Welt wird es vermutlich ein glattes 3:0 für RB, aber die ignoriere ich heute einfach mal und prognostiziere gegen jede Vernunft einen 3:1-Auswärtssieg (alle Tore Plea!). Durch das Unentschieden der Bayern in Mainz kehrt Gladbach damit auf den ersten Tabellenplatz zurück und der Rest wird dann Geschichte sein…“

Thomas Häcki: „Es gibt leider nicht viel, was für die Borussia spricht. Und so wird auch dieses Aufeinandertreffen erfolglos bleiben. Die Borussia verliert 0:2 und muss den Blick von nun an auf die Verfolger richten.“

Uwe Pirl: „Nach dem Motto, es kann nicht sein, was nicht sein darf (nämlich ein Sieg der frisch frisierten Getränkevertriebler) tippe ich auf einen 2:1-Auswärtssieg für Borussia.

Mike Lukanz: In einer solchen Situation auswärts (!) in Leipzig (!!) beim Spitzenreiter (!!!) zu gewinnen, wäre absolut unborussisch. Ich glaube selbst nicht daran, aber einmal Träumen pro Saison ist erlaubt. Borussia gewinnt ein rassiges Spiel mit 3:2.