Wie gut, dass Borussia gegen Bochum gewonnen hat. So konnte man sich am Tag danach das 6:0 des Ballsportvereins Dortmund gegen Wolfsburg anschauen, ohne Schweißausbrüche zu bekommen. Der Klassenerhalt ist sicher, da kann Dortmund auch an diesem Samstag kantersiegen, wie es will. „Den Dortmundern die Meisterschaft versauen“ ist sicher eine Aussicht, die nicht wenigen Gladbacher Borussen Spaß machen würde. Aber was spricht dafür, dass das gelingen könnte? Seien wir ehrlich: Nicht viel. Nein, seien wir wirklich ehrlich: Nichts. So froh wir alle waren, dass die Prä-Umbruch-Borussia gegen Bochum zumindest zeitweise Willen und Spielfreude an den Tag gelegt hat, so müssen wir uns doch eingestehen: Ein Topspiel war auch das nicht und der Gegner war, bei allem Respekt, kein guter.

Gegen Dortmund muss Daniel Farke seine Mannschaft zwangsläufig umbauen. Mit Alassane Plea fällt der einzige nominelle Stürmer aus dem Bochum-Spiel gelbgesperrt aus. Zudem fällt mit Alassane Plea der schlechteste Spieler aus dem Bochum-Spiel aus. Während der zweitere sicher gut zu ersetzen ist, muss Farke für den ersten improvisieren. Die Neigung, mit Semir Telalovic den Top-Torschützen der U23 in der Bundesliga mehr als einen Kurzeinsatz absolvieren zu lassen, scheint bei Farke so überschaubar, wie seine Neigung, vergleichsweise unerfahrenen Spielern Einsatzzeit zu geben, im Allgemeinen. Es läuft also auf eine Offensive ohne echten Stürmer hinaus, da Marcus Thuram immer noch verletzt ist. Lars Stindl, Nathan Ngoumou, Jonas Hofmann und Florian Neuhaus werden sich die Arbeit vorne voraussichtlich irgendwie aufteilen. Wie genau sich Farke das vorstellt, werden sie hoffentlich verstehen und umsetzen.

Darüber hinaus gibt es wenig Anlass, die Elf von Bochum umzubauen, allerdings ist Ko Itakura wieder entsperrt, so dass der gegen Bochum gute Marvin Friedrich voraussichtlich rausrotiert. Stefan Lainer verdiente sich vergangenen Samstag Szenenapplaus und Sprechchöre nach seiner Auswechselung. Dass ihm das einen erneuten Startelfeinsatz garantiert, ist nicht gesagt. „Joe drückt schon wieder“, sagte Farke bei der Pressekonferenz am Donnerstagnachmittag. Grundsätzlich scheint der Trainer vom US-Amerikaner mehr zu halten, als vom Lieblingsspieler seines Vor-Vorgängers (dessen Namen wir nicht ohne Not nennen mögen).

Der Ballsportverein Dortmund kann noch Deutscher Meister werden. Ein Ausrutscher des FC Bayern reicht womöglich, damit Edin Terzic die fast schon chronischen Phantomschmerzen des schwarzgelben Anhangs nach der Ära Klopp abstellt. Einen weiteren Ausrutscher nach dem unglücklichen und nicht ganz sauber zustande gekommenen Punktverlust gegen Bochum darf sich Dortmund freilich nicht leisten. Die Leistung, die die Mannschaft gegen Wolfsburg hinlegte, muss man, trotz äußerst beschränkter positiver Gefühle im Angesicht schwarzgelber Trikots, beeindruckend nennen. Hinten sicher, vorne gefährlich, gut im Spiel ohne Ball, sicher in den Kombinationen und bei Gelegenheit konterstark. Spieler wie Brandt und Adeyemi in bestechender Form. Ebenso Ryerson und Bellingham. Selbst Mats Hummels und Niklas Süle ohne Fehl und Tadel. Dazu Guerreiro, Schlotterbeck, Reus oder Moukoko als Einwechseloptionen, die nicht einmal alle genutzt wurden. Solange dem Terzic-Team nicht die Nerven versagen, bleibt der Kampf um den Titel bis zum 34. Spieltag offen.

Will sagen: Es fällt schwer, sich auszumalen, wie Borussia im Zustand des Frühjahrs 2023 bei Dortmund im Zustand des Frühjahrs 2023 mehr als Schadensbegrenzung erreichen soll. Wer sich wünscht, man möge den ungeliebten Sogenanntenborussen in die Suppe spucken, sollte sich auf eine Enttäuschung einstellen.

Exkurs: Warum mögt Ihr uns eigentlich nicht? Gibt es Borussen-Fans, die Dortmund-Anhang im Umfeld haben und diese Frage noch nicht beantworten mussten? Kurz für alle Schwarzgelben, die sich in diesen Text verirrt haben: Nach der Ära Niebaum wurde das Recht gebrochen, nur damit Ihr in der Liga bleiben könnt. Andere Vereine hätte man in derselben Situation mit Schimpf und Schande in die zweite, dritte oder drölfzigste Liga verabschiedet. Allein das zeigt: Ihr seid kein Underdog, auch wenn Ihr Euch gerne als die sympathische Malocheralternative zum FC Hollywood München versteht. Was für ein Quatsch. Ihr wart dabei, als es um die Super League ging. Im Zweifelsfall steht Ihr an der Seite von Emir und Scheich, von Barcelona und Berlusconi. „Echte Liebe“ ist „Mia san Mia“ ist ein Marketinggag. Ihr seid wie Bayern München, nur weniger erfolgreich. Und im Zweifelsfall ist sogar Knast-Uli sympathischer als Euer CDU-Aki. Uns ist es egal, wer Deutscher Meister wird, vielleicht ist es auch für Euch schöner, wenn es Bayern wird, dann könnt Ihr Euch leichter weiter einbilden, Ihr wärt einer von den Guten. Exkurs Ende

Zurück nach Gladbach und ein paar Worte zu den Geschehnissen neben dem Platz. Der erwartete Verkauf von Jordan Beyer für 15 Millionen Euro zum FC Burnley hinterlässt in der SEITENWAHL-Redaktion gemischte Gefühle. Natürlich ist es bemerkenswert, eine solche Summe einzunehmen für einen Spieler, dem am Niederrhein offenbar zu wenige eine gute Rolle in der Bundesliga zugetraut haben. 1 Beyer > 2 Weigl rechneten nicht wenige Borussenfans frohlockend, als die Nachricht am Mittwoch die Runde machte, dass der Premier-League-Aufsteiger den Ur-Borussen Beyer fest verpflichtet. Auf der anderen Seite ist Beyer genau das: Ein Ur-Borusse. Ein weiterer, dem der Durchbruch im eigenen Verein nicht gelungen ist. So bleibt Mo Dahoud der letzte, dem man diesen Weg attestieren kann, der doch angeblich der Borussia-Weg ist.

Es ist Zeit, sich einzugestehen, dass dieser Borussia-Weg überhaupt nicht existiert. Borussia entwickelt keine Talente. Rocco Reitz, Conor Noß, gefühlte zwanzig Torhüter – maximal Gelegenheitsbankdrücker. Auch bei Beyer hat Borussia das Entwickeln ausgelagert. Borussia holt stattdessenTalente, die sich anderswo schon ein Stück entwickelt haben und lässt sie dann viel zu oft in ihrer Entwicklung stagnieren. Luca Netz und Oscar Fraulo in der Gegenwart, Andreas Poulsen, Laszlo Benes, Famana Quizera, Torben Müsel in der jüngeren Vergangenheit. Natürlich gibt es Gegenbeispiele: Manu Koné und Joe Scally seien genannt. Und es gibt in jedem der genannten Fälle sicher gute Gründe, warum es so gelaufen ist und nicht anders. Entscheidend ist nur: Hört uns doch auf mit Borussia-Weg. Den wollten zuletzt die Herren Rose und Hütter nicht gehen und den will Daniel Farke ganz offenbar auch nicht gehen. Wir gingen stattdessen den Rose-Weg, hatten für den Hütter-Weg nicht genug Kohle und gehen jetzt halt den Farke-Weg.

Wie genau der aussehen soll, wissen wir nicht. Wir haben es oft genug nach den Spielen geschrieben: Wir haben noch nicht begriffen, wo der Trainer mit dieser Mannschaft hin will. Der vorher so hoch gelobte Farkeball, wir erkennen ihn nicht. Das soll nicht heißen, dass der Trainer keine Idee hat und wir sind optimistisch, dass wir sie ab der kommenden Saison erkennen werden. Wenn man sich damit abfindet, dass das gänsehautauslösende Wohlgefühl, dass Sportdirektor Roland Virkus bei der Verpflichtung Farkes empfand, überdeckte, dass die Vorstellungen beider Seiten vielleicht gar nicht so deckungsgleich waren, wie zunächst immer wieder betont, wenn man akzeptiert, dass wir jetzt den Farke-Weg gehen, dann wird die nächste Saison vielleicht doch die eine oder andere positive Überraschung bringen. Eine Saison wirklich ohne Blick nach unten vielleicht. Eine Trendwende zurück in die Einstelligkeit. Eine Mannschaft, mit der die Fans sich identifizieren können. Es gäbe da einiges, über das wir froh wären – es muss ja gar nicht Europa sein. Ob das gelingt, hängt davon ab, wie der Umbruch ausfällt, welche Spieler den Weg nach Gladbach finden und wie sie sich in das Konzept des Trainers einfügen.

Noch aber ist 2022/23. Noch sind drei Spiele Wenn wir das gegen Dortmund hinter uns haben, ist das Schlimmste überstanden.

SEITENWAHL-Prognose

Christian Spoo: Meisterschaftsanwärter trifft auf graue Maus. Immerhin lässt Borussia sich nicht so abschlachten, wie der VfL Wolfsburg. 5:1 für Dortmund.

Michael Heinen: Mit einem Punktgewinn in Dortmund könnte Borussia einigen Kredit zurückgewinnen. Die Wahrscheinlichkeit  spricht aber leider dagegen. Borussia verliert 0:2

Uwe Pirl: 12:0 wird es nicht ausgehen, aber dennoch ein deutlicher Sieg für Dortmund. Borussia hat anders als Bochum nicht das Potenzial, der falschen Borussia die Spielfreude auszutreiben. Ohne Stürmer wird sich auch die eigene Torgefahr in Grenzen halten. 3:0. Damit die Meisterschaft spannend bleibt…

Claus-Dieter Mayer: Nach der 5:1-Niederlage in Dortmund gibt es nur zwei positive Dinge zu vermerken: 1) dass Wolfsburg dort noch höher dort verloren hat und 2) das Marco Reus diesmal kein Tor gegen uns gemacht hat (allerdings kam der auch erst in der 85. Minute ins Spiel)

Michael Oehm: Ich schwöre: ein 1:1 und ich habe sie alle wieder lieb. Mindestens bis nach dem Augsburg-Spiel. Ich schreibe eine Eloge auf den Trainerfuchs und pinne sie immer wieder heimlich oben an, damit sie drei Wochen lang täglich im Torfabrik-Pressespiegel auftaucht. Spuckt rein, Jungs! Deal?