Seitenwahl IMG 9417 Irgendwann während der laufenden Spielzeit kaufte ich mir ein Borussen-Trikot. Zum ersten Mal überhaupt ein aktuelles, normalerweise sind mir die Dinger zu teuer. Aber es war - ich gebe es gerne zu - ein Angebot. Trikot und Flock zu einem deutlich reduzierten Preis. Einen Flock hatte ich bisher nie. Ich hätte mich auch nicht entscheiden können. Wie unwürdig ist es, wenn man ein paar Monate später mit einem Leibchen rumläuft, auf dem ein Spielername steht, dessen Träger jetzt für beispielsweise den Ballsportverein Dortmund oder Bayer Leverkusen aktiv ist? Nun aber war der Flock halt dabei und mir war klar: Es kann nur zwei geben. Spieler, bei denen ich mir sicher sein kann, dass sie kein fremdes Trikot mehr tragen werden. Spieler im Herbst ihrer Karriere, die sie mit Sicherheit in Mönchengladbach beenden würden. Es konnten nur Patrick Herrmann oder Tony Jantschke sein. Ich entschied mich für denjenigen, dessen Begabung von Haus aus näher an meiner ist. Das Trikot hat die Nummer 24. 

Im Jahr 2007 geisterte der Name Jantschke zum ersten Mal durch die Anhängerschaft. Im Verein war der Junge aus Hoyerswerda da schon eine Weile, aber in der A-Jugend bzw der U23 machten zwei Nachwuchsspieler von sich reden, galten als Borussen der Zukunft. Dennis Dowidat und Tony Jantschke. Einer von beiden löste die Hoffnung ein. Es war der, der damals als der weniger hochbegabte von beiden galt. 

Es war im Spätherbst 2008, als Tony Jantschke sein erstes Bundesligaspiel machte. Hans Meyer war Trainer, die Abstiegsgefahr war groß, Borussia unterlag an einem tristen Samstagnachmittag zuhause mit 1:3 gegen Energie Cottbus. Ein bisschen so wie heute fühlte es sich an, als der junge Mann mit der Rückennummer 36 eingewechselt wurde. Fürs defensive Mittelfeld war Tony Jantschke damals ausersehen. Er kam in der Halbzeit für Gal Alberman. In der Borussen-Elf standen an diesem Tag Spieler wie Patrick Paauwe, Marcel Ndjeng, das Tor hütete Uwe Gospodarek. Es war eine andere Zeit. 

Bis Tony Jantschke Stammspieler werden sollte, vergingen weitere drei Jahre. Lucien Favre nahm nach seiner Amtsübernahme im Frühjahr 2011 einige entscheidende Änderungen vor. Eine war, Tobias Levels als Rechtsverteidiger durch Tony Jantschke zu ersetzen. Und da spielte er von da an. In der Bundesliga, in der Champions-League-Quali, in der Euro-League, in der Champions-League. So zuverlässig erledigte er seinen Job, dass man sich zwischendurch fragte, warum er kein Kandidat für die Nationalmannschaft war. Immerhin hatte er lange in der deutschen U21 gewirkt - meist als Linksverteidiger was Jantschkes Polyvalenz (im Favre-Sprech) im Defensivbereich belegt.

Irgendwann fingen meine Kollegen im Block und ich halbernst bei jeder gelungenen Aktion des Defensivarbeiters "Tony für Deutschland" zu skandieren. Vor allem aber taten wir das nach dem Spiel bei der Ehrenrunde der Mannschaft. So laut und andauernd forderten wir "Tony für Deutschland", dass Jantschke das schnell mitbekam. Offenbar wusste er nicht, ob er sich geehrt oder veralbert fühlen sollte. Aber irgendwann schaute er schon, bevor wir anfingen, vorsichtig in unseren Block. Und sprach mit seinem jeweiligen Nebenmann. Wir wissen nicht, was er sagte. Vielleicht "gleich kommen wieder die Spinner mit Tony für Deutschland" oder sowas. Aber wir meinten das so. Wenn Tony für Deutschland gespielt hätte, er hätte auch diesen Job zuverlässig aber unspektakulär erledigt. Nach vorne machte Jantschke allerdings nur selten etwas. Er ist ein Spieler, der seine Fähigkeiten und seine Grenzen kennt. Dazu dennoch eine weitere Anekdote. Ein Kumpel aus einer seit den frühen Neuzigern bestehenden Tipprunde erscheint nie zu den ein bis zweimal pro Jahr angesetzten gemeinsamen Kick-Events. An einem Tag im April 2012 sagte er dann auf das Drängen der Mittipper hin: "Wenn Tony Jantschke am Wochenende für Gladbach trifft, dann komm' ich und bring nen Kasten Bier mit". Was soll ich sagen: Freistoß Reus, Kopfball Jantschke, 2:0 für Borussia gegen Köln. Jantschkes zweiter von insgesamt fünf Bundesligatreffern für Borussia Mönchengladbach. Der Kumpel erschien beim nächsten Kicken trotzdem nicht. Und zu guter Letzt: Ein Tony-Jantschke-Trikot mit Autogramm hängt über dem Bett des 11-Jährigen Paul, Sohn eines Freundes und eingefleischter Fan des VfL - leider des VfL aus Bochum. Paul machte einst mit seiner Familie Urlaub in einem Hotel im Sauerland. Und dort am Frühstückstisch lernte die Familie Tony Jantschke nebst Partnerin kennen. "Ein Pfundskerl" so das Urteil der Bochum-Dauerkarten-Familie. Und irgendwann nach dem Kurzurlaub lag dann ein Päckchen mit Trikot und Widmung im Briefkasten. 

Tony Jantschke ist nicht irgendein Fußballer. Er ist ganz offenbar ein guter Typ. Einer auf den die Borussengemeinde sich einigen kann, obwohl er nie Fohlenfolklore mitgemacht hat. Als Rautenküsser ist er nicht aufgefallen, nie hat er sich mit Sprüchen bei der Anhängerschaft anzubiedern versucht. Jantschke wirkte immer reflektiert, auf wie neben dem Platz ein "No-Bullshit"-Typ. Auch als er im Herbst seiner Karriere nur noch selten zum Einsatz kam, drängte er nicht nach vorne, forderte nichts, lieferte aber immer ab, wenn er gebraucht wurde. In den vergangenen Wochen, wenn die Borussendefensive sich mal wieder leerdamerersk anfühlte, dann dachte man nicht selten: Tony Jantschke wäre jetzt nicht verkehrt. 

Die Kurve nannte Jantschke irgendwann "Fußballgott". Auch das irgendwo zwischen Respekt und Späßken. Wer sich unter "Fußballgott" einen Techniker wie Messi, einen Gockel wie Cristiano Ronaldo oder einen Vollstrecker wie Haaland vorstellt, der versteht das nicht. Wer sich aber fragt, was ein Spieler sein muss, damit er von den Fans trotz limitierten Naturtalents ohne wenn und aber respektiert wird, der findet die Antwort bei einem Typen wie Tony Jantschke. Der Typ hört jetzt auf mit Fußball. Borussia bleibt er als Teil des Trainerstabs erhalten. Vielleicht wird es ja auch neben dem Platz etwas mit einer Karriere ohne viel Wind, aber mit Erfolg, ehrlich und unspektakulär. Bis dahin: Danke, Tony Jantschke.