freiburg neu

Frühling ist es und während die Natur energisch einen Neubeginn feiert, ist die Stimmung in Mönchengladbach eher verkatert bis depressiv. Und das nun schon zum vierten Mal in Folge in dieser Saisonphase. Schauen wir mal zurück:

2021: Nach 19 Spieltagen ist alles eigentlich noch prima. Borussia ist im Achtelfinale der Champions-League, in der Liga nur einen Punkt hinter Platz 4. Dann verzockt sich Marco Rose komplett im Heimderby, gibt seinen Abschied nach Dortmund bekannt und alles geht den Bach runter. Nach 26 Spieltagen ist man Tabellenzehnter mit 11 Punkten Rückstand auf Platz 4, man versinkt im Mittelmaß und niemand kann verstehen, dass Max Eberl an der „Ich-AG aus Probstwerda“ festhält.

2022: Schon ab dem 13. Spieltag ist eigentlich nix mehr prima, denn an den folgenden Spieltagen heißt es 1:4 in Köln, 0:6 gegen Freiburg und danach wird es kaum besser.  Unklar ist nur, wer mehr enttäuscht ist, Gladbach von Adi Hütter oder Adi Hütter von Gladbach? Max Eberl nimmt tränenreich Abschied und hinterlässt seinem überforderten Nachfolger einen ziemlichen Trümmerhaufen. Am 26. Spieltag liegt man auf Platz 13 mit 7 Punkten vor den Abstiegsrängen.

2023: Die Prima-Phase hält diesmal in etwa bis zum 9. Spieltag, als man den FC Köln mit 5:2 aus dem Park fegt. In den folgenden 17 spielen holt man auch genau 17 Punkten, die Ausbeute eines Abstiegskandidaten. Der Übungsleiter Farke sieht aber zum Erstaunen aller „starke erst Halbzeiten“ (Übersetzung: in einem grottenschlechten Spiel, ist man erst in der zweiten Halbzeit komplett untergegangen) und nimmt die Mannschaft auch dann noch in Schutz, wenn längst Konsequenzen gezogen werden müssten. 8 Spieltage vor Schluss ist man als Tabellenzehnter eine graue Maus (eine Einordung, die Farke auch durchaus noch gefällt) im Niemandsland der Liga.

Und jetzt? Prima war es nie! Punktetechnisch war man zuletzt 2011 schlechter als man als Tabellenletzter nur 5 Punkte weniger hatte, mit dem Unterschied, dass in diesem Jahr ein Trio von ziemlich abgeschlagenen Teams am Tabellenende dem Rest der Liga relative Planungssicherheit für die nächste Saison beschert. Und war es schon im Vorjahr komplett albern, wenn Daniel Farke immer wieder dreist log und die übertriebene Erwartungshaltung zum Problem erheben wollte, so kann davon in diesem Jahr erst recht nicht mehr die Rede sein. Die Gladbacher Fanbasis hatte von Beginn an nahezu komplett akzeptiert, dass es eine schwierige Übergangssaison werden würde, das harte Auftaktprogramm mit zunächst 5 sieglosen Spielen ohne Murren geschluckt, die vielen Gegentore und verspielten Führungen konsterniert aber ohne große Proteste hingenommen. Weniger Erwartungshaltung geht eigentlich nur, wenn es einem dann komplett egal ist. Und hätte man es auch nur einmal z.B. in Frankfurt geschafft einfach die 1:0 Führung nach 90 Minuten auch ins Ziel zu bringen und dann noch einen Drittligisten im Pokal besiegt, wären vermutlich auch jetzt noch ein Gros der Anhänger fein mit dieser Saison. Und nein, dass soll nicht heißen, dass der Borussia nur Nuancen zu einer ordentlichen Spielzeit fehlen, sondern dass das Team noch nicht mal in der Lage ist die niedrigsten Ansprüche seit Ewigkeiten zu erfüllen. Und so ist es mal wieder Frühling und in Gladbach ist die Saison eigentlich schon wieder (zum vierten Mal in Folge!) frustriert abgehakt worden.

Ob nun lang geplant oder eher als kurzfristige Reaktion auf die Malaise gedacht, hat der Verein versucht in den letzten Wochen das Narrativ um Gladbach mit einigen strukturellen Veränderungen an der Spitze des Vereins und im Aufsichtsrat wieder positiver zu stricken. Dies wurde ausführlich von meinen Seitenwahl-Kollegen hier kritisch aufgearbeitet mit der Schlussfolgerung, dass eine Verjüngung und Auffrischung an der Vereinsspitze zwar begrüßenswert sind, aber die Gesamt-Botschaft eher „Weiter so“ ist und nicht „Hier passiert was“ ist. Besonders wenig scheint sich in den letzten Monaten in der sportlichen Führung geändert zu haben. Die Berufung von Nils Schmadtke als Sportdirektor wurde im Sommer als hoffnungsvolles Zeichen für eine Verbreiterung an dieser Stelle gesehen, aber in den vergangenen Monaten konnte man den Eindruck gewinnen, dass Schmadtke den sportlichen Kurs des Vereins nicht beeinflussen will oder aber man ihn dies nicht tun lässt. Für zweiteres spricht unter anderem ein Online-Artikel bei Sky News dieser Tage, der berichtet, Schmadtke würde trotz seines Job-Titels immer mehr aus der Kaderplanung herausgenommen und sein Betätigungsfeld auf Betreuung des Trainer-Teams und anderer Angestellten beschränkt. Nach dem man Roland Virkus zu Beginn seiner Tätigkeit als Eberl-Nachfolger noch hoch anrechnen musste, sich dieser großen Herausforderung zu stellen und fast ein bisschen Mitleid mit ihm hatte, so gibt inzwischen Anzeichen, dass er zwar überfordert sein mag, aber keineswegs bereit ist, ernsthaft Aufgaben zu teilen oder gar abzugeben. Oder anders ausgedrückt: Inkompetenz und Machthunger sind keine gute Paarung!

Sollte all das nicht schon Grund genug für schlechte Laune bei der Borussia sein, so machte diese Woche noch die Nachricht, dass Manu Kone sich bei der französischen U21-Mannschaft verletzt habe, die Runde. Sollte diese eine längere Pause mit sich ziehen, so wäre das für die Borussia doppelt schmerzhaft: Zum einen würde ein potentieller Stammspieler im Mittelfeld fehlen, zum anderen liegen auf Kone immer noch die größten Hoffnungen bzgl. möglicher Transfereinnahmen in diesem Sommer. Eine längere Abwesenheit des Franzosen könnte seinen sowieso schon arg gesunkenen Marktwert noch weiter beschädigen.

Ist also alles nur Mist und Elend rund um Gladbach zurzeit? Ist ein qualvoll sich dahinziehendes Saisonfinale völlig alternativlos? Nicht unbedingt, denn wie schnell sich die Stimmung im Fußball ändern kann, zeigte in der letzten Woche die deutsche Nationalmannschaft. Monatelang war eigentlich alles nur peinlich um das Team, das wieder und wieder weit unter seinen Möglichkeiten blieb, egal ob der Trainer nun Löw, Flick oder Nagelsmann hieß. Dahinterstehend ein verkrusteter DFB angeführt von einer aus der Zeit geratenen Altherren-Riege. Und dann? Einige überraschende Nominierungen in den Kader, ein gut gemachter Videoclip, der das neue Trikot bewirbt, ein Tor nach 8 Sekunden und urplötzlich scheint das Land wieder schwarz-rot-geil zu sein.

Solch ein Umschwung mag aus der momentanen Gefühlslage heraus bei Borussia unwahrscheinlich erscheinen, aber eine Reihe von positiven Ergebnissen verbunden mit einem Sprung in die obere Tabellenhälfte könnten schon rasch die Stimmung aufhellen. Rational betrachtet mag es relativ egal erscheinen wie die Restsaison verläuft, solange man denn nicht noch in Abstiegsgefahr gerät. Ist doch wurscht ob man am Ende 9. oder 14. wird, oder? Nicht so ganz! Mal abgesehen, davon dass diese Abschlussplatzierung ein für alle Mal in den Geschichtsbüchern stehen wird, so ist es auch das erste was potentielle Neuzugänge sehen werden, ist es die Zahl die Spieler und Fans mit in die Sommerpause nehmen werden und welche die kollektive Selbstwahrnehmung bestimmen wird. Wirklich retten kann die Mannschaft diese Saison nicht mehr (die Möglichkeit wurde in Saarbrücken verpasst), aber ein gutes Saisonende könnte schon einiges weniger schlimm machen.

Ein paar kleine Sonnenstrahlen gibt es dann auch: Thomas Cvancara scheint wieder nahe am Kader zu sein und auch Jonas Omlin saß bei der Schweizer Nationalmannschaft immerhin wieder auf der Ersatzbank und wird wohl am Samstag auch im Tor stehen.

Der Gegner am Ostersamstag hat selbst ein paar turbulente Tage hinter sich. Nach der saftigen Pleite in der Europa-League bei West Ham, gab vor 10 Tagen Christian Streich seinen Rücktritt als SC Freiburg-Trainer zum Saisonende bekannt. Freiburg ohne Streich, das scheint zunächst mal unvorstellbar und es wird interessant sein, wie sich das auf das Team auswirkt. Die Rollen zwischen Gladbach und Freiburg haben sich in den letzten Jahren fast vertauscht: war jahrelang die Borussia die Mannschaft mit Blick auf die internationalen Plätze und der SC erstmal darum bemüht nicht in Abstiegsgefahr zu geraten, so ist das inzwischen eher andersrum. Im Vorjahr verpassten die Breisgauer am letzten Spieltag nur knapp die Champions-League-Teilnahme und spielten vom abschließenden 0:5 bei West Ham mal abgesehen dieses Jahr auch eine ordentliche Rolle in der Europa-League. Insofern mag es verwundern, dass Gladbach mit einem möglichen Sieg bis auf 2 Punkte an den SC heranrücken könnte. Nicht nur das, sondern die augenblicklichen 5 Punkte Vorsprung vor dem VFL hatte Freiburg schon nach dem fünften Spieltag; seitdem marschiert man mehr oder weniger im Gleichschritt durch die Saison. Das gilt auch für die Rückrunde, in der beide Teams bislang nur magere 8 Punkte aus 9 Partien holten und in der die Freiburger sogar die schlechteste Abwehr der Liga stellen (22 Gegentore gegenüber „nur“ 14 auf Seiten der Borussia). Der SC spielt also im Verhältnis zu den beiden Vorjahren, in denen man zu diesem Zeitpunkt 11 bzw sogar 14 Zähler mehr zu verbuchen hatte, eine eher schwache Saison. Jeglicher Versuch von Gladbacher Seite sich vor der Partie in die Außenseiter-Rolle hineinzureden, kann daher getrost als bewusstes Understatement verworfen werden. Auch die Angstgegner-Theorie kann man vergessen, denn die gilt nur in Freiburg. Daheim hat Borussia in der ersten Liga nur zweimal gegen den SC verloren.

Natürlich ist der SC deshalb noch lange kein leichter Gegner, denn wer ist das schon für ein Team, dassgegen die abgeschlagenen letzten 3 Teams in 6 Spielen keinen einzigen Sieg holen konnte? Defensiv können die Breisgauer seit einigen Wochen wieder auf Christian Günter bauen, dessen monatelange Verletzungspause einiges zum eher durchwachsenen Abschneiden der Freiburger beitrug. Ebenfalls in der Abwehr tätig ist Günters Fastnamensvetter Matthias Ginter (auf dem Gebiet hat der SC mit Höler/Höfler und und Sallai/Szalei sowieso einiges zu bieten), der im Übrigen zumindest nach Kickernoten Freiburgs bester Spieler in dieser Saison ist. Im Mittelfeld gibt es mit Standardspezialist Grifo einen weiteren Ex-Gladbacher in Freiburger Reihen und mit dem japanischen Nationalspieler Doan noch einen weiteren höchst gefährlichen Akteur, währen in der absoluten Sturmspitze sich zuletzt Sallai und Gregoritsch abwechselten. Immerhin ist der SC eher eine Mannschaft die versucht spielerisch übe Kombinationen zu Chancen zu kommen, ein Ansatz, der der Borussia zuletzt besser lag als defensive Teams, die im Wesentlichen über lange Bälle kommen.

Auf Gladbacher Seite wird wie bereits erwähnt Kone ausfallen und auch die Fortschritte machenden Cvancara und Plea sind vermutlich noch nicht wieder Kandidaten für den Kader. In der Abwehr stimmte Itakura zuletzt der Seitenwahl-Redaktion zu und fand alles nur zum Kotzen, aber dürfte nach Magen-Darm-Grippe vermutlich am Samstag wieder im Kader stehen. Die wohl spannendste Frage war, wie sich der Trainer in der Torwartfrage entscheiden würde. Es hätte durchaus sein können, dass Nicolas nach seinen überwiegend guten Leistungen zumindest diese Saison als Stammtorhüter abschliesst, aber wie Seoane auf der heutigen Pressekonferenz bekannt gab wird Omlin als Nr. 1 zurückkehren und zwar schon dieses Wochenende. Mit einem vollen Angebot an Innenverteidigern (sollte sich Itakuras Magen beruhigt haben) kann es gut sein, dass die Borussia wieder mit 3/5er-Kette agiert, ein System welches sich zuletzt mit der traditionellen Viererkette abwechselte (zum Teil auch im selben Spiel).

Ach ja, wie endeten denn dann die nach 26 Spieltagen so trostlos anmutenden letzten Spielzeiten letztendlich? Nun, Marco Rose konnte noch 13 Punkte in den letzten 8 Spielen holen und nur ein gewisser Max Kruse verhinderte in letzter Minute, dass Borussia 2021 zumindest die Conference League erreichte. Adi Hütter kam sogar noch auf stattliche 15 Punkte in dieser Schlussphase, aber wenn ausgerechnet das Heimspiel im Derby verloren wird, nützt auch das nichts mehr. Unter Daniel Farke ändertes sich fast nix, man dümpelte mit 11 Punkten ähnlich herum wie im Rest der Saison und zeigte erst im allerletzten Spiel gegen Augsburg eine Leistung bei der sich jeder fragte „warum nicht eher?“. Auch wenn zuletzt die Kritik an Gerardo Seoane stärker wurde, ist der Schweizer im Moment bei weitem noch nichts so angeschossen wie es seine 3 Vorgänger zu diesem Zeitpunkt waren. Und gerade deswegen wäre ein ordentlicher Saisonabschluss wichtig, um ein wenig Kontinuität zurückzubringen. Ein erneuter Trainerwechsel hätte nämlich lediglich das Flair eines Schauprozesses, bei dem die Mächtigen durch das Opfern eines Sündenbockes geschickt von eigenen Fehlern ablenken können.

Seitenwahl-Tipps:

Claus-Dieter Mayer: Immer, wenn man schon nicht mehr damit rechnet, beweist die Borussia, dass sie eigentlich eine passable Bundesliga-Mannschaft ist. So auch am Ostersamstag wo ein verdienter 3:1-Sieg gegen Freiburg, alle verbliebenen Abstiegssorgen endgültig vertreibt.

Michael Heinen: Eichhörnchen Borussia schleicht sich durch das 1:1 gegen Freiburg weiter an den Klassenerhalt an. Positiv: In der Bundesliga bleibt man zum fünften Mal in Folge ohne Niederlage. Negativ: Insgesamt bleibt man zum fünften Mal in Folge sieglos.

Kevin Schulte: Freiburgs Spieler wollen Streich würdig verabschieden, kommen gut ins Spiel, aber Borussia hält dagegen. Am Ende hilft das 2:2 keiner der beiden Mannschaften weiter. Immerhin: Das Horrorszenario Abstieg wird immer unwahrscheinlicher.

Christian Spoo: Jetzt haben sie aber wirklich verstanden, dass es so nicht geht. Sagen sie. Geht es aber doch. Halbgare Leistung, glücklicher Punkt. 1:1.