Pokal

 

Unsere treuen Leser (und auch viele Untreue, wobei nicht ganz klar ist, wie genau wir nun diese beiden Gruppen definieren und unterscheiden sollen) wissen, dass Seitenwahl ein Hort der extremen Sachlichkeit, Besonnenheit und wissenchaftlicher Nüchternheit (selbst zu Karneval, versteht sich!) ist, aber auch wir kommen nicht umhin festzustellen, dass die soeben begonnene Woche  – wie so häufig – die absolut wichtigste der Vereinsgeschichte des VFL Borussia 1900 von und zu Mönchengladbach ist bzw sein wird bzw (irgendwann) dann gewesen sein wird! Alles aber auch alles entscheidet sich dieser Tage: Entweder der glorreiche VFL hat seine Hand schon halb am DFB-Pokal, kann die offene Busfahrt durch die Gladbacher Innenstadt am 26. Mai quasi buchen und dann am Wochenende jegliche Abstiegsgefahr ein für alle Mal verbannen oder aber es droht die grösste Blamage aller Zeiten (oder zumindest seit der Derbyniederlage im Köln vor ein paar Monaten) und der bodenlose Fall in die Zweitklassigkeit. Die verwirrende Möglichkeit, dass eventuell nur eines der nächsten beiden Spiele verloren wird und das andere siegreich endet, ignorieren wir dabei einfach mal genauso geflissentlich wie völlig theorethische Szenarien, in denen die Borussia diese Woche verkackt, sich dann aber berappelt und noch eine ordentliche Restsaison spielt. Nein, nein, solch biederes Grau-Grau-Denken führt erfahrungsgemäß nirgendwo hin. Sekt oder Selters ist angesagt (und für mich ein Altbier)!

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Wir wollen beim angespannten Blick voraus, aber auch nicht gänzlich unterschlagen, dass die Borussia auf dem Weg nach Saarbrücken noch ein kurzes Stelldichein in München hatte. Im Gegensatz zum Stresstest der nächsten Tage war dies ein Spiel, dass man aus Gladbacher Sicht entspannt angehen konnte, denn trotz der guten Bilanz gegen Bayern in den letzten Jahren ging man als krasser Aussenseiter in diese Partie. Das galt umso mehr, nachdem Plea und Wöber es nicht in den Kader schafften und auch der zuletzt angeschlagene Koné zunächst auf der Bank geschont wurde. Das Spiel nahm dann dementsprechend zunächst auch den erwarteten Verlauf: die Borussia stand tief, Bayern veranstaltete ein formidables Scheiben-Schießen, aber Nicolas, die Latte und bajuwarisches Unvermögen schafften es mit vereinten Kräften einen frühen Rückstand zu verhindern. Im Gegensatz zum Spiel in Leverkusen aber gelang es der Borussia dann irgendwann Mitte der ersten Halbzeit sich etwas aus der Umklammerung zu befreien: eine gefährliche Flanke hier, ein Kopfball da und dann der grosse Auftritte unseres speziellen Freundes Schiessbuden-Manu! Deutschlands klare Nr. 1 für die Europameisterschaft (angesichts eines souveränen 16. Platzes in der Kategorie Torwart nach Kickernoten natürlich auch hochverdient) spielte einen etwas schludrigen Pass auf Elvedi, den Müller fast noch abgefangen hätte, aber der Gladbacher konnte sich durchsetzen und nach einem schönen Doppelpass mit Jordan dann gekonnt zum 1:0 abschliessen.

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Wie im Hinspiel hatte die Borussia also die Führung erlangt und wie im Hinspiel sollte das leider nicht reichen. Quasi mit dem Halbzeitpfiff gelang den Bayern der Ausgleich…zum psychologisch ungünstigten Zeitpunkt, denn ein Gegentreffer 5 Minuten vorher oder kurz nach der Pause, wäre natürlich erheblich besser gewesen (aber vielleicht auch nicht). Halbzeit 2 fasste dann eigentlich sehr schön zusammen, wo Borussia im Moment steht: zum einen fehlt da im Vergleich zu den Vorjahren einfach die individuelle Qualität. Moritz Nicolas hat seine Sachen in den letzten Monaten prima gemacht, aber er ist kein Yann Sommer, der in der letzten Saison der Borussia quasi allein einen Punkt in der Allianz Arena sicherte. Nachdem zunächst ein Manuesker Fehlpass des Gladbacher Torhüters noch folgenlos blieb, schenkter er dann mit einem missglückten Rauslaufen wenig später Harry Kane den Ausgleich. Auch offensiv fehlte jemand vom Format eines Marcus Thuram, der eine Abwehr nahezu selbst beschäftigen kann und im entscheidenen Moment dann auch knipst. Andererseits war es eine aufopferungsvolle kämpfende Borussia, beispielhaft dabei Robin Hacks Grätsche nach 80 Meter Lauf in die eigene Hälfte, für die er zu Recht den „Neuhaus der Woche“ gewann. Auch konnte man das Spiel nach der wackligen Anfangsphase relativ ausgeglichen gestalten und hatte vor dem entscheidenden 3:1 kurz vor Schluss durchaus gefährliche Phasen vor dem Münchener Tor. Das Gesamturteil bleibt damit etwas ambivalent: Diese Bayern waren die vermutlich besiegbarsten der letzten Jahre, aber dummerweise ist gleichzeitig auch das Niveau der Borussia gesunken. Für seine momentanen Mittel hat der VFL es eigentlich recht gut gemacht, aber die reichen zurzeit nicht mehr um die Bayern so zu ärgern, wie man das noch in den Vorjahren konnte.

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All das könnte aber bald schnurzpiepegal sein (kann eigentlich auch was anderes schnurzpiep sein, z.B. schnurzpiepinteressant oder so? Wer was weiss, bitte die Redaktion informieren, danke!), wenn die Borussia nun ihrerseits der Favoritenpflicht nachkommt und am Mittwoch in Saarbrücken siegt. Dass die Saarländer dabei kein angenehmer Gegner sein werden deuten nicht nur die beiden sensationellen Pokalsiege gegen die Bayern und Eintracht Frankfurt an. Zwar steht man in der dritten Liga nur auf dem 12. Platz aber keine andere Mannschaft hat weniger verloren (5 Niederlagen in 23 Spielen) als die Unentschieden-Spezialisten aus der Stadt, in der „Geheirade“ nicht zwei frisch vermählte bezeichnet, sondern ein eher schwer verdauliches Gericht. Mit nur 27 Gegentoren stell man auch die viertbeste Abwehr der Liga, also genau die Art von Gegner mit der die Borussia typischerweise so ihre Mühe hat. Es wäre sehr zu hoffen, das Alassane Plea nach seiner Fussprellung aus dem Stuttgartspiel wieder schmerzfrei ist, und spielen kann denn gerade die spielerische Klasse des Franzosen wird in dem zu erwartenden Geduldspiel dringend gebraucht. In der Abwehr sollte es fuer Gerardo Seoane neue Optionen geben, nachdem Itakura wieder zurueck vom Asia-Cup ist und Wöber hoffentlich nach längerer Infektion auch wieder einsatzfähig sein wird. Beide scheinen aber im Moment eher Kandidaten für die Ersatzbank zu sein.  Im Mittelfeld würde es verwundern, wenn mit Manu Koné nicht der Pokalheld vom Achtelfinale wieder in die Startelf rückt, dessen Dynamik und Giftigkeit in solch einem Spiel entscheidend sein kann.

Wie wir es in unserer schwungvollen Einleitung bereits andeuteten, geht es um viel bei diesem Spiel: Es ist eine Weile her, dass die Borussia ein Pokalhalbfinale erreichen konnte: 2017, als man im Elfmeterschiessen an Eintracht Frankfurt scheiterte (nein, wir haben Hrgota nicht vergessen…die Drecksau!). Und angesichts der Tatsache, dass es nur noch einen weiteren Bundesligisten unter den letzten vier geben wird und mit Bayern, Leipzig, Dortmund und Frankfurt die Gewinner der letzten Jahre allesamt nicht mehr vertreten sind, war die Chance selten grösser tatsächlich mal „was Blechernes“ zu holen. Aber das ist es nicht allein, was das Spiel so bedeutend macht, sondern es geht auch um das Gesamtgefüge und Stimmung rund um den Verein. Bislang hat die Anhängerschaft die schwierige Umbruchsaison weitestgehend mitgetragen. Trotz eines mageren 13. Platzes wird das Team unterstützt, gibt es keine ernsthaften Diskussionen um den Trainer oder andere Unruhen. Man hat einige Male gesehen, was entstehen könnte mit dieser Mannschaft und dass es im Vergleich zum Vorjahr nicht primär am mangelnden Willen liegt, dass man nicht besser spielt (gerade die Auftritte gegen die Top 3 der Liga in den letzten Wochen waren einsatzmässig top). Aber diese Geduld wird nicht endlos sein. Und sollte man jetzt in Saarbrücken die Riesenchance auf eine richtig erfolgreiche Pokalrunde verschenken und dann vielleicht noch am Wochenende unverhofft doch wieder in Nähe der Abstiegsregionen abrutschen, könnte es auch in der kuscheligen Wohlfühl-Oase Mönchengladbach ungemütlich werden.

Dass Viertelfinalspiele gegen Drittligisten nicht nur Formsache sind, weiß man in Gladbach aus eigener bitterer Erfahrung. Im Frühjahr 2015 spielte man eine der besten Rückrunden der Vereinsgeschichte, erreichte mit 12 Siegen und 3 Unentschieden in Serie ein Niveau wie es zur Zeit Leverkusen hat, hatte mit Xhaka, Kruse, Raffael etc ein echtes Spitzenteam beieinander und vergurkte es dann im Elfmeterschiessen auf der Bielefelder Alm. Allerdings hatte man damals ein kleines Trostpflaster namens Champions League bereit, was diesen Faux Pas schnell vergessen liess. Diesmal ist der Pokal das letzte verleibende Fünkchen Hoffnung in einer ansonsten eher tristen Saison. Wie elend sich der Kater am Donnerstagmorgen anfühlen würde, wenn man ausscheidet, kann sich jeder lebhaft vorstellen. Am eigenen Leibe erleben müssen wir das nun wirklich nicht, aber…nun ja…wir sind Borussia, und wir wissen alle, was das typischerweise heißt.

 

Seitenwahl-Tipps:

Claus-Dieter Mayer: Im Gegensatz zu einigen Kollegen, die euphorisch an ein Elfmeterschiessen glauben, sehe ich das Spiel nach 90 Minuten beendet. Gegen eine Borussia, die die Hosen gestrichen voll hat, hat der FCS noch nicht mal sonderlich viele Mühe, dem vermeintlichen Favoriten komplett den Schneid abzukaufen und 3:0 zu gewinnen.

Michael Heinen: Borussia vermeidet es 120 Minuten lang geschickt, in Saarbrücken in Führung zu gehen. Im Elfmeterschießen ist es dann leider doch soweit, was unweigerlich zu einer 3:4-Niederlage führen muss.

Christian Spoo: Jeder weiß, was Borussia in Saarbrücken erwartet. Eine leidenschaftlich kämpfende Mannschaft, unterstützt von einem lauten Publikum. Und trotzdem wirkt die Mannschaft überrascht. 1:1 nach 90 Minuten, 1:1 nach Verlängerung. Danach Roulette.

Volkhard Patten: Wer es nicht schafft, einen Drittligisten zu besiegen, hat im Halbfinale nichts verloren. Frag nach in München und Frankfurt. 3:1 nach 90 Minuten und der Traum von Berlin lebt bei Borussias Fans weiter.

Michael Oehm: Überraschend souverän und in 90 Minuten zieht die Borussia mit 3-1 ins Halbfinale ein.