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Wie man ein Spiel aus der Hand gibt, hat Borussia in dieser Saison schon diverse Male vorexerziert. Eine neue Variante präsentierte die Mannschaft am ersten Spieltag der Rückrunde: Statt wie gegen Frankfurt einen Doppelschlag kurz vor dem Ende zu kassieren, verlegte sie das gleiche Geschehen in die Minuten nach der Halbzeit. Der große Vorteil: So hatte die Anhängerschaft gut 40 Minuten Zeit sich daran zu gewöhnen und trat den Heimweg aus dem Stadion nicht ganz so frustriert an. Ernüchternd war das Spiel gegen den FC Ausgburg dennoch.

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„Ich hatte das Gefühl, dass wir nicht an unsere Leistungsgrenze gekommen sind“, gab Trainer Gerardo Seoane nach dem Abpfiff zu Protokoll und dieser eine Satz sagt sehr viel über das Geschehen auf dem Platz und wirft ein bedenkliches Licht auf die Situation von Borussia zu Beginn des Jahres 2024. Denn warum eine Mannschaft, die die Chance hat, sich mit dem ersten Doppel-Dreier seit Äonen ein komfortables Polster auf die Abstiegszone zu verschaffen, nicht an ihre Leistungsgrenze geht, zudem vor heimischem Publikum gegen einen Gegner, der seit vier Spielen nicht gewonnen hatte, ist ein großes Rätsel.

Schon die Anfangsphase hatten die Borussen etwas verschlafen. Augsburg war wacher, stand hoch, lief früh an und hätte in der zehnten Minute fast von einem haarsträubenden Abspielfehler von Joe Scally profitiert, der den Ball unmotiviert nach hinten spielte – perfekt in den Lauf  von Augsburgs Demirovic. Eine Minute später kratzte Nicolas mit einem bemerkenswerten Parade einen Kopfball von Vargas aus dem Winkel.

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Wach wurden die Gladbacher Spieler dann von den eigenen Fans gemacht – der Schoko-Münzen-Regen aus der Nordkurve hatte offenbar nicht nur zur Folge, dass Borussia erneut an die Unzufriedenheit der eigenen Anhängerschaft (oder Teile derselben) mit dem Investoren-Deal der DFL, der unter Mitwirken der Gladbacher Vereinsführung entstand, erinnert wurde, sondern die Spieler auch daran, dass von ihnen nicht nur physische Anwesenheit auf dem Platz erwartet wird. Nach der zirka achtminütigen Unterbrechung entwickelte sich ein anderes Spiel. Augsburg blieb unangenehm, aber Borussia spielte nun zielstrebiger und stand hinten sicher. Das Führungstor durch Jordan fiel noch etwas aus heiterem Himmel, danach hatte die Mannschaft das Spiel recht gut im Griff und erspielte sich einige Chancen. So gab es eigentlich genug Grund, mit einem guten Gefühl in die Pause zu gehen.

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Was sich dann nach dem Wiederanpfiff im Borussia-Park abspielte, war umso bestürzender. Fünf Minuten Tiefschlaf und Augsburg hatte das Spiel gedreht. Die Abwehr wirkte unsortiert und inkonsequent. Beim Ausgleich ließ Hack sich leicht verladen, Netz stand irgendwo statt da, wo er hingehörte und Scally ging gegen den Torschützen Jensen nicht entschlossen zur Sache. Beim Augsburger Führungstor weiß man gar nicht, wo man anfangen soll. Alles stand falsch. Selten ist ein Spieler im gegnerischen Strafraum in einer Nicht-Konter-Situation so unbehelligt zum Schuss gekommen wie Arne Engels in dieser Situation.

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Die weiteren 40 Minuten waren dann der Grottenkick, den viele vorhergesagt hatten. Während die erste Halbzeit einen erstaunlich hohen Unterhaltungswert hatte, bot die zweite aus Gladbacher Sicht nur noch Grund zum Haareraufen. Der verletzungsbedingte Wechsel Kramer für Reitz nahm der Defensive sichtlich Widerstandskraft. Fast jeder Versuch, dem Spiel nach vorne durch frische Spieler noch eine Wendung zum Besseren zu geben, verpuffte.

Nathan Ngoumou für Robin Hack gebracht zu haben, dürfte Geardo Seoane nach spätestens fünf Minuten leidgetan haben. Der Auftritt des Franzosen ist mit „unterirdisch“ noch freundlich umschrieben. Auch Florian Neuhaus, über dessen Verbleib in Gladbach weiterhin spekuliert wird, konnte keine Impulse setzen. Allein die Einwechslung von Stefan Lainer brachte etwas: Viel Applaus für den ersten Einsatz nach seiner Krebserkrankung und die Erkenntnis, dass Lainer eine gute Alternative zu Joe Scally ist, der seinen gebrauchten Tag auf der linken Abwehrseite beenden durfte.

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Zu keinem Zeitpunkt in der zweiten Halbzeit entstand das Gefühl, Borussia würde sich mit aller Macht gegen die drohende Niederlage stemmen. Augsburg war dem dritten Tor stes näher als Gladbach dem Ausgleich. Seltsam blutleer wirkte das, was die Mannschaft auf dem Platz zeigte. Seltsam teilnahmslos wirkte aber auch das Publikum. Von den zwölf Schweigeminuten, die die Ultras dem Stadion aufgezwungen hatten, schien sich der Borussia-Park nicht mehr zu erholten. Von den Rängen nach vorne gepeitscht wurde das Team definitiv nicht. Womöglich hatte sich aber auch schon die Ahnung durchgesetzt, dass dieser Mannschaft an diesem Abend selbst die Peitsche nicht mehr helfen würde.

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So müssen wir erkennen, dass sich an der Unstetigkeit von Borussia 2023/24 auch nach der kurzen Winterpause nichts geändert hat. Die Stabilisierung der Defensive ist weiterhin die große Aufgabe, der sich Trainer und Spieler stellen müssen. Dass Biss und Einstellung offenbar in nicht unwesentlichem Maße von der Anwesenheit eines 21-Jährigen Mittelfeldspielers abhängen, der vor der Saison noch als Verkaufskandidat für einen Appel und ein Ei galt, ist bei aller berechtigten Freude über die Entwicklung von Rocco Reitz eine erschreckende Erkenntnis. Dass jetzt die Auswärtsspiele in Leverkusen und München bevorstehen macht klar, es stehen unbehagliche Wochen bevor. Borussia ist noch nicht an Schmitz‘ Backes vorbei.