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HSVIst Borussia Mönchengladbach eine überbewertete Aktie? Die Frage, bereits im letzten Spielkommentar auf dieser Seite gestellt, wurde auch am Samstag nicht abschließend beantwortet. Die Börsenentwicklung des letzten Jahrzehnts verleiht der Metapher Dramatik: Dot.com- und Immobilienblase mündeten jeweils in einen Crash historischen Ausmaßes. In Gladbach ist die Reihenfolge derzeit umgekehrt: Auf einen Absturz ins scheinbar Bodenlose folgte nicht etwa eine langsame Erholung, sondern ein kometenhafter Aufschwung bis fast ganz an die Spitze. Da muss die Psyche erst mal mitkommen.

 

Für die These von der überbewerteten Borussia lieferte die erste Halbzeit Material.  Gegen spielerisch biedere Hamburger verloren die Gladbacher unzählige Bälle. Mangels anderer Anspielstationen mussten die Verteidiger immer wieder den eigenen Torwart in den Spielaufbau einbeziehen. Dessen lange Bälle landeten dann oft beim Gegner oder im Toraus. In der Offensive wurden Ideen für Kombinationsfußball zwar im Ansatz deutlich, aber oft zu schlampig ausgeführt. Patrick Herrmann konnte auf dem Flügel Marko Reus‘ Explosivität nicht ersetzen. Der ins Zentrum versetzte Reus selbst hatte Mühe, sich gegen sehr robust, bisweilen auch überhart agierende Verteidiger körperlich zu behaupten.

 

Aber: Auch in der spielerisch vielleicht schwächsten Halbzeit der Saison ließ die Borussia praktisch keine Torchance zu. Das war zwar auch Hamburger Einfallslosigkeit zu verdanken. Doch es gab Zeiten, da hätten die Borussen sich einem solch verunsicherten Gegner als Aufbauhelfer angeboten. Sie hätten ihm zahlreiche Freistöße in Strafraumnähe zugestanden, und bei mindestens einem davon hätte die Zuordnung nicht gestimmt oder wäre der Torwart am Ball vorbeigesegelt. Und wenn der Gegner sich nicht von selbst in den Strafraum kombinieren kann, hätte ein katastrophaler Ballverlust im Vorwärtsgang bei gleichzeitig ungeordneter Defensive ihm die Arbeit abgenommen. So hätte man zur Pause bereits mit ein oder zwei Toren in Rückstand gelegen.

 

Diese Zeiten sind Geschichte. Weil die Borussia inzwischen selbst in schwächeren Phasen kaum Tore kassiert, kann sie ihr Offensivspiel neu justieren, ohne gleich bedingungsloses Risiko gehen zu müssen. So geschehen am Samstag: Trotz deutlich mehr Mut im Spiel nach vorne ließ die Gladbacher Defensive auch im zweiten Durchgang weiterhin fast nichts zu. Nur zu einer einzigen Großchance kamen die Hamburger, bei der Filip Daems' Ellenbogen dem Ball den Weg ins Tor verwehrte. Man kann zwar verstehen, dass die Hamburger in dieser Szene einen Handelfmeter forderten. Peter Sippel handelte allerdings im Sinne der neuen Anweisungen, die der DFB vor der Saison ausdrücklich bekannt gegeben hatte: Handspiel soll nur noch dann als absichtlich gewertet werden, wenn eine eindeutige Bewegung der Hand zum Ball vorliegt. Von dieser Szene abgesehen, blieb der Gladbacher Strafraum auch nach der Pause Entspannungszone.

 

Der Hamburger Strafraum blieb es nicht. Früh nach Wiederanpfiff scheiterten de Camargo und Arango nur knapp; nach der Gladbacher Führung verhinderte der an diesem Tag starke Jaroslav Drobny gegen Reus und Arango eine höhere Niederlage. Bei konsequenterer Chancenauswertung wäre am Ende selbst ein Sieg mit drei, vier oder fünf Toren möglich gewesen. Und es war nicht allein die Zahl der Großchancen, die das Gladbacher Fanherz entzückte, sondern vor allem auch die Art, wie sie herausgespielt wurden: leichtfüßig, spielfreudig, ideenreich und passsicher – in der zweiten Halbzeit konnte von „überbewertet“ keine Rede mehr sein.

 

Nun war der Gegner in seiner derzeit bedauernswerten Verfassung nur begrenzt ein Maßstab, und die erste Halbzeit spricht weiterhin dafür, dass die Aktie Borussia tabellarisch doch etwas zu hoch gehandelt wird. Aber nicht jede Kurskorrektur ist ein Crash: Das Spiel als Ganzes nährt die Hoffnung, dass Borussia sich vielleicht wirklich dauerhaft in der ersten Tabellenhälfte etablieren könnte. Hilfreich dafür wäre, dass die Fans auch dann Gelassenheit bewahren, wenn sie mal wieder drei, vier sieglose Spiele in Folge miterleben.