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FC St. Pauli“Der natürliche Zustand“, sinnierte Henslowe, „besteht aus unüberwindbaren Hindernissen auf dem Weg zur nahenden Katastrophe“ ("insurmountable obstacles on the road to imminent disaster"). Anhänger von Borussia Mönchengladbach sollten aktuell wenig Schwierigkeiten haben, sich in diesem Fazit wiederzufinden.

 

Das Zitat stammt aus dem Film Shakespeare in Love (der hemmungslos unhistorisch, dem Vorbild aber vielleicht gerade deshalb wesensverwandt ist).  Dort türmt sich vor der Uraufführung von Romeo and Juliet Desaster auf Desaster. Mal droht die Pest, mal der Zensor. Der chronisch insolvente Theaterinhaber bezahlt die Rechnung seines Schneiders,  indem er ihm einen Auftritt im neuen Stück zusagt. Leider wird besagter Schneider von hartnäckigem Stottern geplagt. Schließlich fällt im letzten Moment die Hauptrolle aus. Shakespeare ist von Rat- und Hoffnungslosigkeit gelähmt. Kommt das bekannt vor?

 

Schockstarre herrscht jedenfalls auch in Gladbachs Anhängerschaft. Auf dem Papier mag sich die Rückrundenbilanz zwar insgesamt ordentlich ausnehmen. Vor allem die Art und Weise aber, wie sich die Borussen im so wichtigen Spiel gegen Stuttgart nach der Pause in ihr Schicksal ergaben, hat viele Zweifel daran genährt, ob diese Mannschaft dem Druck des Abstiegskampfes mental gewachsen ist. Mangelnder Mut, haarsträubende Abspielfehler, krasse Aussetzer in der Abwehr, schon wieder ein Feldverweis. Dazu ein Schiedsrichter, der, wie die Hexen aus Macbeth, "fair" und "foul“ nicht auseinanderhalten kann. Und nun fällt auch noch Marco Reus aus, gewissermaßen eine der Hauptrollen im Gladbacher Spiel. In der Tat: “insurmountable obstacles on the road to imminent disaster“.

 

Henslowes Zitat geht aber noch weiter. Was solle man jetzt tun, wird er gefragt. Nichts, alles werde gut werden. Wie? „I don’t know. It’s a mystery“. So geschieht es dann auch. Die Hauptrolle wird um- und wie sich zeigt, viel besser besetzt. Der Schneider findet plötzlich zu nie geahnter Beredsamkeit. Am Ende hält selbst der verkniffene Puritaner seine Freude nicht mehr im Zaum. Der Zensor wird von der Queen höchstpersönlich vor versammeltem Publikum zusammengefaltet. Ein Triumph. Und hinter der Bühne steht Henslowe, lächelt verklärt und flüstert: „It’s a mystery“.

 

Der Fußball hat mit dem Theater ja einiges gemeinsam, vor allem mit dem Shakespeares, als noch nicht zur Hochkultur gehörte. Auch dort trafen sich im Publikum alle Gesellschaftsschichten: von den trink- und gröhlfreudigen groundlings auf den billigen Stehplätzen zur Schickeria in den Logen, der es weniger um die Aufführung ging, als darum, gesehen zu werden. Auch dort war es laut, gab es Pfiffe, Buhrufe und Beleidigungen ebenso wie spontanen Jubel. Auch dort wurde ein Spektakel großer Leidenschaften inszeniert. Auch dort wurden Helden, Versager und Sündenböcke gebraucht. Und auch dort geschah manchmal schier Unerklärliches: unglaubliche Verkettungen von Katastrophen und menschlicher Dummheit, aber auch die Rettung aus scheinbar auswegloser Lage.

 

Beides kennt der Fußball auch. Kaum nachvollziehbare Einbrüche, wie der von letzter Woche. Umgekehrt aber auch Mannschaften, die nach einem desolaten Spiel plötzlich wie verwandelt auftreten und sich mit einer Serie aus scheinbar abgeschlagener Lage noch retten. It’s a mystery.

 

So gesehen wäre es denn doch ein wenig verfrüht, jetzt schon alle Hoffnung fahren zu lassen. Noch kann man hoffen, dass das Stück, das Borussia in dieser Spielzeit aufführt, sich am Ende als Komödie erweisen wird, im älteren, Dantesken Sinne des Wortes: als Geschichte vom Weg durch die Hölle und wieder aus ihr heraus. Und vielleicht wird dann Rainer Bonhof am letzten Spieltag die Rolle des Henslowe spielen, lächelnd in den Katakomben der Hamburger Imtech-Arena stehen und erleichtert flüstern: „Es ist ein Rätsel“.

 

Der FC St. Pauli

 

Beim Gegner spielten sich die größten Drama zuletzt abseits der Grasbühne ab. Erst wurde, sehr zur Pein der Vereinsführung, eine führende Grünen-Politikerin der Stadt aus der Fankneipe „Jolly Roger“ hinauskomplimentiert. Man nahm es dort den Grünen übel, den bei vielen Linken besonders unbeliebten ehemaligen Innensenator Christoph Ahlhaus zum Ersten Bürgermeister der Freien und Hansestadt Hamburg gewählt zu haben.

 

Dann rückten die Proteste der „Sozialromantiker“ ins Zentrum der Aufmerksamkeit. Diese Gruppierung, die eine abfällige Bemerkung des ehemaligen Pauli-Präsidenten Corny Littmann kurzerhand zum Ehrentitel umfunktionierte, wirft dem Verein vor, Verabredungen mit den Fans nicht eingehalten zu haben und dem Kommerz zu viel Raum zu gewähren. Es seien doppelt so viele Logen gebaut worden wie vorher angekündigt; es gebe nun mehr Business-Plätze am Millerntor als in der viel größeren Münchner Allianz-Arena. Das Stadion werde durch Werbung überfrachtet; die Aufstellung durch einen Sponsor präsentiert, obwohl man doch versprochen hatte, dass die letzten fünf bis zehn Minuten vor dem Spiel akustisch nur den Fans gehören sollten. Die „Sozialromantiker“ verwahren sich gegen Sexismus im Stadion, gegen ein Cola-Rotweingetränk namens „Kalte Muschi“ ebenso wie gegen die Vermietung einer Loge an „Susis Showbar“, in der die Gäste wahlweise durch Fußball oder strippende Damen unterhalten werden.

 

Für Aufregung sorgte ferner die Aufarbeitung des Wettskandals. Der ehemalige Paulianer und Gladbacher René Schnitzler hat schon vor einiger Zeit gestanden, Geld entgegengenommen zu haben, will die dafür zugesagten Spielmanipulationen letztlich aber doch nicht begangen haben. Diese Woche aber wurden im ARD-Magazin „Fakt“ auch Spieler des aktuellen Kaders mit dem Skandal in Verbindung gebracht, was die Pauli-Verantwortlichen sogleich energisch dementierten. Tatsächlich seien Florian Bruns, Ralph Gunesch und Carsten Rothenbach von der Staatsanwaltschaft Bochum einzig und allein als Zeugen im Fall Schnitzler geladen worden.

 

Schließlich fiel das Hamburger Stadtderby aus, nachdem der neue Rasen für die Imtech-Arena verspätet geliefert worden war und offenbar deshalb den Regenfällen des Wochenendes nicht standhielt. Die Absage führte zu spontaner Fanrandale; der neue Termin am kommenden Mittwoch lässt die Sicherheitskräfte ein hurly-burly größeren Ausmaßes befürchten.

 

Sportlich dagegen ließ sich das Jahr 2011 durchaus erfreulich an. Der FC St. Pauli ist in der Rückrunde noch ungeschlagen und überzeugte vor allem beim souveränen 3:0 gegen den 1. FC Köln. Gegen diesen Gegner hatte man zuvor, wie aktuell übrigens gegen Gladbach, seit zwanzig Jahren keinen Heimsieg mehr feiern können. Gegen die Kölner, bei denen Michael Rensing eine höhere Niederlage verhinderte, war die Mannschaft von Holger Stanislawski und André Trulsen von Beginn an hellwach, nachdem man in Hoffenheim die Anfangsphase noch verschlafen hatte.

 

Für Freude sorgte generell die neu entdeckte Torgefahr. Auch wenn St. Pauli über die gesamte Saison immer noch auf die wenigsten Treffer kommt, so durfte man doch in jeder Rückrundenpartie mindestens zweimal jubeln. Der vereinsinterne Topscorer Gerald Asamoah trat dabei mit zwei Treffern und zwei Assists in Erscheinung, der wiedererstarkte Charles Takyi mit einem Doppelpack gegen Köln. Der offensivfreudige Linksverteidiger Oczipka schlug in der Rückrunde gleich drei Flanken, die zu Toren führten.

 

Oczipka allerdings fällt am Samstag aus, wie St. Paulis Abwehr ohnehin stark ersatzgeschwächt ist. Neben Oczipka fehlt mit Lechner ein weiterer Linksverteidiger, rechts muss das Trainerteam auf Stammspieler Carsten Rothenbach verzichten. Im Zentrum hatte sich Kapitän Fabio Morena nach längerer Verletzung gegen Ende der Rückrunde gerade wieder seinen Stammplatz zurückerkämpft, sich dann aber einen Ermüdungsbruch zugezogen. So wird Thorandt aus der Innenverteidigung nach rechts rücken und statt seiner Gunesch neben Zambrano in der Innenverteidigung spielen. Links dürfte Moritz Volz zu seinem vierten Saisoneinsatz kommen. Immerhin ist der für die Mannschaft eminent wichtige Matthias Lehmann rechtzeitig von seiner Grippe genesen und wird gemeinsam mit Fabian Boll auf der Doppelsechs spielen. Anfällig zeigte sich St. Paulis Defensive zuletzt am ehesten bei langen Bällen und in der Schlussphase eines Spiels.

 

Die Offensive vermeldet mit Marius Ebbers einen Rückkehrer und ein daraus resultierendes Luxusproblem. Die Rolle als Stoßspitze füllte zuletzt Asamoah so überzeugend aus, dass Ebbers wohl zunächst auf der Bank wird Platz nehmen müssen. Je nach Spielverlauf ist aber eine Einwechslung samt Systemumstellung auf eine echte Doppelspitze denkbar. Hinter der oder den Spitzen wird wohl wieder die offensive Dreierreihe Bartels, Takyi, Kruse beginnen. Erste Alternativen sind Bruns und Naki.

 

Aufstellungen

FC St. Pauli: Kessler – Thorandt, Gunesch, Zambrano, Volz – Boll, Lehmann – Bartels Takyi, Kruse – Asamoah.

Borussia Mönchengladbach: Heimeroth – Levels, Stranzl, Nordtveit, Daems – Fink, Neustädter – Herrmann, Idrissou – de Camargo, Hanke.

 

Schiedsrichter: Stark.

 

SEITENWAHL-Meinung
Christoph Clausen:Borussia siegt mit 2:0. It’s a mystery.

Christian Heimanns: Die Abstiegskandidaten liefern sich ein farbiges 2:2, das für Borussia die Farbe schwarz deutlicher betont.

Michael Heinen: Es wird bitter für Borussia, denn jetzt wird auch auswärts nicht mehr gewonnen. Nach dem 1:2 auf St. Pauli werden die Diskussionen um die Zukunft unserer Borussia noch hitziger als ohnehin schon.

Thomas Häcki: Eigentlich ist das Team tot, die Saison gelaufen, der Trainer fast entlassen, der Manager wackelt wohl leider auch ... Was spricht derzeit für die Borussia? Nichts! Außer dass es manchmal anders kommt, als man denkt. 1:0 für die Borussia.

Christian Spoo: St. Pauli gewinnt mit 4:2. Wetten?