leverkusen neu

Borussia stehen zwei Bundesligasamstage bevor, an denen auch kühnste Optimisten wohl schon einen Punkt aus den Gastspielen in Leverkusen und München als außerordentlichen Erfolg einordnen würden. Doch ist es nicht allein die Größe der Herausforderungen, die Borussia zu schaffen macht: die Heimpleite gegen Augsburg lies den Trainer ratlos und die Mannschaft körperlich und mental angeschlagen zurück. Wie will man jetzt dem Tabellenführer die Stirn bieten? 

Nimmt man die Worte von Trainer Seoane insbesondere nach der restlos enttäuschenden zweiten Hälfte seiner Mannschaft gegen die Augsburger als Maßstab, wirken die kommenden Aufgaben gegen die beiden Topteams der Bundesliga als nahezu unlösbar. Fehlerhaft und zaghaft, mit zu wenig Druck gegen den Ball und schwach in den Zweikämpfen habe man agiert, das eigene Leistungsniveau nie erreicht – rechnet man dann noch die Armut an klaren Torchancen hinzu, liest sich das wie ein Totalausfall auf allen Ebenen. Dass sich dazu noch mit Plea und Reitz die aktuell wichtigsten Einzelspieler mit Muskelreizungen herumschlagen und auch Koné sich weiterhin nur von Spiel zu Spiel hangelt, würde das ganze traurige Bild komplett machen.

Doch dann handelte sich Borussia auch noch eine Diskussion um den eigentlich vor der Saison explizit als Führungsspieler verlängerten Florian Neuhaus ein, der in seinen Einsatzminuten nicht nur erneut enttäuschte, sondern nun offenbar über seinen Berater einen schnellen Abgang lancieren möchte. Eine Personalie, die wie keine andere die Herausforderungen zeigt, die der lange aufgeschobene Umbruch im Kader mit sich bringt.

seitenwahl 202307151740 IMG 9019 

Man hatte sich im Sommer zusammengesetzt, hatte mit der Ernennung zum Ersatzkapitän und der Rückennummer 10 eine Führungsrolle für Neuhaus herbeibeschwören wollen, dem Spieler trotz seiner schon Jahre andauernden Formschwankungen signalisiert, dass man in ihm ein Gesicht der neuen Borussia sieht – und doch dauert es nur wenige Spieltage, bis seine sportliche Bedeutung für die Mannschaft marginalisiert war. Wie es dazu in dieser kurzen Zeit kommen konnte, lässt die meisten Beteiligten um und auch im Verein rätseln. Letztendlich scheint sich Neuhaus wohl doch nicht mit den an ihn gestellten Erwartungen identifizieren zu können – die im Rahmen der Gespräche mit Trainer und Sportdirektion im Sommer aber mit Sicherheit Thema gewesen waren, um das damalige Zeichen zu setzen.

Virkus und Schmadtke wissen jetzt noch besser, dass es nicht allein der Verein ist, der den Spielern einen Weg aufzeigen muss. In einer Phase, in der sportliche Qualität abgeflossen ist und nicht gleichwertig ersetzt werden kann, braucht es Zuverlässigkeit und die heutzutage gern beschworene Resilienz in der Mannschaft, auch wenn sportliche Philosophie und Spielsystem noch nicht (wieder) vollständig entwickelt sind.

Angesichts der anhaltenden Verletzungsmisere wurde das Dilemma des qualitativ dünnen Kaders über die zumeist eingesetzten 12, 13 Feldspieler hinaus gegen Augsburg wieder mehr als deutlich. Nicht nur schenkte man gleich nach Wiederanpfiff scheinbar wehrlos zwei Tore weg, sondern zeigte auch zu keiner Phase der zweiten Halbzeit einen von außen spürbaren Willen, für einen möglichen Punktgewinn ans Limit zu gehen. Dabei bot Augsburg durchaus die gewünschten Lücken an, wenn mal ansatzweise über mehr als zwei Stationen gespielt wurde. Mit dem Fehlen jeglicher Präzision und Inspiration im Offensivspiel ließ Borussia die Partie aber schließlich bis zum Ende vor sich hinplätschern, Wechsel verpufften oder wirkten sich sogar negativ auf den Spielfluss aus.

Für viele war schnell klar, dass die verletzungsbedingte Auswechslung von Rocco Reitz (und seine untaugliche Vertretung u. a. durch Ex-Weltmeister und Fernsehpromi Christoph Kramer) den Bruch zur Halbzeit erklärte. Aber kann die Ausrichtung, der „Spirit“ einer ganzen Mannschaft aus gestandenen Profis wirklich so stark von einem 21-jährigen Nachwuchsspieler, der zuletzt als Leihe in Belgien kickte, abhängig sein? Wo würde Borussia ohne Reitz stehen, wenn sein Ausfall schon bei einer Führung zuhause gegen Augsburg für den kompletten Zusammenbruch aller (zuvor schon gar nicht reibungsloser) Systeme führt?

seitenwahl 202305291542 AJ7X5895

Um für die Beantwortung dieser Fragen nicht in völlige Panik zu geraten, gilt es für Trainer Seoane nun (unabhängig von der Einsatzbereitschaft seines Shootingstars) alternative Lösungen für die nächsten Wochen finden. So bitter es klingt: Erstes Ziel muss sein, sich nicht im Laufe dieser sieben Tage zweimal komplett abschießen zu lassen. Daher wird der Fokus zwangsläufig auf der Stärkung der Defensive liegen müssen – bezeichnenderweise Borussias bisheriger Achillesverse.

Gegen die spielstarken Stuttgarter funktionierte ein 4-1-4-1 zumindest in der ersten Halbzeit sehr gut. Ein solch vorsichtigere Herangehensweise sollte auch für die dominante Spielweise der Ligaspitzenreiter aus Leverkusen und München zunächst erste Wahl sein. Mit dem formstarken Jordan als Fixpunkt in der Spitze könnten sich im Umschaltspiel so auch Räume für die fleißigen und schnellen Hack und Honorat ergeben. Die Priorität liegt jedoch auf der Abwehrorganisation, hier ist Rückkehrer Weigl (nach Gelbsperre) als Stabilisator gefragt. Die Besetzung der Vierkette bleibt für den Trainer weiter keine Luxusaufgabe, insbesondere auf den Außenpositionen. Für das Dauersorgenkind Scally ist eigentlich nur der gerade erst wieder gesunde Lainer ein Kandidat, links wäre Chiarodia durch das erneute Fehlen von Wöber die naheliegendste Alternative für den im zweiten Durchgang gegen Augsburg regelrecht untergegangenen Netz.

seitenwahl 202308261857 AJ7X0251

Man könnte leicht sagen: Diese zwei Spiele schreiben wir ab und konzentrieren uns dann auf die machbaren Aufgaben. Aber erstens ist die Tabellensituation in zwei Wochen womöglich eine andere (und die aktuell 9 Punkte auf die Abstiegsränge abgeschmolzen) und zweitens wären zwei Vollpleiten eine denkbar schlechte Ausgangslage – nicht nur für den folgenden "Pflichtheimspiel" gegen Darmstadt 98, sondern auch für die Pokalpartie in Saarbrücken, auf die sich so viele Hoffnungen in der aktuellen Borussia-Welt konzentrieren.

Die Mannschaft muss daher bereit und gewillt sein, mit Einsatzbereitschaft dagegenzuhalten und sich selbst Überzeugung erarbeiten, auch wenn die Ergebnisse es am Ende nicht hergeben sollten. Und der sportlichen Leitung ist zu wünschen, dass im laufenden Transferfenster noch einige kleine Weichen gestellt werden können, um den Kader weiterzuentwickeln und auf Sicht wieder konkurrenz- und leistungsfördernder aufzustellen.

 

Mögliche Aufstellung:

Nicolas – Lainer, Friedrich, Elvedi, Netz – Weigl – Honorat, Reitz (?), Koné (?), Hack – Jordan

 

SEITENWAHL-Tipps:

Christian Grünewald:  Obwohl auch Leverkusen durch Verletzungen und Afrika-Cup personell geschwächt ist, wäre ein Punktgewinn eine Riesenüberraschung. Borussia verliert mit 1:4.

Michael Heinen: "Muss ich dieses Spiel wirklich tippen? Ihr habt es nicht anders gewollt: Borussia verliert mit 0:2."

Christian Spoo: Der künftige Deutsche Meister zeigt Borussia, wo der Hammer hängt. Xhaka Boom. 6:1 für Bayer.

Michael Oehm: Borussia hält überraschend lange überraschend gut mit, hinten raus wird es aber wenig überraschend ein deutlicher Heimsieg. 4:1