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Und wie die Zeiten sich ändern. Noch vor weniger als einem Jahr ging Borussia als krasser Außenseiter in die Heimpartie gegen den Hamburger SV zum Abschluss der damaligen Vorrunde. Die 1:2-Niederlage bedeutete Gladbachs 5. Niederlage in Folge, die den Abstand auf Platz 16 auf 5 Punkte anwachsen und die Forderung nach einer Trainerentlassung in der Öffentlichkeit laut werden ließ. Wenn Borussia am kommenden Samstag nach Hamburg fährt, haben sich diese Vorzeichen auf den Gegner übertragen. Mittlerweile ist der HSV abgeschlagener Tabellenletzter, der auch objektiv betrachtet wenig Gründe hat, zuversichtlich in die Partie gegen den Tabellendritten zu gehen.


Selbstverständlich hält das die Verantwortlichen des Vereins nicht davon ab, selbst schlechteste Leistungen der Mannschaft schön zu reden. Nichts ist in einer scheinbar aussichtslosen Lage verheerender als Resignation. Da ist es branchenüblich, jeden noch so kleinen Strohhalm zu ergreifen, um der Mannschaft irgendwie Mut zu machen, damit sich dieser Funken irgendwann in positivere Leistungen umwandeln lässt. So wurde selbst eine Heimniederlage gegen den gleichfalls kriselnden 1.FC Köln sowie eine verdiente 0:2-Niederlage im Nordderby bei Werder Bremen als „Schritt in die richtige Richtung“ gewürdigt. Die Spieler müssten allerdings im kognitiven Bereich mindestens genauso hohe Defizite aufweisen wie aktuell bei ihren fußballerischen Fähigkeiten, damit diese Strategie tatsächlich bei ihnen fruchtet und sie allen Ernstes an die Existenz eines Aufwärtstrends glauben. Letztlich läuft es immer auf die älteste aller Fußballerphrasen hinaus, dass ein Erfolgserlebnis Not tut. Die Qualität der Einzelspieler sollte in Hamburg ausreichen, damit sich dies irgendwann einstellt. Es muss ja nicht zwingend schon an diesem Wochenende geschehen.

 

Für Michael Oenning könnte es allerdings existenziell wichtig sein, dass sich seine Mannschaft nicht allzu lange Zeit lässt, dem bislang einzigen Punkt aus dem glücklichen 2:2 gegen Berlin weitere folgen zu lassen. Eine weitere Parallele zu unserer Vorsaison liegt darin, dass in den vergangenen Jahren so viele Trainer oftmals vorschnell und ohne nachhaltigen Erfolg entlassen wurden, dass das übliche Allheilmittel so weit wie nur irgend möglich hinausgezögert werden soll. Wenn ein Trainer aber in 30 Bundesliga-Spielen mit Nürnberg und Hamburg erst 4 Siege feiern durfte, muss die Frage erlaubt sein, ob seine Qualitäten als Chefcoach eines ambitionierten Bundesliga-Vereins ausreichend sind. So scharren potentielle Nachfolger wie Bernd Schuster bereits mit den Hufen und Lothar Matthäus und Peter Neururer werden in diesen Tagen ebenfalls ihr Handy auf Empfang bereithalten. Während etliche Ex-Hamburger Größen, wie Uwe Seeler und Huub Stevens, die aktuelle Lage höchst kritisch durchleuchten, möchte der Vorstand seinem jungen Trainer aber angeblich die nötige Zeit geben, um sein aktuell kaum zu erkennendes System zum Laufen zu bringen.

 

Für das Spiel gegen seinen alten Verein hat der einstige Gladbacher Co-Trainer Oenning die Parole ausgegeben, „die Null müsse gehalten werden.“ Was im ersten Moment wie eine bevorstehende Vertragsverlängerung für Jaroslav Drobny klingt, soll vielmehr den uns wohl bekannten Ruf nach Kompaktheit zum Ausdruck bringen, der angesichts von 16 Gegentoren aus den ersten 5 Spielen bei den Hanseaten so verzweifelt erklingt wie es noch vor wenigen Monaten bei uns der Fall gewesen ist. Zu rechnen ist daher damit, dass die Hamburger nicht bedingungslos ihr Heil in der Offensive suchen werden, um Borussia keine Gelegenheit für ihre gefährlichen Konter zu bieten. Spannend wird sein, wie lange sich dies bei einem nicht gerade unkritischen Publikum durchhalten lässt, das sich mit einem defensiv erarbeitetem 0:0 gegen den Vorjahres-16. kaum zufrieden geben wird.

 

Auch die Mannschaft möchte zumindest verbal mehr. So wird HSV-Kapitän Heiko Westermann mit den Worten zitiert, dass alles andere als 3 Punkte gegen Mönchengladbach „eine Katastrophe“ wäre. Derselbe Heiko Westermann hatte allerdings bereits vor dem 0:5 beim FC Bayern München mit Blick auf das Debakel aus der Vorsaison nicht minder vollmundig orakelt: „Wer wieder 0:6 tippt, hat von Fußball keine Ahnung.“ Der Ex-Schalker steht sinnbildlich für das Hauptproblem des Vereins, dessen vermeintliche Führungsspieler derzeit mehr mit sich selbst zu kämpfen haben als dass sie das Team unterstützen könnten. Neben Westermann wären da besonders noch Jansen und Drobny zu nennen, die aktuell ihrer Form meilenweit hinterherlaufen und im Grunde eine Spielpause verdient hätten.

 

Hierzu fehlen aber die Alternativen, was sich insbesondere bei der Torwartproblematik verdeutlicht. Beim 7:0-Testspielsieg unter der Woche gegen Concordia Hamburg wurde Drobny von den eigenen Fans verhöhnt, was regelmäßig ein Zeichen für einen bevorstehenden Wechsel darstellt. Auch bei Borussia wurde in der Vorsaison sehr spät, aber dafür umso erfolgreicher reagiert, indem man auf ein junges Riesentalent setzte. Die wiederholten Patzer der aktuellen Nr. 1 lösen beim HSV denselben Reflex aus und sollten normalerweise Ersatzmann Tom Mickel eine Chance auf Bewährung bieten. Nun ist aber nicht jedes Torwarttalent gleich ein Marc-André ter Stegen. Mickel ist immerhin bereits 22 Jahre alt und wäre im vergangenen Winter mangels Perspektive beinahe aussortiert worden. Im Testspiel gegen den FC Luzern bekam er vor einigen Wochen seine Chance, die er mit zwei Patzern sensationell deutlich ungenutzt ließ.

 

Auch beim Verletzungspech erinnert der HSV an unsere Erfahrungen des Vorjahres. In dieser Woche erwischte es Guerrero und Kacar, wenngleich die zuletzt angeschlagenen Diekmeier und Son immerhin wieder in den Kader rücken. Über einen Einsatz von Beginn an wird voraussichtlich erst kurzfristig entschieden. Bange machen muss sich Borussia vor beiden nicht, wenngleich der Koreaner im bisherigen Saisonverlauf mit zwei Toren noch einer der wenigen Lichtblicke gewesen ist.

 

Überhaupt weist der Sturm das geringste Problem aus, denn in Sachen Chancenverwertung ist der HSV derzeit sogar die effizienteste Mannschaft des Landes. Die 14 Chancen in fünf Partien, aus denen ihre 6 Tore kreiert wurden, bedeuten aber gleichfalls einen Negativrekord. Zu beachten ist neben Son insbesondere der einsame Stoßstürmer Mladen Petric, wenngleich dieser seine bisherigen beiden Tore in der Liga nur vom Elfmeterpunkt aus erzielte.

 

Da ein sehr von Taktik geprägtes Spiel zu erwarten ist, wird den Standardsituationen eine gehobene Bedeutung zukommen. Die Hamburger haben mit Westermann, Rajkovic oder Petric einige kopfballstarke Akteure in ihren Reihen, die auf diese Weise zum Erfolg kommen können. Paradoxerweise gelingt es ihnen aber nicht, dies auch auf die Defensive zu übertragen. Dort sind eklatante Stellungsfehler an der Tagesordnung, die u. a. den Kölnern aus dem Nichts vier Tore gestatteten. Diese Tatsache könnte Lucien Favre ein Argument liefern, dem torgefährlichen Roel Brouwers einmal mehr den Vorzug vor Martin Stranzl zu geben.

 

Ansonsten kann sich der Schweizer glücklich schätzen, dass er – anders als sein Gegenüber – bei der Wahl seiner Startelf die Qual der Wahl haben wird. Gerade in der Defensive wird er sich über zwei offene Personalentscheidungen (Brouwers oder Stranzl bzw. Marx oder Nordtveit) den Kopf zerbrechen müssen.

 

Im allzu wörtlichen Sinn den Kopf zerbrochen haben sich beim Training Torwarttrainer Uwe Kamps und Schützling ter Stegen. Zweiteren zwangen zwei zersplitterte Zähne zwar zum Zahnarzt. Es steht aber zu vermuten, dass er sich nicht davon abhalten lassen wird, am Samstag wieder im Tor zu stehen. Größere Fragezeichen stehen hingegen hinter Igor de Camargo und Mike Hanke, die beide noch um ihren Einsatz bangen. Als Ersatz stünde an erster Stelle Raul Bobadilla bereit. Davon abgesehen ist personell und taktisch mit wenigen Änderungen zu rechnen.

 

Mit einem Auswärtssieg könnte sich Borussia vorläufig noch weiter in der Spitzengruppe der Liga festsetzen. Während man beim HSV darauf bedacht ist, den letzten Platz schön zu malen, sehen sich einige kritische Stimmen rund um den Borussia-Park bemüßigt, auf die Euphoriebremse zu treten. Wer die allzu extrem schwankenden Stimmungslagen der Borussen-Fans kennt, versteht sicherlich warum dies nicht ganz unbegründet geschieht. Besser als mein Kollege Christian Heimanns in seinem Nachbericht zum Lautern-Spiel lässt es sich kaum ausdrücken. Borussia hat in dieser Saison zweifelsohne bislang beachtliches geleistet. Wenn man aber ehrlich ist, dann waren die Auftritte gegen Stuttgart, Schalke und Kaiserslautern noch weit entfernt von potentieller Champions-League-Reife.

 

Wenn alles normal läuft, sollte die Qualität der Mannschaft für eine Platzierung zwischen 8 und 14 ausreichen. Die vergangenen Jahre haben allerdings gezeigt, dass es immer wieder Mannschaften gegeben hat, die mit einem Positivlauf über sich hinausgewachsen sind. Auch wenn die Konkurrenz in der oberen Tabellenhälfte gewaltig und finanziell deutlich besser ausgestattet ist, sollte zumindest das Träumen von einer Rückkehr ins internationale Geschäft erlaubt sein. Es schadet selten, wenn sich eine Mannschaft hohe Ziele setzt. In der aktuellen Verfassung ist es daher richtig, sich vor der Partie bei der zwar hochkarätig besetzten, aber total verunsicherten Mannschaft des HSV selbstbewusst zum Favoriten auszurufen.

 

Defensiv hat Borussia einen der besten Torhüter der Liga und eine hervorragend besetzte Innenverteidigung vorzuweisen. Die im Vorjahr noch am ehesten kritisierten Jantschke, Daems und Neustädter haben sich in den ersten Wochen der neuen Saison enorm gesteigert und gehörten zuletzt regelmäßig zu den besten Borussen. Die 15 Spiele in Folge mit maximal einem Gegentreffer sind daher das Produkt einer inzwischen überdurchschnittlichen Defensive. Juan Arango und Marco Reus brauchen sich gleichfalls vor nur wenigen Offensivaußen in der Liga zu verstecken. Lediglich im Angriff bereitet die Verletzungsanfälligkeit von Igor de Camargo Sorgen, da der Belgier vermutlich der einzige Stürmer ist, dem bei konstanter Fitness mehr als 15 Tore zuzutrauen wären. Ein Sturmduo Bobadilla/Hanke wäre für gehobene Ansprüche zu wenig torgefährlich und die Neuzugänge konnten bislang noch nicht unter Beweis stellen, ob sie ggf. diese Lücke schließen könnten.

 

Grundsätzlich ist die Ausgangslage von Borussia in diesen Tagen so gut wie sehr lange nicht mehr, so dass bei weiterhin positivem Saisonverlauf eine Platzierung in den Top 7 der Tabelle möglich sein könnte. Wichtig ist nur, dass die Fans bei all diesen nicht mehr gänzlich unrealistischen, aber dennoch eher unwahrscheinlichen Träumereien nicht vergessen, wo der Verein hergekommen ist. Sollte es am Ende trotz allem „nur“ zu einem 12. Platz reichen, den die Mannschaft aber – ähnlich wie vor 2 Jahren – ohne Abstiegssorgen erzielt, sollte dies weiterhin als Erfolg verbucht werden können. Wenn´s am Ende doch etwas mehr wird, hätte sicherlich kein Borusse etwas dagegen.

 

HSV: Drobny – Mancienne, Westermann, Rajkovic, Aogo – Töre, Jarolim, Tesche, Skjelbred, Jansen – Petric

 

Borussia: ter Stegen – Jantschke, Brouwers, Dante, Daems – Reus, Nordtveit, Neustädter, Arango – Bobadilla, Hanke

 

SEITENWAHL-TIPPS

 

Christoph Clausen: Ein Sieg in Hamburg wäre keine Sensation mehr, noch nicht mal mehr eine große Überraschung. Dennoch: Die Hamburger sind nicht so schlecht und die Borussen nicht so gut, wie die Tabellenplätze es suggerieren. So steht am Ende ein weitgehend leistungsgerechtes 1:1.

 

Michael Heinen: Es wird ein sehr taktisches Spiel mit wenigen Höhepunkten. Da Borussia auf der Trainerposition mindestens 2 Klassen besser besetzt ist als der HSV, stehen die Chancen gut für einen 1:0-Auswärtserfolg.

 

Christian Spoo: Borussia fährt als Favorit zum HSV. Dass ich so etwas jemals schreiben würde, hätte ich auch nicht gedacht. Dass Borussia der Favoritenrolle vollends gerecht wird, glaube ich trotzdem nicht. Das Spiel endet 1:1, was aus unserer Sicht völlig okay ist.

 

Christian Heimanns: Was am meisten gegen einen Auswärtssieg spricht ist, dass alle Gladbacher und nicht wenige Hamburger ihn bereits erwarten. So leicht geht das nun auch nicht. Nach dem Spiel wird das 1:1 beim HSV als Enttäuschung für eine Mannschaft gewertet werden, die vor 6 Spieltagen noch fast abgestiegen war.