… gibt’s vier Gegentore in Kiel! Borussia Mönchengladbach trat gestern zum zweiten Mal nach der Aufstiegsrunde 1965 bei Holstein Kiel an. Zum zweiten Mal kassierte Gladbach 4 Tore, zum zweiten Mal fuhr man mit einer Niederlage nach Hause. Keine Ahnung, ob das Spiel von vor 60 Jahren im Kieler Erinnerungskanon einen festen Platz vergleichbar zu Büchsenwurf und Pfostenbruch hat. Vom gestrigen Spiel jedenfalls wird man sich in Kiel noch lange erzählen – bestenfalls als Auftakt einer zum Klassenerhalt führenden Saisonendphase.
Die Kieler Mannschaft jedenfalls machte von Anfang an klar, dass man sich noch nicht aufgegeben hat. Deutlich zu sehen war auch, dass sich der Kieler Trainer die letzten Gladbacher Spiele in St. Pauli, gegen Freiburg und in Dortmund sehr genau angeschaut hatte. Gladbach dagegen spielte denselben lustlos erscheinenden Trott herunter wie zuletzt. Während also Kiel mit viel Laufarbeit die Räume auf dem Feld eng machte, den jeweils ballführenden Gladbacher Spieler sofort attackierte und damit ein gepflegtes Aufbauspiel von vornherein unterband, war Borussia passiv. Mit Ball wenig aktiv. Gegen den Ball gar nicht aktiv. So kam es, dass die Kieler im ganzen Spiel, vor allem aber in der ersten Halbzeit alle Zeit und allen Platz der Welt hatten, um ein wirklich schön anzusehendes Kombinationsspiel aufzuziehen und dieses dann auch noch mit hinreichend Toren zu veredeln, bei denen die Gladbacher Abwehr auch noch kräftig mithalf. Klar, so ein Eckballgegentor wie das 1:0 ist nie hundertprozentig zu verhindern. Das 2:0 ist ein individueller Fehler eines sehr jungen Spielers, der einen solchen Bock wohl nur einmal in seiner Karriere fabrizieren wird und der ansonsten ein ordentliches Spiel machte. Das dritte Tor dürfen sich Friedrich und Omlin teilen, Friedrich, weil er zwar in der Schussbahn stand, aber nicht auf den Schützen rausrückte, die kurze Ecke offenließ und Omlin auch noch die Sicht verdeckte. Omlin – ansonsten bester Gladbacher – weil er so stand, dass er die kurze Ecke nicht erreichen konnte, als der Schuss kam. Beim vierten Tor steht Kleindienst plötzlich allein gegen drei Kieler, während die ganze Gladbacher Abwehr einfach blind nach vorne rausrennt, ohne die Situation zu klären. Dass sein Kopfball aus dem Rückwärtslauf ohne Druck dem gestern überragenden Machino vor die Füße fällt, ist Pech, dass dieser weit und breit keinen Gegenspieler mehr hat, nicht.
Welcher Qualitätsüberschuss auf Gladbacher Seite gestern trotzdem auf dem Platz stand, wurde bei den Gladbacher Treffern und den ansonsten wenigen Chancen deutlich, die der starke Kieler Torwart teilweise mit Monsterparaden entschärfte. Itakuras Kopfball direkt nach dem ersten Gegentor hatte nicht weniger Qualität, wurde aber gehalten. Hack beim Kopfball kurz vor der Pause – alles richtig gemacht, Dähne bringt aber die Hand ran. Überragend die Flanke von Hack vor dem 1:2, der Ball wäre wohl auch ohne Cvancara ins Tor gegangen. Sensationell, wie Plea vor dem Ausgleich den Kieler Abwehrspieler ins Leere laufen lässt und dann beim Abschluss präzise die einzige Lücke findet. Schön, wie Honorat vor dem 3:3 von Kleindienst bedient wird, nochmal den Kopf hochnimmt und sich dann die Ecke aussucht.
Warum reicht das nicht für Punkte? Weil Borussia in den letzten Spielen wieder die Borussia der letzten Jahre ist. Weil Qualitätsunterschiede in der Bundesliga oft nur Nuancen bedeuten, wenn eine Mannschaft mehr Willen mitbringt als die andere. Weil es nicht reicht, wenn die spielerische Qualität nur drei- bis fünfmal im Spiel aufblitzt, man sich aber ansonsten vom Gegner dessen Spiel aufzwingen lässt. Weil man in einem Bundesligaspiel über die ganze Spieldauer mit Konzentration, Spannung und Laufbereitschaft agieren muss, um Punkte zu holen. All das zeigt Borussia Mönchengladbach gerade nicht, wie Jonas Omlin nach dem Spiel zurecht kritisierte, als er sinngemäß sagte, dass er volles Verständnis für individuelle Fehler, jedoch kein Verständnis für fehlende Laufbereitschaft habe.
Auf diese Weise schwinden immer mehr die Chancen für Borussia Mönchengladbach, im nächsten Jahr attraktive Europareisen anzutreten. Ganz allgemein ist an der Bundesligatabelle in den letzten Wochen die Tendenz zu beobachten, dass sich das Bild nach der vorhandenen Qualität sortiert. Nimmt man den Negativausreßer VfB Stuttgart mal beiseite, finden sich auf den ersten sieben Plätzen mittlerweile ziemlich genau die Mannschaften wieder, die man dort erwartet hätte. Einschließlich Freiburg, deren Platzierung mittlerweile nicht mehr als Überraschung durchgeht. Borussia ist auf Augenhöhe mit Mainz und Bremen sowie knapp vor Augsburg wahrscheinlich realistisch einsortiert. Trotzdem wird – angesichts der Ausgangssituation von vor 4 Wochen – auch diese Saison als eine der verpassten Chancen in die Vereinsgeschichte eingehen.
Ganz klar, der Sieg für Kiel war hochverdient. Wenn man – wie ich – einen winzig kleinen Koffer in Kiel stehen hat, darf man sich wünschen, dass der Sieg wenigstens den Kielern hilft und es nicht wieder 60 Jahre bis zum nächsten Spiel in Kiel dauert.