Eigentlich hat man sich über die Jahre schon daran gewöhnt, dass einen Seitenwahl-Vorbericht im letzten Saisonviertel zu schreiben ein Wort-Bingo mit den Zutaten „goldene Ananas“, „anständig verabschieden“ oder „Frustbewältigung“ bedeutet. So war das unter Dieter Hecking als man zweimal nur im Mittelfeld der Tabelle stand und beim dritten Mal zwar fünfter war, aber einen 10-Punkte Vorsprung auf einen Nicht-Championsleague-Platz in wenigen Wochen verpulvert hatte. So war das auch in der zweiten Saison unter Marco Rose, als der Nichtrauswurf des inzwischen arbeitslosen Leipzigers eine lange Niederlagenserie hervorrief und so alle höheren Ziele verspielt wurden. Dies so wie die zähen Spielzeiten unter Hütter oder Farke und insbesondere die schreckliche Rückrunde im Vorjahr sind Gladbachfans noch in schlechtester Erinnerung. Und die eine gute Saison 19/20 konnte man dann wegen irgendeiner dämlichen dahergelaufenen Pandemie auch nicht so richtig genießen.
Umso überraschender und erfreulicher also, dass man im Frühling 2025 in Mönchengladbach mal nicht nur hofft, in der nächsten Saison möge alles besser werden, sondern tatsächlich noch unerwartet hohe Ziele erreichbar sind. Nur zwei Punkte Rückstand sind es auf die Champions League, allerdings auch nur 2 Punkte Vorsprung auf den siebten Platz, der nach der Leverkusener Pokalblamage in Bielefeld vermutlich dieses Jahr nicht fürs internationale Geschäft reichen wird. 2/3 aller Bundesliga-Clubs haben zumindest noch gewisse Chancen in den Europapokal zu kommen, sodass in den nächsten Wochen jede Menge direkte Duelle dieser Kandidaten auf uns warten. Für den VFL gibt es jetzt gleich zwei solcher Spiele in Folge. Bevor man am Ostersonntag in Dortmund antreten darf, geht es diesen Samstag erstmal gegen zu Hause gegen den SC Freiburg.
Die Breisgauer sind ein gutes Beispiel dafür, wie schnell sich die Dinge in dieser Saison ändern können, standen sie vor einigen Wochen selbst noch auf einem Champions League-Platz, konnten seitdem in 5 Spielen jedoch nicht mehr gewinnen und würden – Stand Jetzt! – das europäische Geschäft zum zweiten Mal in Folge knapp verpassen. Dabei war man – zumindest bis vor kurzem – noch sehr zufrieden in Freiburg, nachdem die erwartete schwierige Saison im Jahr 1 nach Christian Streich sich gar nicht ganz so schwierig erwies. Es etablierte sich dabei schnell ein offensichtliches Muster: gegen die kleinen hui, gegen die großen pfui! Nach einem Auftaktsieg gegen den VFB gab es danach in 9 Spielen gegen die Top 6 der Vorsaison nur einen Punkt bei 5:28 Toren. Im Umkehrschluss heißt das aber auch, dass man gegen den Rest (wie z.B. die Borussia in der Hinrunde) in 18 Spielen 38 Punkte holen konnte. [„Genau wie Borussia“ mag mancher denken und hat damit zumindest in der Hinrunde recht als der VFL gegen dieselben sechs Gegner nur 2 Punkte holen konnte, seitdem aber immerhin weitere 7 Punkte in 4 Spielen gegen diese Teams einfuhr]. Der SC ist also ein bisschen der Meister der unteren 2/3 der Liga und damit natürlich für den siebten Platz prädestiniert.
Womit wir bei der Kardinalfrage angekommen sind: Ist die Borussia inzwischen eines jener Topteams, das den SCF zusammenfalten kann, so wie es der BVB in der Vorwoche tat? Oder sind wir doch eher einer jener Punktelieferanten, die Freiburg zwar nicht an die Wand spielt, aber frustrieren und dann humorlos mit 1:0 besiegen kann (das gelang den Breisgauern im Februar gleich 3-mal in Folge). Die Antwort darauf hängt vermutlich davon ab, welche Borussia am Samstag auflaufen wird: die bissige, hoch konzentrierte Version, die gegen Leipzig überzeugen konnte oder die her passive, gehemmte Mannschaft, die beim 1:1 in St. Paul Glück hatte nicht zu verlieren? Und war der Unterschied zwischen diesen beiden Leistungen nur einfach zufällige Schwankung, wie man sie über die Saison schon häufiger gesehen hat oder war der Auftritt in Hamburg auch ein Zeichen dafür, dass man auf einmal spürt, dass man etwas zu verlieren hat? Für solches Fracksausen wäre das Spiel gegen Freiburg ein denkbar schlechter Zeitpunkt, denn es hat das Potenzial DAS Schlüsselspiel im Saison-Endspurt zu werden. Regelmäßige Leser werden meine Geringschätzung des Begriffs „6-Punkte-Spiel“ kennen, aber, nun ja, dieses ist eines! Mit einem Sieg gegen Freiburg würde die Borussia nicht nur die Breisgauer auf 5 Punkte distanzieren, sondern aufgrund des Auswärtsspiels von Dortmund in München könnte man auch in der Woche darauf mit 6 Punkten Vorsprung zum BvB fahren. Und selbst wenn man noch weiter in der Tabelle heruntergeht, sieht es gut aus. Platz 9 (VFB) spielt gegen Platz 10 (Bremen), also gegen mindestens eines dieser Teams würde man ebenfalls den Vorsprung ausbauen. Nicht vergessen sollte man, dass die Stuttgarter evtl. schon für alle Rechnungen irrelevant sind, sofern sie das Pokalendspiel gegen Bielefeld gewinnen. In dem Fall dürften die Schwaben gern noch mit einer Siegesserie an Borussia vorbeiziehen, ohne unsere Aussichten auf Conference League oder Europa League zu beeinträchtigen. Andererseits wäre es natürlich besonders ärgerlich, wenn man sich am Ende als Siebter in der Conference League wähnt, nur um dann ansehen zu müssen, wie Bielefeld die Sensation schafft und Philipp Köster mit 6.5 ATÜ auf dem Kessel am Breitscheidplatz den dicken Max macht.
So rosig also die Aussichten bei einem Sieg am Samstag wären, so ernüchternd wären aber auch die Konsequenzen einer Niederlage. Nicht nur zöge Freiburg damit an uns vorbei, nein auch Dortmund könnte dies in der Folgewoche tun und selbst eine Kloppertruppe wie der FCA wäre dann wieder in Schlagweite und auf einmal wäre eine Endplatzierung im tristen Liga-Mittelfeld wieder sehr realistisch.
Also kurz gesagt: wie so oft steht mal wieder das wichtigste Spiel der Vereinsgeschichte an! Personell könnte die Startelf der letzten beiden Spieler wieder beginnen; der Schuh drückt bei der Borussia zurzeit eher in der zweiten Reihe: Philipp Sander kämpft weiter mit einem Infekt, der nach jüngsten Berichten auch sein Herz angegriffen haben soll. Das ist nicht so ungewöhnlich und sollte kein Grund zur Panik sein, aber heißt auch, dass man besonders vorsichtig sein muss, den Ex-Kieler wieder in den Spielbetrieb zurückzuholen. Lange ausfallen wird leider Nathan Ngoumou, der sich in Hamburg beim Auslaufen die Achillessehne riss (als erfahrener Passivsportler mit langjähriger Couch-Erfahrung habe ich dieses Auslaufen schon immer als Unfug betrachtet…fast so unsinnig wie das ganze Gedöns ums Aufwärmen…warum gehen die nicht einfach raus und spielen…ist doch wahr). Jonas Omlin absolviert wohl schon wieder gewisse Trainingseinheiten, ist aber vermutlich für die nächsten Spiele noch nicht wieder eine Option (die Frage, was denn passiert, wenn der Schweizer in dieser Saison wieder topfit werden sollte, diskutieren wir ein anderes Mal).
Torhüter-Rochaden gibt’s auch beim Gegner aus Freiburg wo Atubolo weiterhin verletzt ausfällt und durch den erfahrenen Florian Müller ersetzt werden wird. Fehlen wird dem Schuster-Term auch der Ex-Gladbacher Matthias Ginter, der zum ersten Mal in seiner Karriere eine Gelb-Kartensperre erlebt, na ja, wie das halt so ist, wenn ein geborener Schwiegersohn sich auf einmal im Körper eines Innenverteidigers wiederfindet.
Die jüngsten Auftritte der Breisgauer im Borussia-Park hat man eher in unguter Erinnerung, dreimal in Folge blieb die Borussia torlos und musste mit 0:6 und 0:3 dabei auch zwei bittere Niederlagen kassieren. Wie geschildert wäre dies ein sehr guter Zeitpunkt, um diese kleine Serie zu beenden. Dass die Borussia die Qualität dazu hat, hat sie schon oft in dieser Saison gezeigt. Aber vielleicht sollte man sich auch nicht allzu verrückt machen mit all den Rechnereien, sondern erstmal genießen, dass der Verein in diesem Saison-Stadium noch mittendrin im Kampf um Europa (und sogar die CL!) ist, was mehr ist als die meisten (allen voran die pathologisch-pessimistische Seitenwahl-Redaktion) vor der Saison erwartet hätten.
Seitenwahl-Tipps:
Claus-Dieter Mayer: Nicht nur Seitenwahl, sondern auch beide Teams wissen um die Bedeutung des Spiels. So wird dies kein Leckerbissen, sondern eher eine verkrampfte taktisch geprägte Partie, die Borussia mit Hilfe eines Eckballs und eines umstrittenen Elfmeters letztendlich mit 2:1 für sich entscheidet.
Christian Spoo: War St.Pauli nur ein Ausreißer? Das Heimspiel gegen Freiburg muss es zeigen. Ich erwarte Borussen, die vom Erwartungsdruck gelähmt mit 1:2 verlieren.
Michael Heinen: Heimspiele gegen Freiburg endeten in den letzten Jahren meist unerfreulich. Dieses Mal reicht es immerhin zu einem 1:1, das den Traum von Europa am Leben erhält.
Mike Lukanz: Tipp: Mein innerer Spoo zwingt mich, von einer Niederlage auszugehen. Aber ich kämpfe dagegen an und sage, dass Borussia mit dem 3:0 ein Statement an die Liga sendet
Kevin Schulte: Das schwache Spiel bei St. Pauli hat die Sinne nochmals geschärft, Borussia erkämpft sich einen emotionalen 2:1-Heimsieg