Furiose Fohlen gegen trostlose Rose-Dosen

Furiose Fohlen gegen trostlose Rose-Dosen

„Doch Ritter Rost, der war nicht ganz bei Trost. Er schenkte Bö eine Rose in der Dose.“
Kultige Liedzeile aus dem Kinderbuchmusical „Ritter Rost und Prinz Protz“ von J. Hilbert und F. Janosa

Karl Lagerfeld ist nicht gerade als ausgewiesener Fußballexperte bekannt. Er wird daher beim Ausspruch des folgenden Zitats vermutlich nicht an RB Leipzig gedacht haben: „Das Leben ist eine Art Wettbewerb, und die Ungerechtigkeit ist der Preis der Dinge.“ Er hätte es aber gut und gerne tun können. Denn genau wie das Leben sollte ursprünglich auch der Fußball eine Art Wettbewerb darstellen, ehe er über die letzten Jahrzehnte insbesondere durch Konstrukte der Marke RB bis zur Unkenntlichkeit verzerrt worden ist. Umso bemerkenswerter, dass Borussia am kommenden Samstag mit einem Heimsieg am österreichischen Kunstprodukt tabellarisch vorbeiziehen könnte.

Die Älteren unter uns – wie nicht zuletzt die halbe Seitenwahl-Redaktion – werden sich erinnern: In den ersten Jahren der Bundesliga konnte in jedem Jahr ein anderer Klub die deutsche Meisterschaft erringen - selbst mittlerweile maximal zweitklassige Klubs wie 1860 München, Eintracht Braunschweig oder der 1. FC Köln. Mit zunehmender Kommerzialisierung entstand ab den 1970er Jahren die materielle wie sportliche Übermacht des FC Bayern – nicht unwesentlich unterstützt durch den öffentlich geförderten Bau des Olympia-Stadions. Trotzdem konnte ein Underdog-Verein vom Niederrhein dem finanziell deutlich schwergewichtigeren Erzfeind noch lange Zeit Paroli bieten und im goldenen Jahrzehnt sogar zwei Meisterschaften mehr erringen.

1992 leitete die UEFA mit der Einführung der Champions League endgültig das Aus für die nationale Konkurrenzfähigkeit ein. Die Gelder aus der so genannten „Königsklasse“ waren schon bald die Haupteinnahmequelle der europäischen Topklubs und verschafften diesen einen teils unaufholbaren Wettbewerbsvorteil. Während sich dieser immerhin noch sportlich erklären ließ, stießen ab 1979 zunehmend künstliche Konstrukte wie Bayer Leverkusen und Uerdingen, der VfL Wolfsburg sowie die TSG Hoffenheim in den Profifußball vor, deren einziger Zweck die Vermarktung eines Konzernnamens oder die Befriedigung persönlicher Eitelkeiten eines Multimilliardärs waren. Auf die Spitze trieb diese unfaire Wettbewerbsverzerrung der österreichische Brausekonzern Red Bull, der sich 2009 beim SSV Markranstädt einkaufte und innerhalb weniger Jahre einen Topklub der Fußball-Bundesliga künstlich erschuf.

Verantwortlich für den sich schnell einstellenden Erfolg war zweifelsohne auch ein professionelles Konzept, das dem oftmals biedermännischen Klüngeldenken vieler Traditionsvereine überlegen ist. Ohne den massiven Kapitaleinsatz, der die Möglichkeiten der jeweiligen Ligakonkurrenz um ein Vielfaches übertraf, wäre der Aufstieg des Brausekonzerns bis in die oberen Ränge der ersten Bundesliga aber niemals möglich gewesen. Schon ein Jahr nach der Gründung wurde 2010 in der Regionalliga eine Million Euro für Transfers locker gemacht. Nach dem Aufstieg in die 3. Liga waren es 2013 drei Millionen Euro sowie von 2014 bis 2015 in den beiden Zweitliga-Jahren 23 bzw. 26 Millionen. Die vermeintliche „Konkurrenz“, deren gesamte Kader oftmals nicht einen solchen Marktwert hergaben, musste hier zwangsläufig das Nachsehen haben. Geld allein bietet zwar keine Garantie für Erfolg. Es erhöht aber massiv die Wahrscheinlichkeit auf diesen.

Im ersten Bundesligajahr verausgabte sich der Konzern mit schlappen 96 Millionen Euro und wurde später nach Erreichen des 2. Platzes von den Medien dennoch zuvorderst für die ach so „tolle Arbeit“ gefeiert. Wer Erfolg hat, der hat nun einmal Recht – egal wie dieser erzielt worden ist. So wurden kritische Stimmen in vielen „Fachmagazinen“ weitgehend ausgeblendet und blieben zunehmend auf die Fankurven beschränkt.

Selbst wenn sich das Produkt RB Leipzig inzwischen von selbst finanzieren mag, so darf niemals vergessen werden, dass sich der Zugang zur deutschen Fußballelite allein zu Marketingzwecken erkauft und nicht sportlich verdient wurde. Es sind nicht nur misswirtschaftende Traditionsvereine, denen diese künstlichen Konstrukte einen Platz in der höchsten deutschen Fußballliga wegnehmen. Auch Vereinen, wie Paderborn, Bochum oder St. Pauli, die mit deutlich geringeren Finanzmitteln seit Jahren starke Arbeit abliefern, wurde oder wird der Zugang zur ersten Liga deutlich erschwert, weil mittlerweile fast ein Viertel der Startplätze von parasitären Plastikklubs belegt wird.

Doch alles Lamentieren über die Ungerechtigkeiten der (Fußball-)Welt wird nichts ändern. Zweimal im Jahr ist Borussia leider gezwungen, dem Brausekonzern ein Stück unverdiente Aufmerksamkeit zu schenken und gegen ihn anzutreten. In drei der letzten vier Heimspiele konnten die Fans hierbei immerhin einen Sieg bejubeln. Es wird allerdings nicht leicht, am kommenden Samstag an diese Erfolgsserie anzuknüpfen.

Dagegen spricht zum einen die Statistik dieser Saison. Denn Borussia verdankt seine starke Tabellenposition fast ausschließlich der beeindruckenden Konstanz gegen die schwächeren Mannschaften der Liga. 11 Siege aus 11 Spielen stehen gegen die Teams ab Tabellenplatz 12 zu Buche. Ähnlich einseitig fällt die Bilanz gegen die Topklubs in der oberen Tabellenhälfte aus: Lediglich drei Unentschieden aus insgesamt 13 Partien (inkl. DFB-Pokal) konnten hier erzielt werden. Einen Punkt gab es dabei immerhin im Hinspiel in Leipzig, als sich Borussia ein tapferes 0:0 erkämpfte.

Ein weiterer Fakt, der gegen Borussia spricht, ist die Gelb-Rot-Sperre von Tim Kleindienst. In den vergangenen Monaten konnte die Mannschaft zwar schon die Ausfälle von Honorat, Reitz und Nicolas erfolgreich wegstecken. Es ist aber ungewiss, wie sie auf den erzwungenen Verzicht auf ihren vermutlich wichtigsten Spieler reagieren wird. Mit Kleindienst fehlt Borussia nicht nur Deutschlands bester Strafraumstürmer. Dies könnten insbesondere Plea, Honorat und Hack an einem guten Tag ggf. noch kompensieren. Mit Kleindienst fehlt zudem eine Menge Mentalität, was einen nicht zu unterschätzenden Stabilitätsfaktor darstellt. Möglich, dass Seoane darauf mit einer etwas defensiveren Aufstellung reagiert und doch nicht – wie allgemein erwartet – Tomas Cvancara als direkten Ersatz aufbietet.

Individuell mag RB mehr Qualität vorweisen können. Allerdings hat die Mannschaft von Noch-Trainer Rose in den vergangenen Wochen so einige trostlose Auftritte hingelegt, mit denen sie im Borussia-Park nicht bestehen können sollte. Borussia dagegen bringt in der Form der letzten Wochen eine Menge Qualität mit und braucht sich vor dem Brauseklub nicht zu verstecken. Allerdings: Tritt die Mannschaft erneut so auf wie bei den letzten beiden Heimniederlagen gegen zwei Konkurrenten um Europa, dann dürfte auch gegen RB nicht viel zu holen sein.

Insbesondere die beiden kommenden Heimpartien gegen die Tabellennachbarn aus Leipzig und Freiburg werden für den Verlauf des Saisonendspurts richtungsweisend sein. Darf Borussia tatsächlich bis zum Saisonende von Europa träumen? Oder bestätigt sich am Ende doch „nur“ der Trend der bisherigen Saison: Zu gut zu sein für die schwachen Klubs, aber letztlich nicht gut genug für die obere Tabellenhälfte?

Mögliche Aufstellung:

Borussia: Pereira Cardoso - Scally, Itakura, Elvedi, Ullrich - Reitz, Weigl - Honorat, Plea, Hack - Cvancara

RB: Gulasci - Geertruida, Orban, Bitshiabu - Baku, Baumgartner, Seiwald, Xavi, Raum - Sesko, Openda

SEITENWAHL-TIPPS

Michael Heinen: „Es wird wieder nichts mit einem Heimsieg. Das 1:1 gegen RB ist letztlich zwar ein Achtungserfolg, aber vermutlich zu wenig für die europäischen Ambitionen.“

Christian Spoo: „Wieder ein Heimspiel, in das Borussia mit Optimismus geht. Wieder eins, das die Mannschaft verliert. Kein Kleindienst, keine Punkte. Red Bull Rose gewinnt mit 3:1.“

Mike Lukanz: „Ich schließe mich leider dem Kollegen Spoo an. Kleindienst kann nicht kompensiert werden. So hält Borussia lange defensiv dagegen, kann Gegentore aber nicht verhindern. Und da vorne keine Gefahr entsteht, gibt es durch das 0:2 den nächsten Dämpfer im Heimspiel.“

Michael Oehm: "Ich war voll optimistisch. Dann die Ansetzung: Schiedsrichter ist Tobias Stieler. Gute Nacht, Fußball, und nächste Woche der x-te Artikel zu Schiedsrichterentscheidungen und VAR. 'Warum war die Rettungstat mit der Faust auf der Linie von Xavi kein Handspiel, die unabsichtliche Berührung mit dem angelegten Arm von Weigl vor dem Strafraum aber ein Elfmeter, Herr Stieler?' - 'Naja, auch hier gilt wieder wieder same-same, but different.'

Daraus folgt ein 1-3 'im Sinne des Sports'."

Die Bilder der Saison