Mit dem 4:0-Erfolg in Hamburg ist Borussia Mönchengladbach mindestens für einen Tag, vielleicht auch für eine Woche Winterzeittabellenführer. Der erste Sieg seit Ende März fällt zeitlich mit dem Ende der Sommerzeit zusammen. Wer allerdings daran glaubt, dass die Sieglosserie etwas mit der Sommerzeit zu tun haben müsse, hängt entweder einem besonders bizarren Aberglauben an oder hat ein gravierendes Problem damit, (zufällige) Korrelation und Kausalität auseinanderzuhalten.
War das aber nun der in vielen Medien so betitelte Befreiungsschlag? Wagen wir uns an eine differenzierte Betrachtung:
Ja, der Sieg war überzeugend und im Grunde zu keiner Zeit gefährdet. Moritz Nicolas im Tor bot wie immer in den letzten Monaten eine äußerst aufmerksame Leistung und entschärfte die wenigen Chancen des FC St. Pauli souverän. Dass diese fast ausschließlich aus Schüss(ch)en von außerhalb des Strafraums kamen, war ein Verdienst der ebenfalls aufmerksamen und strukturiert wirkenden Defensivarbeit, vor allem der Dreierkette bestehend aus Sander, Elvedi und Diks und des defensiven Mittelfelds. Die ursprüngliche Notmaßnahme mit Sander als Innenverteidiger in der letzten Reihe könnte sich als wertvolle Dauerlösung herausstellen, vor allem, weil Sander neben aufmerksamer Abwehrarbeit auch strukturierten Spielaufbau zu bieten hat. Das konnte man insbesondere in der Anfangsphase sehen, als die Mannschaft gegen tiefstehende Gastgeber sehr viel Ballbesitz hatte. Offensiv war es in dieser Phase eher ein Abtasten, ehe Neuhaus aufmerksam auf den Risikopass des gegnerischen Torhüters reagierte, den abgefangenen Ball halb in den Lauf von Tabakovic spielte, halb wurde dieser vom Gegenspieler dorthin gegrätscht. Tabakovic wiederum zeige nicht nur bei diesem Tor, dass er mehr sein kann als ein kopfballstarker Mittelstürmer, bewies er doch bei seinen beiden Toren und der Vorlage auf Machino nicht nur Effizienz, sondern auch, dass er aus dem Spielzug heraus treffen und auch Mitspieler einsetzen kann. Auffällig in der Offensive waren auch Neuhaus, der viel Platz hatte und das nutzte, Honorat mit guten Standards (und einer stinksauren Reaktion auf seine Auswechslung), Machino mit einem schönen Tor und der Vorbereitung zum 0:4 (der Egoismus, die Bude bei 3:0-Führung unbedingt selbst machen zu wollen, sei ihm verziehen) und Reitz als wie immer fleißiger Ballschlepper. Scally und Engelhardt hatten jeweils eine Großchance, scheiterten aber am Pfosten bzw. dem Hamburger Torwart. Alles in allem sah der Gladbacher Fußball über 90 Minuten strukturiert und durchdacht aus – etwas, das man lange nicht über eine Gladbacher Elf sagen konnte.

Was gibt es also zu meckern? Im Grunde nicht viel, vor allem sollte man aber nicht außer Acht lassen, wie schwach der Gegner war. Der kicker überschreibt die Leistung des FC St. Pauli als „Der Zerfall“. Das ist nicht falsch. Abgesehen von einer ganz kurzen Phase zwischen 0:1 und 0:2 hatte man nie das Gefühl, dass die Hamburger ein Tor schießen könnten. Defensiv machten die Gastgeber große Räume auf, die Borussia bespielen konnte. Dieser Gegner ist nicht der Standardgegner in der Bundesliga, schon das nächste Spiel dürfte ungleich schwerer werden – auch wenn es gegen Köln geht. Trotz der Schwäche des Gegners fiel auf, dass Borussia sich momentan schwertut, das Spiel zu machen. Trotz der Schwäche des Gegners folgte auf die eigene Führung wieder eine leicht passive Phase, in der man sich tiefer in die eigene Hälfte drücken ließ, als dies notwendig gewesen wäre. Trotz der Schwäche des Gegners vermochte man es nicht, nach eigenen Balleroberungen sauber von hinten aufzubauen, stattdessen wurden viele Bälle lang nach vorne geschlagen, gewissermaßen dem Gegner überlassen, um währenddessen die eigene Abwehrreihe deutlich nach vorne zu verschieben und im Mittelfeld die Räume eng zu machen. Das mag in gewisser Hinsicht Teil der gestrigen Taktik gewesen sein, in dem sicheren Wissen, dass St. Pauli mit Ballbesitz wenig bis nichts anfangen kann. Gegen einen stärkeren, im Umschaltverhalten schnelleren und im Spielaufbau präziseren Gegner wird das aber nicht funktionieren.
Aus diesem Grund ist großer Jubel über einen vermeintlichen Befreiungsschlag verfrüht. Ja, man hat mal wieder gewonnen, der Sieg im Pokal wurde bestätigt. Ja, man ist nicht mehr Letzter, das Torverhältnis sieht nicht mehr ganz so unfreundlich aus und im unteren Tabellendrittel ist alles wieder eng. Aber man darf jetzt nicht nachlassen. Auf keinen Fall. Die nächsten Spiele gegen Köln und Heidenheim entscheiden darüber, ob Borussia Mönchengladbach die Chance haben wird, sich bis zum Ende der Hinrunde aus dem Tabellenkeller Richtung unteres Mittelfeld zu bewegen oder nicht. Entsprechend muss man es angehen.