Welchem Borussen traut man zu, seine Gedanken stets druckreif zu formulieren? Kleiner Tipp: Der Gesuchte trägt keinen Schnurrbart. Welchem Borussen traut man zu, seine Gedanken für werthaltig genug zu halten, dass sie mit der Welt geteilt werden müssen? Auch hier wieder: Keine Rotzbremse. Nein, es kann nur einen geben: Das Multitalent.
Den Tausendsassa. Den Mann, der gekonnt seine zahlreichen Jobs und Hobbys unter einen Hut bekommt und erst unlängst zu Protokoll gab, er mache jetzt nur noch die Sachen, die ihm Spaß machen. Ja, Christoph Kramer hat ein Buch geschrieben. Nicht etwa über Fußball, übers Influencertum oder über die Erlebnisse als charismatische Plaudertasche bei großen Sportereignissen. Nein, Christoph Kramer hat einen Roman geschrieben. Einen "Coming of Age-Roman", wie sein Verlag, immerhin das renommierte Unternehmen Kiepenheuer und Witsch, bekannt gibt. Das legt die Vermutung nahe, dass Borussias Nummer 23 über eine blühende Phantasie verfügt. Denn wer so of Age gekommen ist, wie Christoph Kramer, würde autofiktional nur ein relativ langweiliges (ein bisschen Schule, viel Training and the Chicks for Free) Werk zustande bringen. Der Mann war quasi seit dem Kindergarten auf auf dem Weg zum Fußballprofi, wer mit alten Schulfreunden spricht, erfährt, dem jungen Kramer habe die Sonne aus dem Allerwertesten geschienen, sprich: Widerstände habe es in seiner Adoleszenz eher wenige gegeben. Entgegenkommende Lehrkräfte und hinreichend Bewunderer allerlei Geschlechts. Dazu von klein auf ein Selbstbewusstsein epischen Ausmaßes. Seine Heimatstadt hat ihren berühmten Sohn nicht vergessen. Und womöglich ist der Gipfel der Berühmtheit noch nicht erreicht. Im Fußball darf sich Kramer "Weltmeister" nennen, mehr geht nicht. Aber wer weiß, auf welchen Feldern der Charmebolzen aus Solingen noch reüssieren wird.
Nach Fußballer (die Älteren unter uns erinnern sich), heimlicher Pressesprecher, Podcaster, Baller-League-Teamchef und ZDF-Experte ist Christoph Kramer jetzt also auch Schriftsteller. Anderthalb Jahre und viel Herzblut hätte ihn die Arbeit an seinem Debutroman gekostet, gibt er zu Protokoll. Und es "hat mir unnormal viel Spaß gemacht. Hat mir richtig viel gegeben in einer nicht so einfachen Zeit". Was die Zeit so schwierig gemacht haben könnte, wir wissen es nicht. Immerhin sah man ihn zu der Zeit, in der er das Schreiben offenbar aufgenommen hat, noch regelmäßig auf dem Platz. Im ähnlich rhetorikbegeisterten Trainer Daniel Farke hatte Kramer einen Bruder im Geiste gefunden und der fand immer noch ein Plätzchen, auf dem er Kramer bringen konnte. Sei es in vorderster Front oder in der hintersten Reihe. Seit Farke weg und Seoane da ist, spielt Kramer nur noch wenig. Aber zum Training soll er regelmäßig erscheinen. Von daher ist es zumindest bemerkenswert, dass er neben all den Dingen, die er sehr öffentlichkeitswirksam so tut, auch noch Zeit zum Schreiben gefunden hat. Vielleicht hat er das Schlafen eingestellt? Das könnte den durchaus sichtbaren Leistungsabfall auf dem Platz erklären. Wer weiß, was zuerst erscheint: Der Erstling von Christoph Kramer oder die Pressemitteilung, wonach Borussia und ebendieser Kramer ihren Arbeitsvertrag im Einvernehmen aufgelöst haben. Wobei Kramer vieles ist, aber nicht blöd. Die Aussicht, sich weiter für drei Millionen Euro per anno seinen Hobbys widmen zu können, sollte man sich nicht von Profanitäten wie Leistungsdruck verderben lassen. Es geht doch auch so. Ging immer so, siehe oben.
Vielleicht ist Christoph Kramers Buch ja wirklich gut. Er ist ja auch wirklich gut im Podcast, richtig gut im ZDF. Vielleicht wiederholt sich die Geschichte und er stößt sich kurz vor der Verleihung des Literaturnobelpreises den Kopf. Aber als Borussenfan guckt man sich dieses Treiben trotzdem mit etwas Bauchweh an. Denn wäre auch "Christoph Kramer und Borussia" ein Roman, so könnte man sich ein richtiges Happy End kaum noch vorstellen. Auch wenn Christoph Kramer natürlich Profi und wortgewandt genug sein wird, es als solches wirken zu lassen.