„Die Geschichte wiederholt sich immer zweimal – einmal als Tragödie und einmal mit Farke.“ Irgendwie so ähnlich antizipierte Karl Marx einst das, was sich in den letzten Jahren rund um den Borussia-Park ereignet hat. Wer bereits das unbefriedigend verlaufende Spieljahr mit Adi Hütter als „Tragödie“ angesehen hat, der kann mit der laufenden Saison ebenso wenig zufrieden sein. Von daher überrascht es nur bedingt, dass rund um den beschämenden Auftritt in Dortmund erstmals hartnäckige Gerüchte darüber aufkamen, der Verein wolle sich von Trainer Daniel Farke trennen. Bislang wurde dies zwar noch nicht bestätigt. Das beharrliche Schweigen der Verantwortlichen lässt aber Raum für Spekulationen.

Ein 2:5 im Signal-Iduna-Park ist für sich stehend zunächst einmal keine Schande. Schon weit erfolgreichere Borussen-Mannschaften haben dort in den vergangenen Jahren höher verloren und zuletzt kam u. a. der VfL Wolfsburg mit 0:6 unter die Räder. Dies alles bietet aber keine Entschuldigung für das Auftreten in der ersten halben Stunde, in der die Partie bereits entschieden wurde und Borussia – wie so oft in dieser Saison – jegliche Ernsthaftigkeit vermissen ließ. Die Pleite in Dortmund war bereits die 14. Niederlage, die noch durch einige unbefriedigende Unentschieden ergänzt werden, z. B. gegen Schalke und in Köln. Insgesamt ging in etwa jedes zweite Spiel mit einer enttäuschenden Leistung einher, bei dem nicht im Ansatz der Eindruck erweckt wurde, das Optimum aus sich und seinen Möglichkeiten herauszuholen. Dies sind Realitäten, denen sich selbstverständlich auch der Trainer stellen muss.

Die Gerüchte um eine potenzielle Ablösung kursierten bereits zu Beginn der Partie, sodass sie unabhängig vom Auftreten am Samstagabend zu bewerten sind. Es ist selbsterklärend, dass auch ein Roland Virkus mit den Auftritten der Mannschaft in dieser Spielzeit nicht zufrieden sein kann. Zudem ist es normal, dass in einer solch schwierigen Situation, in der sich Borussia diesen Sommer befindet, bei den Verantwortlichen unterschiedliche Meinungen zu einzelnen Personalentscheidungen vorherrschen. Bei Misserfolg drücken sich solche Meinungsverschiedenheiten i. d. R. emotionaler aus. Daniel Farke meinte vor einigen Wochen in einer Pressekonferenz, dass zwischen Trainer und Sportdirektor kein Blatt Papier passen dürfe. Er verriet nicht, ob dies zwischen ihm und Virkus der Fall ist.

Dies alles muss man bislang aber auch (noch) nicht zu hoch hängen, denn Gerüchte haben nicht selten die Eigenschaft übertrieben zu sein und oft einen kleinen Funken Wahrheit zu einem großen Ballon voller Unwahrheiten und Verzerrungen aufzublasen. Anstatt über den tatsächlichen Wahrheitsgehalt dieser Spekulationen zu mutmaßen, möchten wir dem Rat unseres aktuellen Trainers folgen und versuchen, die Diskussion zu versachlichen, indem wir uns anschauen, was nach derzeitigem Stand für und was gegen Daniel Farke spricht.

Was spricht für Farke?

In Norwich hat Farke eindrucksvoll bewiesen, dass er eine Mannschaft mit geringen (finanziellen) Möglichkeiten erfolgreich entwickeln und ihr seinen Spielstil aufdrücken kann. Auch dort schnitt er in seiner ersten Saison mit einem enttäuschenden 14. Platz in der zweiten englischen Liga ab. Es brauche drei bis vier Transferperioden ehe sich seine Spielidee nachhaltig umsetzen ließe, wurde Farke mehrfach zitiert. Insbesondere mit dem Transfer von Julian Weigl, der wie kein zweiter in das Farke-System passt und ein absoluter Wunschtransfer des Trainers war, hat sich der Verein ein Stück weit auf diesen Weg „commited“. Es würde inkonsequent wirken, diese bislang mit und auf Farke abgestimmte Saisonplanung jetzt umzuwerfen und auf einen anderen Trainer auszurichten.

Zudem ist Farke nicht der erste Trainer, der an dieser schlecht zusammengestellten Mannschaft scheitert. Wer die Schuld allein auf den Trainer schiebt, der ignoriert, dass auch Marco Rose in seiner zweiten Saison enttäuschte und Europa verpasste. Anschließend wurde schon der auf seinen Vorstationen höchst erfolgreiche und daher nicht gerade billige Adi Hütter den Launen des Kaders geopfert. Dies jetzt noch einmal mit Farke zu wiederholen, wäre ein Armutszeugnis, das den Verein noch ärmer machen würde. Eine weitere Abfindung würde die Möglichkeiten für dringend erforderliche Spielertransfers weiter einschränken. Eine teure Ersatzlösung, wie sie z. B. Oliver Glasner wäre, dürfte am Veto von Stephan Schippers scheitern. Realistisch wäre daher nur die verhältnismäßig billige Lösung mit Eugen Polanski, also einem Trainer mit sehr wenig Erfahrung, der eigentlich noch ein paar Jahre in der U23 reifen sollte. Anstatt einen erfolgversprechenden Trainer für die mittelfristige Zukunft aufzubauen, würde Borussia mit einem weiteren Trainerwechsel sein einstiges Image, für Kontinuität und relativ wenige Rauswürfe zu stehen, endgültig begraben.

Was spricht gegen Farke?

So beachtlich die Erfolge mit zwei Aufstiegen in der zweiten englischen Liga waren, so ernüchternd waren die Ergebnisse anschließend in der Premier League. Mit nur 5 Siegen und 21 Punkten stieg Norwich 2020 abgeschlagen 13 Punkte hinter dem Vorletzten und mit einem katastrophalen Torverhältnis von 26:75 Tore direkt wieder ab. Anstatt sich den Gegebenheiten der Premier League anzupassen, rannte der Trainer mit Hurra ins Verderben. Zwei Jahre später zeigte sich, dass er nur sehr bedingt lernfähig war. Denn nach dem Wiederaufstieg startete Norwich 2022 direkt wieder mit sechs Niederlagen und einem Torverhältnis von 2:16 in die Saison. Danach stellte Farke seine Mannschaft zwar endlich etwas defensiver ein und kam in den folgenden fünf Partien immerhin auf fünf Zähler. Insgesamt war die Bilanz mit 8 Niederlagen nach 11 Spielen aber zu verheerend und führte zur vorzeitigen Entlassung.

Auf erstklassigem Niveau hat Daniel Farke also bisher in drei Spielzeiten noch nicht nachgewiesen, dass er seine Spielidee erfolgreich umsetzen kann. Darauf zu hoffen, dass es ihm in der kommenden Saison endlich gelingen könnte, ist mindestens ein genauso großes Risiko wie es z. B. ein Versuch mit Polanski wäre.

Die Vorbehalte, die Borussias aktuellem U23-Trainer entgegenschlagen, gelten in gleicher Weise für jeden anderen Newcomer ohne höherklassige Erfahrungen. Es gibt aber genügend Beispiele von Trainern, die „aus dem Nichts“ ins Rampenlicht der Bundesliga getreten sind. Julian Nagelsmann, Jürgen Klopp und Thomas Tuchel sind nur einige der prominenteren Namen von Trainern, die in jungen Jahren sehr schnell Erfolge vorweisen konnten. Im Dezember 2022 übernahm z. B. der 29jährige Fabian Hürzeler den damals akut abstiegsbedrohten FC St. Pauli und sorgte anschließend mit 10 Siegen in Folge für einen Vereinsrekord.

Selbstverständlich gibt es auch zahlreiche Gegenbeispiele von jungen, aber erfolglosen Trainern. Aber irgendwann muss ein jeder Trainer seinen Anfang wagen. So unerfahren wie es auf den ersten Blick scheint, ist Polanski zudem gar nicht. Bereits seit 2019 arbeitete er als Talente-Scout für Borussia und hat daher einen guten Einblick in den Jugendbereich. Ab Oktober 2021 absolvierte er eine erfolgreiche Saison mit der U17, die er genauso erfolgreich auf Platz 3 abschnitt wie im Anschluss sein Debütjahr mit der U23. In seinen beiden Jahren als Trainer im Jugendbereich hat er nachgewiesen, dass er (junge) Mannschaften führen kann. Neben dem Tabellenplatz ist die starke Mentalität seiner U23 bemerkenswert, die zahlreiche Spiele in den Schlussminuten noch herumriss.

Das Risiko mit ihm wäre insgesamt auch nicht geringer oder höher als bei Farke oder anderen Trainern. Es wäre dafür aber ein Signal für einen echten Umbruch mit einem unvorbelasteten Trainer, der für die bei Borussia geplante Förderung der Jugendarbeit stünde. Da Polanski seit Ende 2022 den einjährigen DFB Pro-Lizenz-Lehrgang absolviert, dürfte er Borussia als Cheftrainer übernehmen. Auch Hürzeler und einst Nagelsmann starteten ihre Trainerkarrieren, während sie diesen Lehrgang noch besuchten.

Doch zurück zu Farke. Es steht außer Frage, dass der Mannschaft bzw. ihrer Zusammensetzung die Hauptschuld an dem schlechten Abschneiden gegeben werden muss. Dies entbindet den Trainer aber nicht von seiner Verantwortung, aus den gegebenen Möglichkeiten das Optimum herauszuholen. Dies ist Farke eindeutig nicht gelungen und seine teilweise zu beobachtende Inflexibilität hat hierzu einen Beitrag geleistet. Sein Wunsch, ohne sichtbare sportliche Erfolge drei bis vier Transferperioden Zeit zu bekommen, ist im schnelllebigen Profifußball arg optimistisch gedacht. Was genau gibt Borussia Hoffnung, dass Farke der richtige für den geplanten Weg sein könnte? Die bisherigen sportlichen Leistungen können es jedenfalls nicht sein.

Fazit

Sofern Borussia davon überzeugt ist, dass Daniel Farke ein sehr guter Trainer ist, der den Verein langfristig zu Erfolgen führen wird, sollten sie an ihm festhalten. Dann nämlich macht Kontinuität und das Aussitzen unerfreulicher Saisonabschnitte Sinn. Es ist leider nur nicht ersichtlich, was genau den Verein so sicher macht, mit Farke tatsächlich einen solch sehr guten, erfolgversprechenden Trainer verpflichtet zu haben. An einem Trainer nur der Kontinuität wegen festzuhalten, kann verheerende Folgen haben. Ein Michael Frontzeck wurde einst 2011 viel zu spät entlassen. Auch Marco Rose hätte nach Verkündung seines Abgangs zum BVB nicht weitermachen dürfen. Ein „Weiter so“ darf nicht zum reinen Selbstzweck verkommen, sondern muss ebenso gut durchdacht und begründet werden wie ein möglicher Wechsel.

Wenig Sinn macht es, noch zwei Spieltage vor Schluss einen Wechsel vorzunehmen. Ein Nachdenken über diese Option zum Saisonende muss aber auf Basis der vorliegenden Argumente erlaubt sein. Sofern die Führung zum Ergebnis kommt, den Umbruch zur neuen Saison lieber z. B. mit Polanski als mit Farke angehen zu wollen, sollte dies intern abgesprochen werden, um es zeitnah nach der Saison – möglichst im Einvernehmen mit Farke – zu verkünden. Nicht hilfreich dagegen ist es, wenn Gerüchte über diese Überlegungen von einzelnen Vereinsvertretern – interessensgesteuert und verzerrt – an einzelne Medienvertreter durchgesteckt werden. Hier gibt der Verein aktuell leider in der Kommunikation kein gutes Bild ab und sollte dringend darum bemüht sein, diese Person(en) ausfindig zu machen. Sich von ihnen zu trennen wäre in jedem Fall der noch weit wichtigere Schritt als es eine durchaus ebenfalls nachvollziehbare Trennung von Farke wäre.