Wie nicht wenige mediale Beobachter war SEITENWAHL ausgesprochen erstaunt, als Borussia Anfang des Jahres Roland Virkus als Nachfolger von Max Eberl vorstellte. Und wie bei nicht wenigen Anhängern von Borussia Mönchengladbach schwankte die Reaktion in der SEITENWAHL-Redaktion zwischen bestürzt, ernüchtert und galgenhumoresk. Wo lange Zeit ein zwar zur Worthülse neigender, aber durchaus smarter und mit allen Wassern gewaschener Ex-Profi das Gesicht des Vereins war, saß jetzt – naja, Roland Virkus halt. Unser Erstaunen fassten wir (fasste ich) seinerzeit hier zusammen.

Für Virkus sprach damals der Stallgeruch. An seinen Taten bis dahin war er schwer zu messen und wenn man es versuchte, sprach wenig dafür, dass die naheliegende die richtige Lösung war. Nun aber sind mehrere Monate vergangen. Eine intensive Transferperiode ist zu Ende und es gibt neue Taten, an denen wir Roland Virkus messen können. Und was sagen wir da? Danke Roland! Unsere Befürchtungen waren – zumindest Stand jetzt, um eine der Worthülsen der Ära Eberl zu bemühen – übertrieben. Die Außendarstellung des neuen Borussengesichts ist, wie sie ist, aber die Bilanz der vergangenen Wochen kann sich durchaus sehen lassen. Mit Plea und Hofmann haben zwei der „23er“ ihre Verträge verlängert. Dass beide über 2023 hinaus in Gladbach bleiben, ist keineswegs gesagt, dass die Verträge Ausstiegsklauseln beinhalten, darf man als gegeben voraussetzen. Aber die Gefahr, dass Borussia diese beiden Leistungsträger verliert, ohne einen Cent dafür zu sehen, ist gebannt. Noch virulent ist sie bei Yann Sommer und Marcus Thuram, zwei der beiden zu Beginn der Spielzeit 2022/23 besten Spieler des Teams. Sollte einer oder sollten gar beide es Plea und Hofmann gleichtun, wäre die von vielen apostrophierte Katastrophe abgewendet. Noch aber steht im Raum, dass einer oder beide nach der Saison ohne Kompensation weggehen – oder im Falle Sommers nach der WM für vergleichsweise kleines Geld.

 

Als Abgang fest eingeplant war Ramy Bensebaini. Warum er noch da ist, weiß vermutlich nur er selbst, aber sei’s drum. Einen ablösefreien Abgang nach der Saison sollten wir uns leisten können und bis dahin erfreuen wir uns an den Fähigkeiten und Toren des Linksverteidigers. Zwei oder drei der genannten ablösefrei zu verlieren, wäre allerdings kein GAU aber schon ein Makel für die Bilanz des Sportdirektors und seines Teams. Auch die Personalien Stindl und Kramer bleiben offen, hier wäre es allerding eher ein Grund zum Staunen, wenn es nicht gelänge, die beiden Identifikationsfiguren noch eine Weile im Verein zu halten.

Bei den Zu- und Abgängen ist die Bilanz bisher ausgezeichnet: Matthias Ginter war zwar offiziell schon durch Marvin Friedrich ersetzt worden. Der eigentlich eher als Sechser eingeplante Ko Itakura macht als Innenverteidiger allerdings bisher eine derart fantastische Figur, dass man ihn sich aus der Abwehrkette nicht mehr wegdenken möchte. Folglich gab es im defensiven Mittelfeld in den Augen von Trainer Daniel Farke noch Bedarf – und der wurde mit dem Leihgeschäft (plus Kaufoption) Julian Weigl übererfüllt.

Borussias Hintermannschaft ist personell ausgezeichnet aufgestellt und die unter den Druffi-Trainern Rose und Hütter verlorengegangene Stabilität dürfte bald wieder zu den Kerneigenschaften von Borussia Mönchengladbach gehören. Dass mit Jordan Beyer erneut ein Eigengewächs verliehen wurde, ist schade, auch angesichts der sehr soliden Leistungen des Kempeners zum Ende der vergangenen Spielzeit. Beyer hatte Pech mit Verletzungen und damit, dass Itakura sich auf „seiner“ Position direkt unverzichtbar gemacht hat. Noch ist nicht ausgeschlossen, dass Beyer einst in Gladbach nachhaltig reüssieren wird, wahrscheinlicher wird es durch die Leihe in die zweite englische Liga nicht.

Vorne stellt sich die Situation etwas weniger rosig dar. Dass Marcus Thuram, mit oder ohne neuen Vertrag, bleibt, ist enorm wichtig. Ein weiterer wuchtiger Mittelstürmer hätte Borussia aber gut zu Gesicht gestanden. Breel Embolo wurde nicht 1:1 ersetzt, hier ist eine Planstelle freigeblieben. Kandidaten für eine Verpflichtung gab es dem Vernehmen nach durchaus, allerdings kamen die angedachten Geschäfte nicht zustande, auch weil die Investitionen in die Defensive keine Mittel mehr für weitere in den Angriff ließen. Nathan Ngoumou ist kein Mittelstürmer sondern Rechtsaußen. Auch hier bestand Bedarf, auch sein Tempo lässt interessante Varianten mit dem Franzosen möglich erscheinen. Aber wie auch bei Oscar Fraulo nimmt Daniel Farke Druck vom Neuzugang, indem er ihn als „Projekt“ bezeichnet. Da kann etwas kommen, aber vermutlich kommt es nicht direkt.

Und überhaupt: Farke. Wie es dazu kam, dass der Lippstädter mit der sanften Stimme zum Trainer wurde, ist hinreichend beschrieben worden. Roland Virkus war aber, nachdem er den Mann, der ganz und gar nicht die erste Wahl war, kennengelernt hatte, nach eigenem Bekunden direkt Feuer und Flamme. Die hat Farke mit Authentizität, wohl gewählten Worten und weil er offenbar einfach ein guter Typ ist, dem Vernehmen nach auch im Team und ganz offensichtlich im Umfeld entflammt. Und weil die Ergebnisse bis dato stimmen, ist im Moment alles richtig gut.

Wie groß der persönliche Anteil von Roland Virkus am Optimismus ist, der nach dieser Transferperiode bei allen, die es mit Borussia halten, zu spüren ist, wissen wir nicht. Steffen Korell wollte lieber im Hintergrund bleiben und wird dort vermutlich zum Wohl des Vereins entscheidend mitgewirkt haben, ebenso alle anderen, die bei Borussia in verantwortlicher Position sind. Aber Virkus ist der Mann an der Front und als solcher gebührt ihm Anerkennung für das, was bisher in diesem Sommer geschehen ist.

Borussia Mönchengladbach ist im September 2022 wieder ein Verein, mit dem wir uns identifizieren können. Viel mehr wollten wir eigentlich gar nicht. Danke dafür, auch an Roland Virkus.