„Uff“. „Puh“. „Puh, knapp“. Und diverse Emojis, die Ähnliches ausdrücken sollten. Das waren die Nachrichten, die sich Fans von Borussia Mönchengladbach nach 90 Minuten plus vier Minuten Nachspielzeit gegenseitig auf die Smartphones schickten. Das ist gut, denn das kollektive Aufatmen ist Reaktion auf den ersten Sieg Borussias seit November (Siege gegen Bayern zählen nicht). Gegen den Abstiegskonkurrenten FC Augsburg gelang der so dringend benötigte Dreier, der dem Team von Adi Hütter etwas Luft im Kampf um den Klassenerhalt verschafft. Vier Punkte beträgt der Vorsprung auf den Relegationsplatz. Dahinter verlieren Stuttgart und Fürth langsam das rettende Ufer aus dem Blick wobei die Franken Borussia den Gefallen taten, mit Hertha BSC einem weiteren Konkurrenten die Punkte abzuknöpfen. 

„Uff“. „Puh“. Und „Puh, knapp“ sind aber auch schlecht. Schlecht, weil die Partie gegen Augsburg keine war, in der das Zittern vor dem Abpfiff nötig gewesen wäre. Borussia war über 90 Minuten die bessere Mannschaft, hatte Augsburg augenscheinlich über die komplette Spielzeit im Griff – und geriet trotzdem in Not. Verstehen wir uns nicht falsch: Borussia war auch gut, weil Augsburg schwach war. Vom spielerischen Potenzial liegt einiges zwischen den beiden Teams. Und Borussia wirkte nicht einmal, wie eine Mannschaft der die Verunsicherung nach der Pleiten- und Schöngeredetefastpleitenserie der vergangenen Wochen in den Knochen steckt. Man kombinierte ganz munter und erspielte sich diverse Chancen gegen eine stets verwundbar wirkende Augsburger Defensive. Und trotzdem stockte den 10.000 im Stadion und den vielen 100.000 vor den Bildschirmen in der 95. Minute der Atem, als der eingewechselte Zeqiri aus 20 Metern zum Schuss ausholte, nachdem Luca Netz den Ball nicht hatte festmachen können. 

Die Probleme Borussias lauten, Reihenfolge egal, Offensive und Defensive. Offensive bedeutet vor allem „Sturm“. Denn der einzige nominelle Stürmer Breel Embolo agierte einmal mehr unglücklich. „Von zwei möglichen Entscheidungen trifft Embolo immer die falsche“ – diese Binse konterte SEITENWAHL-Kollege Grünewald so trocken wie treffend mit „Auch die falsche von einer möglichen“. Damit ist über die wie immer engagierte Leistung des Schweizers alles gesagt. Eine echte Großchance hatte er, dabei lupfte er den Ball am Tor vorbei. Marcus Thuram, der Embolo in der Schlussphase ersetzte, brachte es fertig, den Ball aus etwa zwei Metern über das Tor zu bringen. Schlicht gesprochen: In vorderster Front fehlt einer, der die Dinger macht. Auch Neuhaus und Hofmann versägten einiges aus aussichtsreicher Position, hatten aber später ihre Torbeteiligungen. Lichtblick im Offensivspiel war, wie schon gegen Bielefeld, Alassane Plea. Der Franzose hat entweder bloß gemerkt, was die Stunde geschlagen hat, oder die Stindl-Position, die er wegen der Verletzung des Kapitäns zurzeit bekleidet, liegt ihm besser, als man das vorher ahnen konnte. Plea jedenfalls lief für seine Verhältnisse unglaubliche Strecken, half hinten aus, kurbelte an, bereitete das 1:0 mit einer wundervoll gefühlvollen Flanke vor und setzte Neuhaus kurz vor Schluss mit einem Steckpass zum Zungeschnalzen ein – leider scheiterte der Deutsche Nationalspieler aus kurzer Distanz am Augsburger Torwart Gilkewicz. 

Womöglich folgenreicher sind die Schwierigkeiten in der Defensive. Koné und Neuhaus machten beide kein schlechtes Spiel, aber vor allem, weil sie beide reichlich Gelegenheit hatten, sich vorne einzuschalten. Vor der Abwehr waren sie eher selten gefordert, Neuhaus leitete allerdings mit einem völlig verunglückten Versuch, an den Ball zu kommen, den Anschlusstreffer zum 2:3 ein, zu einer Zeit, als Borussia die Sache eigentlich völlig im Griff zu haben schien. 

Die Dreierkette war wenig gefordert, wenn aber, war sie nicht Herr der Lage. In der ersten Halbzeit kam André Hahn unbedrängt zum Kopfball, von Elvedi aus den Augen gelassen, lief der Ex-Borusse völlig unbedrängt in den Strafraum. Beim 1:2 kam hinderte Ginter Vargas nicht am Weiterleiten des Balles, Iago war auf der völlig entblößten rechten Gladbacher Abwehrseite ohne jede Gegenwehr in den Strafraum gelaufen und hatte Platz und Zeit satt, um den Ball ins Tor zu dreschen. Beim 2:3 nach dem erwähnten Patzer von Neuhaus waren Friedrich und Ginter so weit vom Torschützen Finnbogason entfernt, wie Greuther Fürth von der Deutschen Meisterschaft. Kurzum: Hinten stimmt vieles nicht. Die Abstimmung passt nicht, die Konzentration bei den Innenverteidigern ist selten so hoch, wie sie in der Bundesliga, zumal im Abstiegskampf zu sein hat. Ob das, wie gelegentlich gemutmaßt, am Fremdeln mit der Dreierkette liegt, ob der neue Mann Marvin Friedrich noch nicht mit seinen Nebenleuten harmoniert, ob es am offenkundigen Formtief von Nico Elvedi liegt, aus der Ferne ist das kaum zu sagen. Klar ist: Hier wartet Arbeit auf Adi Hütter. So geht das nicht weiter. Abschlussschwäche und wackelige Abwehr sind eine letale Kombination. Andere Gegner als der FC Augsburg nutzen das eiskalt aus. Dass gegen einen Gegner wie diesen drei eigene Tore nötig sind, ist bedenklich. Dass drei Tore möglich sind, war an diesem Samstag Borussias großes Glück. 

Drei Punkte sind drei Punkte und diese drei sind besonders wichtig. Von daher besteht Grund zur Freude. Ob der Sieg gegen Augsburg aber tatsächlich der Befreiungsschlag war, als den ihn Adi Hütter nach dem Spiel gerne deuten wollte oder ob es drei spärliche Nüsschen sind, von dem sich das Eichhörnchen Borussia im bis zum 34. Spieltag dauernden Liga-Überlebenskampf mühsam ein wenig nähren kann, das wird sich vermutlich frühestens in zwei Wochen zeigen, wenn der VfL Wolfsburg kommt, der allerdings in der Winterpause die richtigen Schlüsse aus einer schlechten Hinrunde gezogen zu haben scheint. Spätestens muss es laufen, wenn danach die Duelle gegen gleich drei direkte Konkurrenten am Stück auf dem Programm stehen. Wenn der Befreiungsschlag tatsächlich einer war, sind wir im Idealfall mit der Zeitumstellung aus dem Schneider. War es keiner, werden es noch Wochen zum Nägelkauen – um am Ende aber hoffentlich einmal mehr „uff“, „puh“, „puh, wie knapp“ texten zu können.