„Nicht abgeholt obwohl bestellt, dies Gefühl heißt Bielefeld“, meinte einst schon der große Wiglaf Droste. Nach der Partie bei der Arminia überkam dieses Gefühl der Orientierungslosigkeit auch einige Fans aus Mönchengladbach, die nicht so recht wussten, wie sie das 1:1 am mittlerweile nicht mehr ganz so langen Ende einstufen sollten. Zum Sterben zu viel, zum Leben zu wenig, war eine nicht selten gehörte Einschätzung. Borussias Lage im Abstiegskampf hat sich durch den Punkt nicht verbessert, aber immerhin auch nicht verschlechtert.

Es ist weit gekommen mit Borussia Mönchengladbach, wenn ein 1:1 bei Arminia Bielefeld im Verein überwiegend positive Reaktionen auslöst. Die Partie auf der Alm veranschaulichte allerdings, dass sich Borussia anno 2022 sportlich auf Augenhöhe mit diesem Verein befindet, der weniger als ein Fünftel des eigenen Umsatzes generiert. Konnten die Fohlen in der Vergangenheit stolz darauf sein, im oberen Tabellendrittel regelmäßig mit weit finanzstärkeren Klubs mitzuhalten, hat sich die Situation nun umgekehrt: Man guckt neidisch auf die gute Arbeit, die bei kleineren Vereinen geleistet wird.

Mittelfristig darf sich Borussia mit dieser Situation nicht zufriedengeben und muss aufpassen, dass aus dieser Konstellation kein Dauerzustand wird. Denn genau so ist es in den letzten Jahren vielen anderen vermeintlich „großen“ Klubs ergangen, die sich anschließend in Liga 2 wiederfanden. Man frage nach in Hamburg, Stuttgart, Bremen, Köln oder Gelsenkirchen. Bis zum Sommer müssen die Weichen im Verein komplett neu gestellt werden, damit der Verein wieder schlauer und schneller agiert als die meisten anderen und die Trägheit und Selbstzufriedenheit ablegt, die in den letzten Jahren schleichend Einzug gehalten und zur aktuellen Situation geführt haben.

Kurzfristig kann es aber nur darum gehen, in dieser Saison irgendwie den Klassenerhalt zu schaffen. Dieses Anliegen wird schwer genug wie ein Blick auf die Tabelle zeigt. Nur noch ein Punkt trennt Borussia vom Relegationsplatz, wo ausgerechnet der kommende Gegner aus Augsburg thront. Immerhin: Mit Borussia, Bochum, Wolfsburg, Augsburg, Hertha, Bielefeld und Stuttgart streiten sich sieben Kandidaten um die fünf rettenden Positionen ab Platz 11. Rein statistisch ist die Chance auf den Klassenerhalt also gar nicht so schlecht wie es gefühlt den Anschein haben mag.

Ein Sieg auf der Alm hätte ein Befreiungsschlag sein können nach der ereignisreichen Spielpause. Nach einer ausgeglichenen ersten Hälfte verschaffte sich die Fohlenelf nach dem Seitenwechsel optische Vorteile, die sie aber nicht in weitere Treffer umwandeln konnte. Breel Embolo war in seiner Rolle als – zumeist einsamer – Stoßstürmer überfordert. An guten Tagen kann er eine Partie gegen jeden Gegner im Alleingang entscheiden. Läuft es bei ihm nicht, ist er allerdings meist komplett abgemeldet.

Besser machte es Alassane Plea, der hinter Embolo agierte und in dieser „Stindl-Rolle“ seine bislang stärkste Saisonleistung erbrachte. Es wäre wichtig, dass er diese Form für den restlichen Verlauf beibehält, da ansonsten die Alternativen im Angriff überschaubar sind. Marcus Thuram deutete bei seinem Kurzeinsatz erneut an, dass er in der aktuellen Verfassung keine Hilfe ist. Der Franzose entpuppt sich zunehmend als reiner Spaßfußballer, der sich für seine Bestform wohlfühlen muss. Seit der Spuckattacke und erst recht seit seiner Verletzungspause zu Saisonbeginn ist von seiner ehemaligen Leichtigkeit nichts mehr übrig. Da auch Stindl bis auf Weiteres ausfällt, ist Borussia im Angriff vollständig vom Duo Embolo/Plea abhängig, die beide erheblichen Formschwankungen unterliegen und zum Teil (insb. Embolo) verletzungsanfällig sind.

In der Defensive hört sich das Personal auf dem Papier sehr brauchbar an, was durch die hohe Anzahl an Gegentoren in dieser Saison eindrucksvoll widerlegt wird. In Bielefeld war Borussia erneut auf eine starke Leistung ihres Keepers angewiesen, um am Ende „nur“ ein Gegentor zu kassieren. Bei diesem tanzte Serra die gesamte Borussen-Defensive aus und zeigte damit auf, dass die Mannschaft mit der Dreier- bzw. Fünferkette immer noch etwas fremdelt.

Ob per Umstellung auf Viererkette oder durch eine Hereinnahme von Jantschke oder Beyer: Adi Hütter sollte sich in den kommenden Wochen überlegen, ob er Nico Elvedi eine schöpferische Pause gönnt. Der Schweizer agiert in dieser Saison ähnlich unsicher wie man es in seiner Premierensaison bei Borussia 2015/16 gewohnt war. Seitdem hatte er sich eigentlich zu einem der zuverlässigsten Innenverteidiger der Liga entwickelt, der für sein mit 25 Jahren immer noch junges Alter erhebliche Erfahrung mitbringt. In dieser Saison kann er das aber bislang leider nicht entsprechend umsetzen. Zu erwarten ist dennoch, dass Hütter die Dreier-Konstellation Ginter, Friedrich, Elvedi dauerhaft in der Defensive zu etablieren versuchen wird. Sie sollten sich – gerade im Interesse ihres Trainers – nicht allzu viel Zeit damit lassen, in dieser Rolle für Stabilität zu sorgen.

Für den Verein wie nicht zuletzt für Adi Hütter wird der kommenden Partie eine besondere Bedeutung zukommen. Mit einem Heimsieg über den FC Augsburg könnte der Konkurrent distanziert und ein wichtiges Signal gesetzt werden. Zuletzt wurde die Leistungssteigerung gegen Union sowie der Punkt“gewinn“ in Bielefeld relativ wohlwollend bewertet, was in erster Linie den deutlich gesunkenen Ansprüchen zu verdanken ist. In den kommenden Spielen muss sich das aber endlich auch in Punkten widerspiegeln. Ansonsten könnte die Trainerfrage weit schneller beantwortet werden als es allen lieb wäre.

Die Augsburger waren in der Vergangenheit oft ein unbequemer Gegner für Borussia, der ihnen gerade in den ersten Partien ihrer Erstligazugehörigkeit zusetzte. Seit dem legendären 4:2-Auftakt des ebenso legendären André Schubert hat sich dies aber zumindest im Borussia-Park geändert. Vor dem unnötigen 1:1 in der vergangenen Saison, als die Augsburger kurz vor Schluss in Unterzahl noch ausgleichen konnten, hatte Borussia drei Heimspiele in Folge gewonnen, mit einer Tordifferenz von insgesamt 9:1.

Doch Statistiken haben weniger Wert als das Auftreten der Mannschaft. Die letzten Partien machen Mut, dass die meisten Spieler verstanden haben, worum es jetzt geht und den Abstiegskampf annehmen. Das derzeit fehlende Selbstbewusstsein und die Leichtigkeit müssen sich in jeder einzelnen Partie weiter mühsam erarbeitet werden. Es tut in der Seele war, dass diese individuell hoch begabte Mannschaft spielerisch so weit von ihrer Bestform entfernt ist. Um diese zu erreichen, wird es aber Zeit und Erfolgserlebnisse brauchen. Da es mit der Zeit langsam eng wird, sollte sich die Mannschaft gegen Augsburg unbedingt ihr (erstes) Erfolgserlebnis holen, damit sie anschließend mit einem guten Gefühl und positiver Orientierung ihren ehemaligen Trainer in Westfalen besuchen kann.