Lässt sich eine der höchsten Heimniederlagen der borussischen Bundesligageschichte abschütteln? Kann eine Mannschaft eine Woche nach einem in jedweder Hinsicht desolaten Auftritt ausreichend Selbstbewusstsein an den Tag legen, um ein Bundesligaspiel zu gewinnen? Die Zeichen stehen nicht gut. Der letzten Heimpleite mit sechs Toren Unterschied folgte eine Auswärtsniederlage mit sechs Toren Unterschied. Auch seinerzeit hatte Borussia einen Kader, der auf dem Papier deutlich mehr hergab, als er auf den Platz zu bringen vermochte. Damals stieg Borussia nach der Saison ab. So weit sollte es in dieser Spielzeit nicht kommen. Dennoch gibt es für den Beobachter wenig Anlass zu der Hoffnung, dass just im Auswärtsspiel bei RB Leipzig die Wende gelingen könnte. Zu viel stimmte nicht beim 0:6 gegen Freiburg. Defensive, Offensive, Laufleistung, die entscheidenden Zweikämpfe – alles Note ungenügend. Mitentscheidend dürfte die Aufarbeitung des Ganzen unter der Woche sein – und wie sehr die Mannschaft das Gehörte und Besprochene wirklich annimmt. Die These, dass ein Großteil des Kaders mit dem Kopf eher bei der eigenen Karriereplanung als bei der Sache ist, steht im Raum. Sollte sie zutreffen, können sich die Herren Eberl und Hütter den Mund vermutlich fusselig reden, es wird nicht viel helfen. Aber vielleicht ist diese These auch einfach falsch und es gibt andere, lösbare Probleme, die zu zwei hohen Niederlagen mit zusammen zehn Gegentoren geführt haben.

Was besprochen wurde, nach den beiden Horrorwochenenden, bleibt intern. Man sei hinter verschlossenen Türen deutlich, mache aber nichts Populistisches, sagt Adi Hütter und tut – vorausgesetzt, deutlich ist auch deutlich, das Richtige. Die öffentliche Analyse fällt so aus, dass sie vermutlich auch jeder Kneipengucker hinbekommen hätte: Start verschlafen, zu viele Gegentore, als Mannschaft nicht funktioniert. Nun denn. Man wolle in Leipzig ein anderes Bild abgeben, fügt der Trainer noch hinzu. Dann ist ja alles gut.

Versucht man, zwischen den Zeilen zu lesen, Untertöne herauszuhören, ist die Aussage Hütters, Statistiken seien von begrenzter Aussagekraft zwar durchaus richtig. Die Differenz der Laufleistung des SC Freiburg und Borussias am vergangenen Sonntag war allerdings so groß, dass man das kaum mit „es kommt ja darauf an, wann man läuft“ beiseite wischen sollte.

Max Eberl eberlt derweil auf mittlerweile gewohnte Art. Meint man es gut mit dem Sportdirektor, stellt er sich vor sein Team. Meint man es weniger gut, zieht er sich in die schwarz-weiß-grüne Wagenburg zurück. Die ausdrücklich keine Wohlfühloase sei, dieses Wort gehört wie „Mentalität“ oder „Führungsspieler“ auf den eberlschen Index. „Die üblichen Themen, die dann aufkommen“, sagt der Sportdirektor und hat, wie Hütter, irgendwie Recht aber irgendwie auch nicht. Denn ganz ohne Grund kommen diese Fragen nicht auf und irgendetwas muss am Ende ja doch den Ausschlag geben, wenn eine Mannschaft von der nominellen Qualität der Borussia 21/22 dem SC Freiburg in allen Belangen unterlegen daherkommt. „Intern muss es knallen“ sagt Eberl aber auch, von daher setzen wir vorerst unser Vertrauen darein, dass die Ginters, Pleas und Neuhause den Knall auch gehört haben.

Wer von diesen Herren am Samstag in Leipzig in der Startelf stehen wird, ist kaum zu prognostizieren. Geht es nach der Leistung vom vergangenen Wochenende, könnte man alle Feldspieler austauschen. Immerhin sind außer Jordan Beyer alle fit. Man mag fragen, ob das eine gute Nachricht ist, aber wir wollen ja (noch) nicht zynisch werden.

Was lässt sich zum Gegner sagen? Wenig. Findet Adi Hütter. Er räumt ein: Wir wissen nicht was auf uns zukommt. Leipzig hat den Trainer gewechselt, der Neue wird am Samstag erst seit vier Tagen an Bord sein. Domenico Tedesco und RB Leipzig, das ist eine durchaus interessante Kombination, aber mehr als ein möglicher „Neuebeseneffekt“ oder „Alterbesenwegeffekt“ wird bis dahin wohl kaum eingetreten sein.

Was wir beim Trainerwechsel von Red-Bull-Gewächs Jesse Marsch zu Tedesco gelernt haben: Dankbarkeit ist beim sympathischen Traditionsverein aus der Sachsen-Metropole definitiv keine Kategorie. Marschs bisheriger Assistent Achim Beierlorzer übernahm die Mannschaft nach dem Rauswurf des US-Amerikaners, im einzigen Spiel unter seiner Leitung schlug Leipzig ein unterklassiges Team von den britischen Inseln. 2:1 gegen Manchester City, kann man mal machen. Beim englischen Meister stand in diesem letzten Champions-League-Spiel der Österreich-Sachsen für diese Saison mitnichten eine B-Elf auf dem Feld. Zum Dank muss Beierlorzer nun gehen.
Nachfolger Domenico Tedesco hat einen Vertrag bis 2023 unterschrieben. Der zuletzt arbeitslose Ex-Schalke-Trainer vertraut auf andere Assistenten, unter anderem Ex-Nationalspieler Andreas Hinkel. Um zu ahnen, wie der Spielstil, den RB als seine „DNA“ bezeichnet, Gladbacher kennen das noch als „Rosefußball“, mit dem Fußball zusammengeht, den man mit Tedesco in Verbindung bringt, braucht man eine Menge Phantasie. Tedesco ist der Mann, der Schalke 04 mit erstaunlichen Mitteln zum deutschen Vizemeister gemacht hat. „Wenig attraktiv“ ist noch euphemistisch für den Antifußball des erfolgreichsten Schalker Bundesligajahres überhaupt. RB Leipzig dagegen kann man viel vorwerfen, das Zeigen unattraktiven Defensivfußballs gehört bis dato aber nicht dazu. Ob man in Leipzig respektive Fuschl nun zu dem Schluss gekommen ist, dass Gummibärchenbrause-DNA alleine kein Glücksbringer ist und sich nun eine Erbgutveränderung verordnet oder ob sich Tedesco einnorden (bzw. -osten) lässt. Vermutlich wird der zuletzt auch in Moskau durchaus erfolgreiche Deutsch-Italiener aber mit dem bei RB zur Verfügung stehenden „Material“ auch anders verfahren können als seinerzeit in Gelsenkirchen. In Aue war er schließlich durchaus als innovativer Trainer aufgefallen. Wie auch immer der Stempel aussehen wird, den Tedesco dem Projekt Leipzig aufdrücken wird, gegen Borussia wird man es noch nicht sehen können. Aber wer Manchester City schlagen kann, wird sich vor Borussia Mönchengladbach zumindest im Dezember 2021 nicht fürchten.

Christian Spoo: Der Aufwärtstrend, der sich in der zweiten Halbzeit des Freiburg-Spiels beobachten ließ, hält an. Borussia verliert in Leipzig mit 0:5.

Thomas Häcki: Im letzten Jahr fuhr die Borussia nach einer Heimblamage zur Wiedergutmachung nach Leipzig und von da an nahm das Schicksal seinen Lauf. Am Samstag kommt es nach dem 1:3 zu einem Deja vu.

Claus-Dieter Mayer: Nach dem 1:7 in Leipzig fragt sich Adi Hütter warum ihn die Leute in Mönchengladbach auf einmal mit "Friedel" ansprechen. Rainer Bonhof und Max Eberl können zumindest dieses Rätsel auflösen, sind aber ansonsten genauso ratlos wie der Trainer.

Michael Heinen: Leipzig ist nach dem Sieg in der CL und mit neuem Trainer im Aufwind. Sofern Borussia ein frühes Gegentor vermeiden kann, wird es aber nur einen knappen Sieg für die Sachsen geben. Das Böse siegt 1:0.

Uwe Pirl: Der Kick zweier verunsicherter Mannschaften wird kein fußballerischer Leckerbissen, zumal die Vertriebsabteilung auch noch von Umstellungsschmerzen vom Marschfußball zum Tedescofußball geplagt wird. Am Ende kehrt aber der neue Besen Tedesco besser. 2:0 für die Mannschaft, die mit Leipzig nichts zu tun hat.