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In der Unterhaltungsbranche kommt es dieser Tage zu vielen Neuauflagen bekannter Filme, Spiele oder Serien. Anstatt gealterte Stars und Ideen in den x-ten Nachfolger zu schicken, versucht man es dabei häufiger mit einem ‚Reboot‘ – neue Besetzung, andere Schwerpunkte, zeitgemäßes Setting. So ähnlich kam man auch die Aufgabe von Adi Hütter bezeichnen. Borussia brauchte dringend einen Neustart, weil viele Ansätze der letzten Jahre nicht mehr zogen. Problem: Das Personal ist zum großen Teil noch das gleiche. ‚Soft Reboot‘ nennen sie sowas in Hollywood. Beim 1:1 gegen den VfB Stuttgart war wieder zu sehen, wie ein solcher Teil-Wandel gelingen kann – und was noch fehlt, um zu einem echten Hit zu werden.

Erwartungsgemäß schickte Adi Hütter die gleiche Truppe auf den Platz, die gegen Wolfsburg den ersten Sieg in der Autostadt seit 18 Jahren errungen hatte. Und das für langjährige Beobachter immer noch neue 3-4-2-1-System half in der Anfangsphase dabei, den Gegner sehr aktiv zu bespielen und die Angriffe variabel zu gestalten. Neben der Dreierkette und den hochstehenden ‚Schienenspielern‘ Joe Scally und Luca Netz liegt die größte Änderung in der Besetzung des Strafraums. Adi Hütter hat hier ein über Jahre immer wieder auftretendes Problem der Mannschaft nicht nur erkannt, sondern auch konkrete Maßnahmen ergriffen, um in der letzten Zone für mehr Präsenz sorgen. Bei eigenem Angriff sind nun in der Regel mindestens zwei, meistens drei Spieler in der Box zu finden. Das bindet die Abwehrkräfte im Zentrum und sorgt im Umkehrschluss dafür, dass auf den Außen Räume entstehen.

Mehr Präsenz allein sorgt aber nicht automatisch für mehr Gefahr. Und hier lag für Borussia das Problem der Partie: Es fehlte immer wieder an der nötigen Ruhe, manchmal auch Übersicht beim letzten und vorletzten Pass, um zu den ganz großen Torchancen zu kommen. Zwar gewann man speziell in der ersten Hälfte viele Bälle im Mittelfeld, die Umschaltbewegung dauerte allerdings meist zu lange, um die nicht sonderlich tief stehende Deckung des VfB überspielen. Besonders Manu Koné, generell erneut mit einer überaus couragierten Leistung, verpasste mehrfach das schnelle Abspiel und zog das Spiel häufiger in die Breite, worauf sich die ersatzgeschwächten Stuttgarter besser einstellen konnten.

Überhaupt hatte Trainer Materazzo einige kluge Lehren aus den beiden letzten Siegen der Borussia gezogen. Dazu gehörte eine hohe Körperlichkeit von der ersten Minute an – wobei sie sich hier bei Schiedsrichter Brych bedanken konnten, dass die zahlreichen Nickeligkeiten und taktischen Fouls erst gegen Halbzeitende mit der ersten Verwarnung bestraft wurden. Doch Stuttgart ging nicht nur hart zu Sache, sondern auch effektiv – Embolo wurde eng beschattet und immer wieder gedoppelt, Scallys Flankenläufe über rechts unterbunden und auch die Zwischenräume in der eigenen Spielhälfte schnell wieder geschlossen. Im Ergebnis hatte Borussia die meistens Räume über Positionen und Spieler, denen die letzte Torgefahr fehlt. Luca Netz stand häufig auf der linken Seite frei, aber wenn der Ball mal den (zu seltenen) Weg zu ihm fand, fehlte es am letzten Punch. Jordan Beyer hinter ihm wirkte teilweise fast überrascht von den Freiheiten, die er als Abwehrmann und Rechtsfuß über die linke Seite aber nicht ideal ausleben konnte. Auch Ginter fand aus der Dreierkette heraus immer wieder enorme Räume vor, die er zwar für einen Fernschuss und einige Verlagerungen nutzte, aber am Ende kein Ertrag heraussprang. Das Gegenteil beim VfB: Die erste gefährliche Aktion vollendete Verteidiger Mavropanos mit einem unhaltbaren Hieb von der Strafraumgrenze.

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Natürlich stellte das die Verhältnisse gemessen an den Spielanteilen auf den Kopf. In der Folge ließ sich Borussia aber nicht beirren und arbeitete weiter an einem Torerfolg. Und gestand dabei dem Gegner bis zum Ende der Partie nur noch eine echte Großchance zu, die Coulibaly aber freistehend relativ kläglich vergab. Überhaupt steht Borussia defensiv insgesamt stabiler als noch vor Wochen. Und vorne klappte es dann auch: Nach einer Reihe von Halbchancen und Ecken war es dann schließlich Jonas Hofmann, der einen Dropkick aus 16 Metern gekonnt ins rechte untere Toreck bugsierte.

Passend, dass es wieder Hofmann war, dessen Spielweise und Form derzeit perfekt mit dem System und den taktischen Vorstellungen von Adi Hütter zusammenfallen. Für Lars Stindl gilt das noch nicht, er sucht noch nach seiner Rolle und konnte seine Stärken als Verbindungsspieler und Torjäger erneut kaum einbringen. So fehlte es vorne speziell in der zweiten Hälfte an der notwendigen Kreativität und Konsequenz für einen zweiten Treffer. Zwar trieb vor allem der erneut starke Zakaria das Spiel immer wieder an, aber nicht nur bei ihm wurden in der Endzone die entscheidenden Ideen vermisst. Viele lange Bälle auf Embolo, in Wolfsburg noch fast ein Allheilmittel, verpufften. Zum einen hatte der Schweizer nach einer Top-Woche für Gladbach und die Nati nicht seinen besten Tag, wurde aber auch meist von Kempf clever verteidigt, der den direkten Zweikampf mied und geschickt die Laufwege zum Tor blockierte.

Ab der 60. Minute musste die Mannschaft von Adi Hütter dem hohen Aufwand zunehmend Tribut zollen, man lief zwar weiter an, es fehlte jetzt aber spürbar die letzte Frische. Auch die Wechsel von Herrmann und Plea brachten nicht mehr den gewünschten Ertrag, auch wenn der Franzose einmal fast ungestört bis in den Strafraum vordringen konnte. Doch auch Stuttgart etatmäßige Nummer 2 Fabian Bredlow hatte einen starken Tag erwischt. So verdiente sich der VfB gegen Ende den Punkt, weil sie nicht nur weiter mutig und hoch verteidigten, sondern auch selbst zu mehr Ballbesitz kamen. Zwingendes nach vorne blieb zwar bis auf einige Flanken aus, doch konnte man als Corona- und verletzungsgeplagte Mannschaft im unteren Mittelfeld am Ende sehr zufrieden sein.

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Und Borussia? Schlecht war es nicht, was die Truppe bot. Weit entfernt gar von dem trostlosen Geschiebe, dass man bis zum Dortmund-Spiel lange vorgeführt hatte. Die wieder mehr als 40.000 Zuschauern sahen ein interessantes Spiel mit einer Menge guter Ansätze und viel Bewegung, in dem Borussia die letzte Konsequenz zum Sieg fehlte. Es reicht eben noch nicht ganz, um direkt wieder nach oben zu schauen. Aber das ist ok, solange ein Weg erkennbar ist.

„Change Manager“ Adi Hütter hat mit der Mannschaft etwas vor. Vier junge Spieler unter und um die 20 standen in den letzten Wochen auf dem Platz und schlagen sich mehr als beachtlich. Arrivierte wie Stindl und Embolo nehmen neue Rollen ein, an die sie sich gewöhnen müssen. Eine baldige Rückkehr von Thuram und Bensebaini wird auch die qualitative Breite wieder stärken. Denn die Bank ist derzeit nicht ideal besetzt. Nach wie vor hängt die verhagelte Transferperiode dem Kader nach, echte Flügelflitzer und Techniker fehlen. Plea ist ohne Rhythmus und tut sich gegen den Ball schwer, Wolf spielt derzeit keine Rolle. Neuhaus? Der durfte für die letzten Minuten mal wieder ran und muss sich reinbeißen, um wieder wichtig zu werden. Es bleiben somit noch einige offene Fragen zur wahren Leistungsfähigkeit der Mannschaft.

Insgesamt – und das war nach dem grausigen 0:1 in Augsburg noch kaum vorstellbar – ist Borussia aber endlich wieder ein spannendes Projekt, Adi Hütters 'Soft Reboot' ist im vollen Gange. Und mit ein bisschen Geduld wird der am Ende vielleicht sogar zum echten Blockbuster.