stuttgart neu

Wer angesichts fast schon wieder voller Stadien und auch dem Wegfallen vieler anderer Einschränkungen einer Erinnerung bedarf, dass die Welt immer noch unter einer Pandemie leidet, muss sich nur den Kader des VfB Stuttgart anschauen. Nach momentanen Stand fallen gleich 5 Spieler für das Spiel bei der Borussia am Samstagabend COVID-19 bedingt aus. Pikanterweise sind darunter auch Torhüter Florian Müller und sein Stellvertreter Fabian Bredlow, sodass darüber spekuliert wird, der bislang nur Regionalliga erprobte Keeper der zweiten Mannschaft Florian Schock könne zu seinem Debüt kommen. Sollte dieser Fall eintreten, prognostizieren wir hiermit schon mal, dass es mindestens ein Pressorgan geben wird, dass sich das billige Wortspiel „VFB schockt Gladbach“, „Klatsche in Gladbach – Schock für Stuttgart“ oder ähnliches nicht verkneifen kann (im Zweifelsfall machen wir das hier selbst!). Dabei sollte nicht übersehen werden, dass mit Innenverteidiger Waldemar Anton, und den Mittelfeldspielern Massimo und Thommy auch weitere Startelfkandidaten unter den COVID-Ausfällen sind. Da auch die rekonvaleszenten Silas und Kalajdzic weiterhin fehlen, reist da also ein personell arg geschwächter VfB an den Niederrhein an.

Beim VfL sieht die Lager  weniger dramatisch aus. Zwar konnten jetzt auch die Ärzte der algerischen Nationalmannschaft bestätigen, dass Ramy Bensebaini nach seiner Leistenverletzung noch nicht wieder einsatzfähig ist und auch Marcus Thuram und Stefan Lainer werden bis auf weiteres fehlen, aber immerhin gab es diesmal keine Hiobsbotschaften von den Rückkehrern aus den Nationalmannschaften. Im Gegenteil: Breel Embolo konnte mit 2 Toren und einer guten Leistung beim 4:0 Sieg der Schweiz in Litauen seine gute Form der letzten Wochen bestätigen. Nach den Siegen gegen Dortmund und Wolfsburg, gibt es für Adi Hütter also wenig Grund gravierende Veränderungen in der Startelf zu machen, sodass die einstigen Stammspieler Florian Neuhaus und Alassane Plea vermutlich erneut vorerst auf der Bank Platz nehmen müssen. Auch  Christoph Kramer musste zuletzt den Kollegen beim Einlaufen vom Spielfeldrand zusehen, wird aber am Samstag noch nicht mal das tun, da er sich unter der Woche eine schwerere Oberschenkelzerrung zuzog.

War die Stimmung rund um die Borussia nach dem Sieg gegen Dortmund zunächst eher erleichtert, ist mit dem historischen Sieg in Wolfsburg fast schon wieder etwas Euphorie entstanden. Nur noch zwei Punkte Rückstand auf einen internationalen Platz, gegen 5 der 7 Europapokal-Teilnehmer hat man gespielt, die nächsten Gegner in der Liga heißen Stuttgart, Hertha, Bochum, Mainz und Fürth, Champions-League, wir kommen! Es sind nicht nur die Ergebnisse als solche, die Hoffnung gemacht haben, sondern vor allem die Art und Weise wie sie erzielt wurden. Es waren halt nicht zufällige Sahnetage, an denen die Kombinationen auf einmal wie von selbst durch die Reihen des Gegners flutschten. Solche Tage gab es selbst in der grauenvollen Spätphase unter Marco Rose ab und an (Heimspiele gegen Bielefeld und Frankfurt) und sind angesichts der hohen Qualität im Kader auch immer mal wieder zu erwarten. Es waren eher Gladbach-untypische Elemente, die zum Erfolg führten: Intensität, Zweikampfstärke, körperliche Robustheit. Dinge, die man wohl nicht zufälligerweise in den letzten Jahren von Eintracht Frankfurt gewohnt war, was hoffen lässt, dass hier nicht eine kurzfristige Trotzreaktion der Mannschaft vorliegt, sondern man allmählich den Adi Hütter-Effekt erkennt.

So gut das gegen Dortmund und in Wolfsburg auch funktioniert hat, bleibt jedoch eine gewisse Skepsis, denn die nächsten Gegner werden ganz anders gegen die Borussia auftreten und dem VfL erheblich weniger Räume anbieten als es z.B. Wolfsburg tat. Der VfB Stuttgart zählt zwar eigentlich nicht zu den Fussball-Verhinderern in der Bundesliga, wie das Torverhältnis von 56:55 in der Vorsaison zeigt, aber angesichts der Ausgangslage kann man erwarten, dass die Schwaben am Samstag etwas defensiver agieren werden als man es aus der letzten Saison gewohnt ist. Ein einziges Tor schossen die Stuttgarter in drei Spielen bislang auswärts. Selbst beim letzten Auswärtsspiel in Bochum konzentrierte man sich eher aufs Verteidigen (0.29 xGoals laut understat.com!). Das liegt wohl weniger daran, dass Pellegrino Matarazzo auf einmal Gefallen am Catenaccio seiner italienischen Ahnen gefunden hat, sondern ist eher den Umständen geschuldet. Mit den schon erwähnten Silas und Kalajdzic fehlen die beiden Top-Scorer der Vorsaison, nach dem Auftakt-Erfolg gegen Fürth blieb man in 5 Spielen sieglos. Die Unbekümmertheit der Vorsaison ist der berechtigten Angst gewichen, dieses Jahr vielleicht doch mehr mit dem Abstiegskampf zu tun zu haben als man möchte. Insofern ist ein eher vorsichtiger Auftritt der Schwaben zu erwarten, die in der letzten Saison noch in drei Aufeinandertreffen (inkl. DFB-Pokal) auf Augenhöhe mit der Borussia agierten und dem entsprechend auch eine komplett ausgeglichene Bilanz erzielten (2:2,1:2,2:1). Trotz der zahlreichen Ausfälle und des eher holprigen Saisonstarts ist der VfB jedoch nicht zu unterschätzen. Es gilt „Endo gut – alles gut“, d.h. viel wird davon abhängen wie der der japanische Kapitän im Mittelfeld drauf ist, zumindest war das in den letzten Spielen so.

Die Borussia muss zeigen, dass sie nach den beiden eher überraschenden Erfolgen zuletzt auch „Pflichtsieg“ kann. Als bekennender Atheist bzgl. des Glaubens an ein Momentum, kann ich kaum vorschlagen, man müsse dieses nun mitnehmen (mit 4 Punkten aus den letzten beiden Spielen könnte der VfB ja auch ähnliches für sich geltend machen), aber auch ohne irgendwelches psychologisches Geschwurble herbei zu zitieren, geht der VfL als Favorit in diese Partie. Mit einem Sieg könnte man sich in der oberen Tabellenhälfte etablieren, die positive Stimmung rund um das Team von Adi Hütter aufrechterhalten und vielleicht sogar den rheinischen Rivalen aus Köln überholen. Man hofft, dass das als Motivation reichen wird!

Nachtrag: Nach den letzten Erkenntnissen könnte es doch sein, dass der Stuttgarter Ersatztorwart Bredlow bei negativem Testergebnis spielen kann. Eine bittere Aussicht für die Wortspielfreunde in den deutschen Sportredaktionen. Selbst uns fällt nichts ein, das über „bredlowse Kunst“ hinausgeht.

Seitenwahl-Tipps

Michael Heinen: Borussia tut sich schwer gegen wacker kämpfende Schwaben. Am Ende reicht es zu einem 1:0-Heimsieg.

Uwe Pirl: Stuttgart ist eine Mannschaft, die mitspielen will. Das liegt Borussia. Deshalb gewinnen wir auch 3:1.

Christian Spoo: Borussia schafft es nicht, gegen einen nominell schwächeren Gegner die Qualitäten auf den Platz zu bringen, die gegen Dortmund und Wolfsburg spielentscheidend waren. Das sagt einiges über diese Mannschaft, die aber das Glück hat, dass Stuttgart personell geschwächt anreist und nicht so diszipliniert verteidigt wie Augsburg und Union Berlin. Mit etwas Dusel gewinnt Borussia deswegen 1:0.

Thomas Häcki: Die Fohlen halten auch nach der Länderspielpause ihre Giftigkeit bei. Da zudem Breel Embolo einen Lauf hat, gewinnt man gegen die Schwaben mit 4:2

Claus-Dieter Mayer: Gegen unangenehme Stuttgarter kommt die Borussia nicht über ein 1:1 hinaus.