Spannend war es, Borussia in Madrid zuzusehen. Sehr spannend, so spannend, wie in dieser Saison noch zu keinem Zeitpunkt. Mit dem Geschehen auf dem Platz im Estadio Alfredo Di Stéfano hatte das allerdings nur sehr mittelbar zu tun. Das Spiel war im Grunde genommen langweilig. Ein haushoch überlegener Gastgeber spielte die Gäste vom Niederrhein her, wie er wollte und zeigte sich gnädig, indem er recht früh den Fuß vom Gas nahm – ohne selbst zu irgendeinem Zeitpunkt in Gefahr geraten zu sein. Spannend wurde es stattdessen nach dem Abpfiff. Das parallel angepfiffene Spiel der Gruppengegner Inter Mailand und Schachtar Donezk lief noch und es stand genau so, wie es stehen musste, damit Borussia trotz der Niederlage bei Real Madrid ins Achtelfinale einzuziehen: Unentschieden.

Zur Illustration der Gemütslage eingefleischter Borussia-Fans im Allgemeinen und in der gestrigen Situation im Speziellen hier ein paar Auszüge aus der SEITENWAHL-internen Kommunikation, nachdem die Hoffnung auf einen Punkt für Borussia dahin war. Zum Schutz der Beteiligten und als Ratespiel für die Stammleserschaft lassen wir die Urheberschaft der einzelnen Einlassungen offen.

„Vermutlich Eckball 93. ,Torwart nach vorne und dann Konter von Donezk ins leere Tor.“

„Und wenn es bis zur 96. dauert. Inter wird das Tor machen“.

„Klar“.

„Selbstverständlich“.

„Weil wir’s sind, aber das wollte ja vorher keiner hören“.

„In Mailand ist’s weiter langweilig. Aber natürlich wird Inter irgendwann treffen.“

„Es wäre so typisch“.

„Bei Remis reichen doch wohl zwei Minuten Nachspielzeit – 4 Minuten!“

„Herrje“

„Ich stell erstmal die Glasflasche weit weg von mir“.

„Wir sind Borussia“

„Wir wissen doch alle ,was kommt. Und trotzdem hoffen wir immer wieder“.

„Weil wir bescheuert sind“.

„So ist das. Schrödingers Fohlen“.

„Kommt Donezk, wenn Ihr das halten, begnügen wir uns nächstes Mal mit einem 2:0“.

„Es wird doch nicht….“

„Nein, nein“.

„Jaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaa“

Währenddessen schauten die einen die letzten Endes fast achtminütige Nachspielzeit in Mailand, während die anderen auf Borussen starrten, die auf ein Tablet starrten. Selten fühlte man sich den eigenen Spielern so nah. Als „unborussisch“ empfanden nicht wenige, dass an einem solchen Abend die anderen für Borussia spielen, während das eigene Team nicht tragisch, sondern einfach nur verdient verliert.

Kurz zum Spiel selbst, das vermutlich die meisten bei Borussia und in der Anhängerschaft schnell vergessen wollen und werden: Mit einer bemerkenswert offensiven Aufstellung wollte Marco Rose offensichtlich das Zeichen setzen, dass man sich gegen Real Madrid nicht zu verstecken gedachte. Real aber ließ von Beginn an gar nicht zu, dass die Borussen ihr Spiel entfalten konnten. Es gelang nahezu nichts. Madrid schien nicht einmal allzu großen Aufwand betreiben zu müssen, um jegliche Kreativität im Spielaufbau bei den Gladbachern im Keim zu ersticken. Die Borussen im Mittelfeld vom Ball zu trennen, war für die Madrilenen an diesem Tag eine leichte Aufgabe. Dass Rose mangels Alternativen einen halbfitten Nico Elvedi aufstellte, war nicht der einzige Grund für die auch in der Rückwärtsbewegung auftretenden Probleme. Matthias Ginter stand zeitweise scheinbar neben sich. Die Außenverteidiger schafften es kaum, ihre Seite dicht zu bekommen. Von Karim Benzema schien noch niemand im Gladbacher Defensivverbund jemals gehört zu haben – anders ist es nicht zu erklären, wie frei sich der Franzose im Strafraum bewegen konnte. In der zweiten Halbzeit wirkte die Partie wie ein Trainingsspiel. Borussia kann über die fehlende Konsequenz auf Seiten der Spanier froh sein. Ein hungrigerer Gegner hätte einen Kantersieg herausgeschossen. Ein starker Yann Sommer und ein stabiles Torgestänge waren aber auch so nötig, um das Spiel mit einem erträglich wirkenden Resultat zu Ende gehen zu lassen. Man kann nur hoffen, dass der Auftritt in Madrid ähnlich unborussisch war, wie das Glück, dass an so einem Tag mal die anderen für Gladbach spielten und dass es im Achtelfinale nicht erneut eine solche Demonstration der eigenen Unterlegenheit geben wird.

Dass der Einzug in dieses Achtelfinale der Champions-League dennoch verdient ist, wurden Trainer und Spieler nach dem Spiel nicht müde zu betonen. Alle waren sich im Klaren darüber, in Madrid unter dem eigenen Niveau agiert zu haben, erinnerten aber an die Auftritte in der Gruppenphase vor diesem letzten Spieltag. In der Tat sind die Auftritte gegen Madrid und Mailand in der Hinrunde nicht hoch genug zu bewerten, trotz der jeweiligen späten Gegentore. Über die so locker erspielten Siege gegen Donezk darf man sich angesichts der Leistung der Ukrainer gegen die anderen Gegner nurmehr wundern. Erklären lässt sich kaum, warum eine Mannschaft sich von Borussia auseinandernehmen lässt, gegen Real Madrid aber zweimal gewinnt und gegen Inter Mailand den für Borussia entscheidenden Punkt holt. Unter dem Strich zählt: Acht Punkte, Plus sieben Tore, Platz zwei in Gruppe B, Achtelfinale. Über den Millionenregen, der dank dieses Erfolgs auf den Borussia-Park niedergeht, werden sich die Herren Schippers und Eberl freuen. Ob auch die Anhänger sich freuen können, werden wir sehen, wenn wir wisse, ob das Geld allein in die Kompensation der Corona-Schäden fließt oder ob es auch hilft, den einen oder anderen Spieler zum Verbleib in oder zum Wechsel nach Mönchengladbach zu bewegen.