20201113 Titelbild Geldsack

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Sind wir noch Gallier oder schon Römer? Das fragt sich vermutlich mancher Gladbach-Fan angesichts der jüngsten Einlassungen von Vereinsvertretern zu Fragen wie der Verteilung von Fernsehgeldern und der Einführung einer europäischen Superliga. Oder – um mein eigenes mulmiges Gefühl bei der Angelegenheit aufzugreifen – sind wir Gallier, halten uns aber irrtümlich schon für Römer?

Die Verteilung von Fernsehgeldern und auch das sonstige Machtgefüge innerhalb der DFL ist ein komplexer Vorgang. Fast zwangsläufig sind widerstreitende Interessen miteinander in Einklang zu bringen. Ziel der zentralen Vermarktung war es immer – so jedenfalls die offiziellen Verlautbarungen – einerseits den sportlichen Wettbewerb im deutschen Profifußball durch eine gewisse Umverteilung aufrecht zu erhalten und andererseits dem Umstand Rechnung zu tragen, dass die Höhe der Fernsehgelder wesentlich durch die mediale Attraktivität einiger herausgehobener Vereine wie beispielsweise Bayern München oder Borussia Dortmund bestimmt wird. Darüber hinaus spielte in der Diskussion stets auch die Wettbewerbsfähigkeit des „deutschen Fußballs“ (gemeint sind die Teilnehmer an der Champions League und der Europa League) in Europa und damit in den meisten Fällen im Vergleich zu inhabergeführten Kapitalgesellschaften vor allem aus England, Spanien und Italien eine Rolle.

Die derzeitige Verteilung – nachzulesen unter www.fernsehgelder.de – erfolgt im Wege einer relativ komplizierten Berechnung mehrerer Säulen im Wesentlichen auf Basis des sportlichen Erfolgs aus der Vergangenheit. Danach erhält in der laufenden Saison der Tabellenführer FC Bayern München ca. 70 Mio. EUR, Borussia Mönchengladbach auf Platz 5 64 Mio. EUR, der schlechteste Bundesligist Arminia Bielefeld ca. 29 Mio. EUR und der schlechteste Zweitligist – Würzburger Kickers – reichlich 7 Mio. EUR. Auf den ersten Blick scheint das zu bedeuten, dass jedenfalls zwischen Platz 1 und 5 der Tabelle kein wesentlicher Unterschied besteht und sportlicher Wettbewerb nach wie vor möglich ist.

Das ist aber – wie jeder weiß – nur die halbe Wahrheit, wenn überhaupt. Tatsächlich haben sich in den letzten Jahren fast überall in Europa die Mannschaften, die sich regelmäßig für die Champions League qualifizieren, aufgrund der damit verbundenen Zusatzeinnahmen fast vollständig vom territorialen Wettbewerb abgekoppelt. Bayern München erhielt aus diesem Topf in der Saison 19/20 rund 74 Mio. EUR, Borussia Dortmund immerhin noch fast 58 Mio. EUR, RB Leipzig fast 40 Mio. EUR und Bayer Leverkusen immerhin noch ca. 34 Mio. EUR (Quelle jeweils: www.fussball-geld.de). Borussia Mönchengladbach dagegen kam in der Europa League, in der man sich zugegebenermaßen nicht mit Ruhm bekleckert hat (Wolfsberg! Basaksehir!), auf bescheidene 15 Mio. EUR (Quelle: https://www.gladbachlive.de/news/europa-league-gladbach-gehen-millionen-einnahmen-floeten-10404). Müßig ist es hinzuzufügen, dass Champions-League-Teilnehmer natürlich auch andere Marketingerlöse generieren und dass es einige Akteure in der Bundesliga gibt, die sich aufgrund der Finanzierung durch externe Quellen in unterschiedlichem Maße ebenfalls vom sportlichen Abschneiden und der damit verbundenen Schwankung der inländischen TV-Gelder unabhängig gemacht haben oder zu machen versuchen.

Das Ergebnis dieser unheilvollen Entwicklung ist deutlich zu sehen: Sportlicher Wettbewerb findet in der Bundesliga nur noch sehr eingeschränkt statt. Die Bundesliga kennt in den letzten 8 Jahren nur noch einen Meister, zwei, mittlerweile vermutlich drei der Champions-League-Plätze sind fest vergeben. Auch die Etablierung in der Liga ist für Aufsteiger zunehmend schwerer geworden, die letzten, denen das nachhaltig gelang, sind Freiburg, Mainz und Augsburg (wenn wir Hoffenheim und die Getränkevertriebler aufgrund der externen Finanzierung mal rauslassen).  Demgegenüber sind Teams wie Braunschweig, Darmstadt, Düsseldorf, Fürth oder Paderborn in den letzten Jahren spätestens im zweiten Jahr wieder abgestiegen; Arminia Bielefeld droht dasselbe Schicksal, sollten Schalke 04, Mainz 05 und der Verein aus der Stadt mit der Kirche am Bahnhof es nicht doch noch zu einer kompletten Saison ohne Sieg schaffen.

In dieser Situation erzeugen zwei gegenläufige Meldungen Aufmerksamkeit, die den derzeit herrschenden Machtkampf in der Branche ziemlich gut auf den Punkt bringen und die Emotionen hochkochen lassen:

Da sind zum einen die Bestrebungen einer Anzahl europäischer Großvereine zur Gründung einer Superliga, vermutlich in Form einer geschlossenen Gesellschaft, in denen diese Akteure dann ungehindert von irgendwelchen Fußballzwergen in den nationalen Ligen der Vermarktung ihres Tuns nachgehen könnten. Die Champions-League wäre damit vermutlich obsolet. Wir sehen hier das Bestreben der großen Akteure auch noch das letzte Restrisiko auszuschalten, bei sportlichem Scheitern von den Fleischtöpfen abgeschnitten zu werden. Gelänge dies, würde dem europäischen Spitzenfußball der letzte Schein einer Meritokratie genommen und der Schritt zur Oligarchie unwiderruflich vollzogen. Entsprechend fielen die Reaktionen aus – vermutlich liest sich das alles ähnlich wie die Untergangsszenarien, die Anfang der 60er Jahre des letzten Jahrhunderts vor Gründung der Bundesliga kursierten. Tatsächlich bin ich persönlich in Bezug auf die Einführung einer solchen Superliga gespalten. Emotional ist absolut nachvollziehbar, dass für viele Menschen damit das Ende des Fußballs in der bisher vertrauten Form droht: Die wirtschaftliche Schere wird noch mehr auseinandergehen, vertraute Rivalen in andere Ligen verschwinden und der nationale Wettbewerb entwertet. Uneingeschränkt abzulehnen ist die Idee einer geschlossenen Gesellschaft, die parallel zur Bundesliga existieren will. Gelänge es dagegen, für eine solche Veranstaltung eine halbwegs sinnvolle Auf- und Abstiegsregelung zu finden, wäre sie rational betrachtet möglicherweise nichts anderes als die Antwort auf eine zunehmende Europäisierung (oder: Globalisierung) der Öffentlichkeit, also eine Vergrößerung des Handlungsraumes auf die europäische Ebene, eben dasselbe, was die Gründung der Bundesliga 1963 auf nationaler Ebene war.  Die Bundesliga müsste in dem Szenario allerdings damit leben, nur noch zweitklassig zu sein. Hier kommt es dann stark darauf an, ob man das Projekt aus der Sicht von Bayern München oder Borussia Dortmund, also sicherer Teilnehmer, aus der Perspektive von Borussia Mönchengladbach, also eines mit-viel-Glück-vielleicht-mal-Teilnehmers, oder aus der Perspektive von Westfalia Herne anno 63 sieht, also eines Nichtteilnehmers, der durch die Entwicklung unvermeidlich in der Versenkung verschwindet.

Und da ist zum anderen ein Positionspapier einiger Bundesligisten und vieler Zweitligisten, die eine fairere Verteilung der Fernsehgelder innerhalb der Bundesliga anmahnen und – so jedenfalls die Presseveröffentlichungen dazu – vorschlagen, dass in Zukunft 50% der Gelder erfolgsunabhängig auf die Teilnehmer verteilt werden sollen. Wie sich so etwas auswirken würde, ist umstritten. Bayern München und Borussia Dortmund würde das angesichts der sonstigen Zusatzeinnahmen möglicherweise nicht einmal besonders wehtun, beide wären angesichts der sonstigen Zusatzeinnahmen auch mit weniger nationalen Fernsehgeldern Branchenführer. Gleiches gälte vermutlich für die Vertriebsgesellschaft von Red Bull, wo der Gesellschafter des Marketingvehikels eventuelle Einnahmeverluste ausgleichen könnte. So scheint der Einwand nicht ganz unberechtigt, dass die Realisierung einer gleichmäßigeren Verteilung der nationalen Fernsehgelder zwar möglicherweise zu mehr Durchlässigkeit am unteren Ende der Bundesliga führt, die Hackordnung an der Spitze aber eher zementiert und die Vereine am meisten träfe, die sich aus eigener Kraft nach oben gearbeitet haben, also z.B. Borussia Mönchengladbach oder Eintracht Frankfurt.

Borussia Mönchengladbach hat sich denn auch entsprechend positioniert, zum einen als Teilnehmer (und wie teilweise zu lesen war: Mitorganisator) des sogenannten G15-Treffens, zum anderen in Form eines Interviews von Stephan Schippers in der Sport-Bild, in der dieser das Positionspapier als „einen Angriff auf die Vereine hinter Bayern München und Borussia Dortmund“ bezeichnet und indirekt die Pläne für eine Superliga damit rechtfertigt, dass Bayern und Dortmund dorthin „getrieben“ werden könnten, wenn sich eine gleichmäßigere Verteilung der Gelder in der Bundesliga durchsetzen sollte.

Ob das Verhalten der selbsternannten G15 und die Positionierung von Borussia Mönchengladbach in dieser Angelegenheit glücklich ist, darf bezweifelt werden.

Selbstverständlich ist es legitim, den derzeit gültigen Verteilungsschlüssel zu verteidigen. Es ist aber eine genauso legitime Vertretung der eigenen Interessen, wenn einzelne Bundesligisten und eine größere Anzahl von Zweitligisten das anders sehen (von der an der Debatte gar nicht beteiligten dritten Liga ganz zu schweigen …). Vor diesem Hintergrund wirft vor allem der Stil, in dem diese Debatte öffentlich und nonverbal geführt wird, Fragen auf. Ein Treffen aller anderen Bundesligisten ohne die Verfasser des Positionspapiers dient offensichtlich dazu, deren Anliegen öffentlich als derart absurd zu delegitimieren, dass man darüber mit diesen Vereinen noch nicht einmal mehr diskutieren muss. Das ist – insbesondere in einer Zeit, in der überall in der Welt davon die Rede ist, Spaltungen zu überwinden – ein verheerendes Signal. Insbesondere dann, wenn im Anschluss an das Treffen kolportiert wird, man habe ja gar nicht so sehr über TV-Erlöse, sondern über viele andere interessante Themen gesprochen, wenn eine Vergrößerung der Gesprächsrunde davon abhängig gemacht wird, dass das Verschicken von Positionspapieren (und damit Meinungsäußerungen der kleinen Vereine) in Zukunft unterlassen wird und wenn bereits die Äußerung einer von der des Herrn Rummenigge abweichenden Meinung als Bruch eines wie auch immer gearteten Solidarpaktes, als Fehdehandschuh, dargestellt wird, verkommt die am Mittwoch in Frankfurt durchgeführte Veranstaltung zu einer billigen Machtdemonstration, bei der in erster Linie Bayern München in trump-ähnlicher Manier klarstellen möchte, wer in der Bundesliga und beim DFB das Sagen hat.

Borussia Mönchengladbach sollte sich gut überlegen, wo sich der Verein in dieser Debatte verortet. Ungeachtet des steilen Aufstiegs der letzten Jahre sollte der Verein – um einmal einen ehemaligen Trainer zu zitieren – „wissen, wo er herkommt“. Borussia Mönchengladbach ist – wie Max Eberl nicht müde wird zu betonen - in diesem Konzert nicht ein etwas kleinerer großer, sondern eher ein recht groß gewordener kleiner Player, der wirtschaftlich dem Mittelfeld der Liga noch deutlich näher steht als denjenigen, die ein Abo auf die Champions League haben. Deshalb darf man sich auf keinen Fall der Illusion hingeben, dass die individuellen Anliegen von Borussia Mönchengladbach in München oder Dortmund, beim DFB oder gar in Mailand bzw. Madrid irgendjemanden interessieren. Kein Zweifel, dass die Herren aus München und Dortmund keine Scheu haben werden, Borussia Mönchengladbach wieder den ihr gebührenden Platz am Katzentisch zuzuweisen, sobald die Interessen der Protagonisten nicht mehr deckungsgleich sind. Aus diesem Grund braucht Borussia Mönchengladbach – wie wahrscheinlich 14 andere Bundesligisten einschließlich der extern finanzierten, aber nicht (mehr) auf unbegrenzten Geldvorräten sitzenden Konkurrenten aus Leverkusen, Wolfsburg und Hoffenheim – auch in Zukunft die Solidarität der Liga.

Borussias DNA bestand immer darin, der Underdog zu sein. Daraus zieht auch die Anhängerschaft ihr Selbstverständnis. Geschafft hat es der Verein daher immer aus dieser eigenen Kraft heraus, ganz ohne Zaubertrank. Auch wenn der Verein es in den letzten Jahren geschafft hat, nicht mehr das kleine, hoffnungslos unterlegene gallische Dorf zu sein, sondern mehr und mehr Teil des gut situierten Establishments wird, sollte er jedenfalls nicht vergessen, dass auch die Interessen der Gallier in diesem Spiel legitime Interessen sind.