AJ7X2485Seitenwahl 17Aug19Eines der Paradoxa der Corona-Krise ist, dass zwar lange Zeit so gut wie nichts stattfinden durfte, dafür aber doch recht viel passiert ist. Das gilt auch für den Fußball, wo die neue Normalität sich größte Mühe gibt, sich der alten immer mehr anzupassen. Der heimische Liga-Betrieb wurde abgeschlossen, man diskutiert inzwischen weniger ob, sondern eher wie Zuschauer in die Stadien zurückkehren können und in wenigen Wochen werden dann auch die internationalen Wettbewerbe fortgeführt. Da gerät fast in Vergessenheit, wie umstritten der Re-Start der Bundesliga vor 10 Wochen noch war. In ihrer fast zwei Jahrzehnte andauernden Geschichte hatte die DFL wohl kaum eine schwierigere Aufgabe zu lösen. Primär ging es natürlich erstmal darum, eine Strategie für einen Spielbetrieb zu entwickeln, der weder Spieler, Umfeld noch die Restbevölkerung gesundheitlich gefährden würde. Gleichzeitig musste man sich aber mit Gegenwind aus sehr unterschiedlichen Richtungen beschäftigen. Zum einen gab es die Entrüstung, warum denn der Fußball eine Ausnahme bilden sollte, wo die sonstige Unterhaltungsindustrie (Gastronomie, Kultur, etc.) wie auch große Teile der Wirtschaft stillgelegt waren, und ob denn überhaupt jemand Fußball gucken wolle, während die Nachrichten überfüllte Krankenhäuser quer durch Europa zeigten. Ganz andere Bedenken gab es aus dem harten Kern der Fanszene, wo man befürchtete, die geplanten Geisterspiele seien nur der erste Schritt zur Entmachtung der Ultras: Hat man erstmal etabliert, dass Fußball auch ohne Fans prima funktioniert, dann würde man bestimmt im nächsten Schritt auch nur die wieder hereinlassen, die brav alles abklatschen und höchstens mal „Hopp, Du Impfstoff-Retter!“ skandieren.

Wie sehr sich die Diskussion dann geändert hat, sieht man daran, dass im März noch viele Frankreich und die Niederlande dafür lobten, die Lage realistisch einzuschätzen und mit der Einstellung des Ligabetriebs das einzig Richtige zu machen. Mittlerweile mehren sich die Stimmen, dass man in diesen Ländern mit einer voreiligen Entscheidung dem Fußball großen Schaden zugefügt habe. Auch SEITENWAHL hat damals Stellung bezogen und das durchaus mit kontroversen Ansichten in den eigenen Reihen. Ex-Redakteur Joachim Schwerin forderte am 26. März gekonnt polemisch die baldige Rückkehr zum Spielbetrieb, während Uwe Pirl am nächsten Tag die Gegenposition einnahm, zur Vorsicht aufrief und Schwerin vorwarf, dem Fußball zu viel Bedeutung zuzumessen. Am 3. Mai, also knapp 2 Wochen vor dem tatsächlichen Re-Start, gab die SW-Redaktion unter dem Titel „The show must go on?“ noch einmal persönliche Stellungnahmen zu dem Thema ab. Nun wissen wir sehr gut, dass Experten auch mit den dämlichsten Einschätzungen durchkommen, weil meist kein Mensch später ihre vergangenen Prognosen noch einmal überprüft. Gott sei Dank herrschen hier beim ältesten Internet-Fan-Portal der Borussia aber höhere Standards, sodass alle Redakteure noch einmal kommentieren dürfen (höre ich müssen?), wie sie den Re-Start und ihre ursprüngliche Meinung dazu im Nachhinein sehen und auch wie sich das auf die Beurteilung der nächsten Schritte auswirkt.

Christian Spoo: Es ist gut gegangen - zumindest, was die Gesundheit der Spieler und aller, die am Abwickeln der Saison vor Ort beteiligt waren, angeht. Das ist die beste Nachricht nach dem Ende der Bundesliga-Saison. Das Hygiene-Konzept der DFL hat funktioniert, vorausgesetzt man geht nicht davon aus, dass in erster Linie glücklicher Zufall eine Corona-Welle innerhalb des Systems verhindert hat. Dass man ein solches Hygiene-Konzept auch weiterhin brauchen wird und dass man dabei nicht im Geringsten nachlassen sollte, zeigt das Beispiel Schweiz, wo die halbe Mannschaft des FC Zürich mit Infektion aus dem Spiel genommen wurde. Dass das Interesse am Produkt Fußball nachlassen würde, hatte ich vor dem Re-Start der Liga für möglich gehalten. Ist es so gekommen? Ich weiß es nicht. Zuschauerzahlen, an denen man das messen könnte, gibt es naturgemäß nicht. Von zahllosen zusätzlichen Sky- oder DAZN-Abonnenten war nichts zu lesen und zu hören, aber wer sich für die Bundesliga interessiert, dürfte ohnehin schon ein Abo gehabt haben. Allein, dass viele, die dem Phänomen "Fußball unter Corona-Bedingungen" skeptisch entgegenstanden sich am Ende doch darauf eingelassen haben, deutet darauf hin, dass die Skepsis meinerseits vielleicht zu groß war. Dass Geisterspiele nicht "the real deal" sind, bestreitet niemand, der dem Fußball emotional verbunden ist. Die meisten können sich ganz offenbar aber darauf einigen, dass sie besser sind, als nichts. Ich persönlich hatte vor Wiederaufnahme des Spielbetriebs keine Lust auf Bundesliga, habe die Spiele nicht sonderlich genossen und fühlte nach der Niederlage gegen Leverkusen - die ich wie viele für das Ende der borussischen Champions-League-Ambitionen hielt - fast nichts. Umso erstaunlicher, dass es mich dann zum Ende hin doch noch ein bisschen gepackt hat. Am letzten Spieltag verspürte ich erstmals wieder Nervosität einige Stunden vor dem Anpfiff und Herzklopfen während des Spiels. Am Ende stand Freude über das Erreichen des vierten Platzes, gleichzeitig getrübt von der Vorstellung, wie es wäre, den Sieg gegen Hertha im Block und später mit diversen Litern frisch gezapften Altbiers zu feiern. Unterm Strich aber tatsächlich: Besser als nichts. Ob es schlau ist, die Rückkehr der Zuschauer schon zum Start der neuen Saison anzupeilen, weiß ich nicht. Wohl ist mir bei der Idee nicht und ich werde sicher nicht zu denen gehören, die sich um die vermutlich knapperen Plätze im Stadion bewerben werden. Die Diskussion um dir Rückkehr zeigt eins definitiv: Der Fußball möchte dahin zurück, wo er vor der Krise war. Die Vorstellung, dass der Fußball aus Corona lernt und danach nicht zum turbokapitalistischen Alltagsgeschäft zurückkehrt, hatte ich freilich ohnehin nie. Es wird, sobald es möglich ist, alles sein wie vorher. Und das ist - am langen Ende, wie wir Borussen zu sagen gelernt haben - die schlechte Nachricht.

Thomas Häcki: Sportlich gesehen kann man vor den Fohlen nur den Hut ziehen. Den knappen Vorsprung auf den Verfolger aus Leverkusen vor Zwangspause konnte man nach der Wiederaufnahme des Spielbetriebs halten und sich so den Platz an der Champions.League-Sonne sichern. Souverän? Sicherlich nicht immer. Verdient? Ohne jeden Zweifel. Wer neben den viertmeisten Punkten auch die viertmeisten Tore, viertwenigstens Gegentore, viertwenigsten Niederlagen, die viertbeste Tordifferenz sowie die drittmeisten Siege aufweist, der hat am Ende den vierten Platz ganz offensichtlich mehr als verdient. Platz 5 in der Nachpausentabelle ist aller Ehren wert! Was dieses Team auszeichnet sind seine Nehmerqualitäten. Rückschläge führen nicht wie so oft in der Vergangenheit zu Negativläufen, sondern werden offensiv beantwortet. Das Erreichen der Champions League ist somit weniger das Ergebnis der versammelten individuellen Klasse sonder vielmehr das Produkt einer echten Mannschaftsleistung. Ich gebe zu, dass ich selbst daran nicht mehr geglaubt habe. Die Niederlage in Freiburg, als man einen Gegner dominierte, um dann mit leeren Händen die Heimreise anzutreten, war ein Stich ins Borussenherz. Danach wollte ich mir keine Partie mehr anschauen, das Bayernspiel habe ich dem schönen Wetter geopfert. Erst der beherzte Auftritt gegen Wolfsburg hat wieder sowas wie Begeisterung entfacht. Wenn man mit deutlich über 60 Punkten Fünter würde, dann wäre es eher ein Zeichen der Stärke der anderen und nicht der eigenen Schwäche. Am Ende steht pure Begeisterung.

Dass mich diese zwischenzeitlich verlassen hat, liegt allerdings auch am Ausschluss der Zuschauer. Fußball ohne Fans ist wie Whisky aus der Dose. Kann man trinken, aber nicht genießen. Fairerweise muss man aber zugeben, dass alles andere definitiv nicht durchsetzungsfähig war. In einer von Hysterie geprägten Debatte um ein Virus wäre ein Sonderweg Bundesliga gesellschaftlich schlichtweg untragbar gewesen. Dies zeigt sich schon an den teilweise lächerlichen Diskussion um jubelnde Spieler oder Spielerfrauen auf der Tribüne. Die DFL war hier sicherlich auch getrieben von den Versuchen der Gesundheitsbehörden, Sicherheit zu simulieren, wo es keine geben kann. Unter diesen schwierigen Rahmenbedingungen muss man daher auch der DFL Respekt zollen. Ein fader Beigeschmack bleibt allerdings bei der Verteilung der wirtschaftlichen Risiken. Die wirtschaftliche Not der Vereine bei ausbleibenden Fernsehgeldern hat die Wiederaufnahme ja erst alternativlos werden lassen. Die Fernsehgelder konnten gerettet werden, auf den Kosten des Ausschlusses der Fan bleiben die Vereine hingegen weitestgehend sitzen, und zwar in einem deutlich unterschiedlichen Ausmaß. Dies wird die Schere zwischen den reichen und armen Vereinen zwangsläufig weiter auseinandergehen lassen. Eine Diskussion um die Neuverteilung der Gelder und financial Fairplay wäre somit wünschenswert. Diese Chance wurde allerdings verpasst.

Claus-Dieter Mayer:Die Herren bei der DFL werden von sich selbst höchst begeistert sein. Mit kleineren Ausnahmen (Kalou, Dresden, Heiko Herrlichs Handcreme-Krise…) hat es prima geklappt. Ja, hier und da mag wer geschrieben haben, der Ruf des Fußballs sei ruiniert, weil jetzt jeder wisse, dass es nur um Geld geht, aber das ist in einer kapitalistischen Gesellschaft ein ziemlich naiver Vorwurf. Der Inhaber des italienischen Restaurants um die Ecke hat seinen Laden auch nicht deswegen zugemacht, weil er so große Sorgen um die Gesundheit seiner Kundschaft hatte und er hat ihn auch nicht wiedereröffnet um altruistisch das Menschenrecht auf Pizza zu schützen. Aber bevor jetzt jemand aber Christian Seifert als Gesundheitsminister fordert, sollte man sich bewusstmachen, dass das Hygiene-Konzept der DFL im Wesentlichen nur eine PR-Maßnahme war nach dem Motto: „Schaut her, wie vorsichtig wir sind! Masken, Abstand …fast wie bei normalen Menschen!“. Man darf davon ausgehen, dass die peniblen Regeln in der Kabine, auf dem Trainingsplatz im Hotel vielfach nicht eingehalten wurden, nur waren die meisten nicht so dumm, Videos davon zu posten. Dass es keinen Corona-Ausbruch in der Liga gab, lag weniger an den Hygiene-Maßnahmen, sondern daran, dass die Prävalenz des Virus Mitte Mai in Deutschland schon wieder so niedrig war, dass das Risiko dafür überschaubar war. Etwas Glück ist beim Fußball halt auch immer nötig. Ähnlichen Dusel hatte man auch was die Akzeptanz der Bevölkerung anging. Der ursprüngliche kolportierte Widerstand wurde sicher dadurch verringert, dass die Menschen selbst wieder in Biergärten und Geschäfte durften.

Rein sportlich war es eine gelungene Aktion. Die Spiele waren insgesamt auf erstaunlich hohem Niveau. Dortmund, Leverkusen und Fortuna Düsseldorf können kaum Corona für ihr Abschneiden verantwortlich machen, sondern haben es - wie sich das gehört - auf dem Platz verbaselt, was erheblich befriedigender ist als Meisterschaft und Abstieg per Gerichtsentscheid. Was das persönliche Erlebnis angeht, so muss ich sagen, dass Geisterspiele natürlich nicht dasselbe sind, ich aber an den Borussia-Spielen (und sonst habe ich mir wenig angeschaut) schon Freude hatte und das Spiel als solches genießen konnte. Schwieriger wird es da schon bei Spielen, die eigentlich ein Event sein sollten, wie z.B. ein Derby oder Endspiel. Kein Wunder, dass das DFB-Pokalfinale die niedrigsten Einschaltquoten seit Jahren hatte.

Interessant ist, wie es weitergeht. Die Möglichkeit, dass im Herbst Zuschauer teilweise wieder zugelassen sind, dann der Impfstoff oder ein anderes Wunder geschieht und 2021 alles wieder ganz wie früher sein wird, besteht, aber verlassen sollte man sich auf solch ein Best-Case-Szenario vermutlich nicht. Die Krise hat gezeigt, dass, auch wenn das Spiel als solches unverwüstlich sein mag, der Fußball als Geld-spuckendendes Massenphänomen erheblich verwundbarer ist, als man das vielleicht gedacht hätte (das gilt für viele andere Branchen natürlich ähnlich, sofern es nicht gerade Hersteller von Gesichtsmasken oder Desinfektionsmitteln sind). So mancher Geschäftsführer oder Sportdirektor wird in der näheren Zukunft vielleicht weniger auf Tabellenplätze oder Transfersummen schauen als auf r-Werte  und Neuigkeiten von klinischen Studien.

Mike Lukanz: In der SEITENWAHL-Redaktion pflegen wir einen Gruppenchat via WhatsApp (ja, auch alte Männer nutzen das noch). Dort ging es zu Beginn der Corona-Pandemie zwischenzeitlich hoch her, weil wir wie alle anderen Bürger dieses Landes - die Politik eingeschlossen - mit dieser neuen Situation umgehen mussten und schlicht überfordert waren. Dass schon wir intern teils erheblich unterschiedliche Auffassungen von Maßnahmen, Interpretationen von R-Werten, Sterblichkeitsraten oder neuesten Aussagen von Professor Drosten oder Karl "Dr. Doom" Lauterbach hatten, zeigt mir rückblickend nur, wie komplex diese Situation für jeden Einzelnen war und wahrscheinlich noch immer ist. Das Wort "rückblickend" könnte hier freilich implizieren, dass wir die Pandemie überstanden haben. Haben wir natürlich nicht, auch nicht intellektuell oder argumentativ. Noch immer tobt in Familien, in WhatsApp-Gruppen oder sozialen Medien der gleiche Kampf zwischen denen, die inzwischen versuchen, einen normalen Alltag zu erleben und denen, die sich noch immer maßlos darüber echauffieren, wenn sie am Ufer eines Sees mehr als zehn Leute nebeneinander ohne Maske sitzend sehen. Wie oft habe ich in den vergangenen Wochen Menschen "Die Quittung sehen wir dann in zwei Wochen!"  unken gehört - eine Prognose, die trotz Black-Lives-Matter-Demonstrationen mit zehntausenden Teilnehmern oder leichtsinnigen Rave-Parties auf der Spree in Berlin dann doch nie eingetreten ist. Zum Glück. Es ist nach wie vor eine trügerische Situation. Allerdings, und diese Bemerkung sei mir erlaubt, empfinde ich dieses Land und seine Bürger als sehr viel verantwortungsvoller und disziplinierter, als dies durch hysterische Reaktionen oder Medienberichte bisweilen den Anschein hat. Wir haben gelernt, damit umzugehen - und rücksichtslose Idioten gibt es leider immer.

Womit wir beim Fußball und der Bundesliga sind. Ich war in der Debatte um die Wiedereröffnung des Spielbetriebs überraschend emotionslos. Was daran lag, dass ich dem Fußball allgemein relativ emotionslos gegenüberstand. Einfach, weil es ganz offensichtlich andere, wichtigere Probleme gab als die Frage, ob meine Lieblingsmannschaft am Samstagnachmittag gegen den Ball treten darf. Das Fazit fällt dennoch positiv auf. Die leeren Ränge konnte ich nach ein, zwei Spielen Gewöhnung ausblenden, gegen Ende war ich wieder mit ganzer Sache dabei und habe mich gefreut wie ein kleines Kind, dass sich Borussia in dieser tollen Saison dann doch mit dem vierten Platz belohnen konnte. Selbst aus Leverkusen kamen nach Abpfiff des 34. Spieltags anerkennende Worte Richtung Niederrhein. Für Marco Rose ist es ein überragender Erfolg, die Mannschaft hat uns allen sehr viel Freude (und erneut ein paar graue Haare mehr) bereitet. Das Mitfiebern hat mir ganz persönlich dann irgendwie doch geholfen, ein bisschen Alltag und Gewohntes  nach der wochenlange Schockstarre und Ungewissheit zu erleben.

Die Frage, ob die DFL einige Fälle gegebenenfalls unter den Tisch hat fallen lassen oder nicht, ist müßig und hier nicht entscheidend. Hinter den Kulissen, und das ist reine Mutmaßung, wird es Gespräche zwischen der DFL und der Politik gegeben haben. Und Populisten wie Laschet und Söder haben schnell verstanden, welche sinnstiftende Bedeutung der Fußball haben kann. Auch der Rechteinhaber Sky hatte sein ganz eigenes Interesse, die Übertragung wieder und weiter zu gewährleisten, stand doch gleichzeitig die Ausschreibung der Rechte für die kommenden Jahre auf dem Spiel. Das erklärt die teils krude wirkenden Maßnahmen von Sky, das mit gefühlt zehn Meter Abstand, Masken vorm Mund und Schutzfolie übern Mikro Interviews führte oder seine Kommentatoren mit Maske vorm Mund Einschätzungen geben ließ, während die Menschen in diesem Land schon längst wieder in Biergärten nebeneinander sitzen durften. Damit wir uns nicht falsch verstehen: zu viel Vorsicht ist immer besser als zu wenig, insofern ist hiermit kein Vorwurf oder gar Häme verbunden.

Das Konzept der DFL ist - vielleicht mit ein bisschen Glück - aufgegangen. Das gilt es anzuerkennen. Wir wissen alle nicht, was in 2021 ist, ob es einen Impfstoff gibt oder doch die "zweite Welle", und das sollten wir uns einfach eingestehen. Und vielleicht noch Max Eberl zitieren: "Wir denken von Spiel zu Spiel." Vielleicht war dieser Satz nie wahrer als jetzt.  

Uwe Pirl:In meinem als Antwort auf Joachim Schwerins Artikel „Spaß muss sein“ verfassten Beitrag „Wie wichtig ist Fußball?“ habe ich Ende März eine Fortsetzung der Saison eher skeptisch gesehen und im Spannungsfeld zwischen der grassierenden Pandemie und den finanziellen Nöten der Vereine nur unter bestimmten Voraussetzungen für sinnvoll gehalten: „…, bekommen wir die Pandemie in den Griff, sind wir vielleicht an einem Punkt wie China oder Südkorea jetzt, wird niemand etwas dagegen einwenden, sich wieder mit Spaß dem Fußball zuzuwenden.“ Im Nachhinein muss ich DFL und DFB gratulieren zum Wiederanpfiff der Saison. Vermutlich war Mitte Mai exakt der Zeitpunkt, an dem einerseits die Pandemie hinreichend im Griff erschien und andererseits das Bedürfnis des Publikums nach Zerstreuung bereits wieder wuchs. Zudem hat trotz des nicht besonders schlauen Zahnpastakaufs des Herrn Husefack das Hygienekonzept erstaunlich gut funktioniert, so dass erfreulicherweise die Saison – mit Ausnahme des Falls Dynamo Dresden – ohne Wettbewerbsverzerrungen zu Ende gespielt werden konnte.

Natürlich sind Geisterspiele nicht der Weisheit letzter Schluss – interessant war die Erfahrung trotzdem. Hatte ich am Anfang das Gefühl, die Atmosphäre gleiche dem Kick zweier Thekenmannschaften, den ich regelmäßig samstags beim Dehnen vor und nach dem Laufen sehen kann, fand ich es zunehmend spannend, einmal all die hereingerufenen Anweisungen verstehen zu können (bzw. das babylonische Sprachengewirr zu registrieren, in dem dies manchmal erfolgt). Und schließlich hat mich – wie kann es anders sein – am Ende auch die Spannung bzgl. der Qualifikation für die Champions League gepackt.

Entlarvend war in dem Zusammenhang, auch welch tönernen Füßen das Geschäftsmodell manches Konkurrenzvereins steht. Für skandalös halte ich den Versuch, eine selbstverschuldete Finanzkrise durch eine Landesbürgschaft lösen zu wollen (aber gut, wenn der Ex-Aufsichtsratsvorsitzender Staatshilfen für die selbst verursachte Betriebsunterbrechung will, verhält man sich ja eigentlich nur konsequent). Verwundert hat mich, dass die Politik darauf eingeht – gerade in einem Land wie NRW mit seinen ausgeprägten lokalen Rivalitäten erscheint das mit Blick auf eine angestrebte Wiederwahl nicht besonders schlau.

Die Hoffnung, dass der Profifußball aufgrund des Lockdowns seine Strukturen und sein wirtschaftliches Gebaren überdenkt, habe ich aber ohnehin nicht, erst recht nicht mehr nach dem Urteil des CAS im Fall Manchester City. Eher halte ich es für möglich, dass interessierte Kreise unter dem Vorwand hygienischer Notwendigkeiten einen neuen Anlauf zur dauerhaften Abschaffung der Stehplätze und/oder zur Einführung personalisierter Tickets unternehmen werden. Es bleiben also spannende Zeiten.

Michael Heinen: Es hätt noch immer jot jejange. Selten behalten Kölner mit irgendetwas Recht, aber bezogen auf den Bundesliga-Re-Start in Zeiten von Corona passt dieser dritte Paragraph des Kölsches Grundgesetzes grundsätzlich ganz gut. Was aber nicht bedeutet, dass es nicht auch hätte schiefgehen können. Und trotz des insgesamt relativ erfolgreichen Verlaufs gibt es ein paar negative Punkte, die in der öffentlichen Gesamtbetrachtung etwas kurz kommen: Dynamo Dresden hatte vor der Corona-Pause einen guten Lauf, wurde dann aber durch die zwischenzeitliche Quarantäne und den anschließenden Zeitdruck im Abstiegskampf erheblich benachteiligt. Ein fairer Wettbewerb war nicht nur dort kaum gegeben. Wäre dies den Bayern oder dem BVB passiert, würde die Öffentlichkeit heute ganz anders über den "Erfolg" des Re-Starts urteilen.

Ferner hat dieser vielen Menschen das ersehnte Gefühl von "Normalität" ein Stück weit zu sehr zurückgebracht und damit zu einer abnehmenden Vorsicht z. B. beim Tragen von Masken und anderen Hygienevorschriften beigetragen. Zu guter letzt war absehbar, dass durch diverse Feierlichkeiten - ob beim Aufstieg der Bielefelder Arminia oder beim Klassenerhalt in Bremen und Hamburg - Menschenmassen unvermeidlich waren, die das Risiko der viel beschworenen "zweiten Welle" deutlich erhöht haben. Man stelle sich vor - im best case - Borussia oder - im worst case - der BVB wären Deutscher Meister geworden und es hätte tatsächlich Fans gegeben, die diesen Titel hätten feiern können - vermutlich zu Hunderttausenden.

Wir befinden uns noch immer in einer Pandemie, von der keiner so recht weiß, wie sich weiter entwickeln wird. Deutschland hat in den letzten Monaten vieles richtig gemacht - auch der Fußball, der trotz aller Kalous und Herrlichs ein sehr professionell-überzeugendes Hygienekonzept auf- und durchgezogen hat. In anderen Ländern sieht die Lage aber ganz anders aus und es wäre naiv zu glauben, wir wären vor solchen Entwicklungen per se immun. Von daher würde ich mir nicht anmaßen bewerten zu wollen, ob die Vollendung der Bundesliga-Saison aus epidemiologischer Sicht ein Erfolg gewesen ist. Insgesamt können wir uns aber glücklich schätzen, dass wir die Saison zu einem nicht nur für Borussia erfreulichen Ende gebracht haben und die Pandemie in Deutschland trotzdem weiterhin in überschaubaren Bahnen verläuft. Es ist uns allen zu wünschen, dass dies in den kommenden Monaten so bleibt und sich somit im Laufe des nächsten Jahres nicht nur in der Bundesliga wieder so etwas wie echte Normalität mit echten Fans in echten Stadien einstellt. Am besten schon zum Start der Champions-League-Saison mit einem Heimspiel gegen den FC Liverpool vor 46.291 Zuschauern.