„Werbung für den Fußball“, so werden Spiele wie das der Borussia gegen den SC Freiburg im Nachhinein gerne beschrieben. Trainer Marco Rose nahm nach dem Spiel die Perspektive des neutralen Beobachters ein, der Partien wie die im Borussia-Park so schätze. Und in der Tat: Das Spiel hatte viele Elemente, die den Sport Fußball für Zuschauer attraktiv machen: Kampf und Leidenschaft auf beiden Seiten, zeitweise hohes Tempo, zahlreiche Torszenen und sehenswerte Spielzüge. Nun sind allerdings weder SEITENWAHL noch der überwiegende Teil der Leserschaft neutrale Beobachter, wenn ein Spiel wie das gestrige attraktiv aber unter dem Strich erfolglos endet, ist die Befindlichkeit in der Regel eher gedämpft. Nach dem 4:2-Sieg dagegen, mit dem Borussia die Tabellenspitze der Fußball-Bundesliga verteidigt, ist alles eitel Freude. Fast schon optimistisch sehen viele Fans der kommenden großen Aufgabe entgegen. Die Kurve stiftete das Team nach dem Schlusspfiff jedenfalls zu übergriffigem Verhalten gegenüber dem nächsten Gegner an. Der Beinkleid-Klassiker erklang von den Rängen – ein auch in Zeiten des Ultra-Singsangs unkaputtbares Stück Fußball-Folklore.

Was sind die Erkenntnisse aus dem hochattraktiven, spannenden, teilweise etwas wilden Spitzenspiel des Ersten gegen den bis dato Vierten der Bundesliga? Schon vor dem Spiel fiel auf: Die Breite des Kaders. Borussias Bank sah im Grunde aus, wie eine potenzielle Startaufstellung, bei der zwei Spieler vergessen wurden. Dabei fiel mit Matthias Ginter sogar ein Leistungsträger verletzt aus. Spieler wie Stindl, Plea oder Kramer auf die Bank setzen zu können, ohne Qualität einzubüßen, ist ein Luxus. Das tun zu können, ohne Knatsch auszulösen, spricht für die robuste Konstitution, die das Gesamtgebilde Borussia im Moment auszeichnet – was natürlich durch den anhaltenden sportlichen Erfolg enorm begünstigt wird. Die hervorragend besetzte Bank gibt dem Trainer die Möglichkeit, bei Bedarf Spieler einzuwechseln, die das Spiel je nach Bedarf wirklich ankurbeln oder beruhigen. Zu sehen war das gegen Freiburg am Beispiel Christoph Kramers, der in jeder Hinsicht eine Bereicherung war, hinten für Ruhe und vorne für noch mehr Aggressivität sorgte. Sein entschlossenes Anlaufen war die Basis des spielentscheidenden vierten Tores.

Die Offensivkräfte der Borussia harmonieren zur Zeit, ganz egal wen Marco Rose auf den Platz schickt. Das Trio Thuram, Embolo und Herrmann verstand sich ausgezeichnet, machte alle Tore und jeder der drei Angreifer hatte die Möglichkeit, noch mehr Treffer beizusteuern. Embolos Hauchdünnabseitstreffer, bei dem selbst mit kalibrierter Linie ein kleines Fragezeichen bleibt, Thurams Pfostenschuss, Herrmanns Großchance gegen Flekken und Embolos etwas zu platziert getretener Strafstoß seien genannt, ohne Anspruch auf Vollständigkeit. Und auch der kurz vor Schluss für den sichtlich auf der Felge laufenden Thuram eingewechselte Jonas Hofmann hatte binnen kürzester Zeit noch zwei Großchancen, um aus dem überzeugenden einen Kantersieg zu machen. Wenn es vorne läuft, dann läuft es. Das Freiburger Spiel, das die Betonung auf „Spiel“ setzt, kam Borussia dabei entgegen. Die eher hoch stehende Abwehr ließ immer wieder kleine Lücken, die die Gladbacher aufmerksam und effizient nutzten. Von der Ratlosigkeit, die bei Union Berlin und auch in Wolfsberg zeitweise zu bestaunen war, war gegen Freiburg nichts zu sehen. Selbst die Tatsache, dass mit Denis Zakaria der in der Regel taktgebende Mann im Mittelfeld einen eher grauen Tag erwischt hatte, bremste den Gladbacher Fußball nicht entscheidend.

Schon zu Beginn der Saison, als wir alle inklusive der Mannschaft mit dem sogenannten „Rose-Fußball“ noch fremdelten, merkten wir an, dass künftig wohl häufiger mal vier Tore nötig sein würden, um Spiele zu gewinnen. Borussia bleibt hinten anfällig, das bringt die offensive Gesamtausrichtung des System mit sich. Chancen aus dem Spiel ließ die Mannschaft zwar kaum zu, die einzige große hätte das Spiel allerdings kippen lassen können: Die unfreiwillige Rettungstat von Ramy Bensebaini auf der Linie Mitte der zweiten Halbzeit verhinderte den Freiburger Ausgleich. Andererseits verursachten die Borussen wie schon gegen Wolfsberg zu häufig Standards in gefährlicher Position. Das wüste Einsteigen von Florian Neuhaus vor dem 1:1 war unnötig. Das Foul von Tony Jantschke vor dem 2:3 dagegen war eine Rettungstat. Ein katastrophaler Fehler im Aufbauspiel hatte den erneut zuverlässig agierenden Verteidiger in eine unmögliche Situation gebracht. Hätte er nicht gefoult, Sallai wäre durch gewesen. Dass Borussia die Standards diesmal nicht vernünftig verteidigen konnte, sollte und wird das Trainerteam sicher noch einmal analysieren. Beim 1:1 gibt es einen Freispruch: Es war der grenzwertige Freiburger Trick mit der zweiten Mauer, vor allem aber die Tatsache dass Schiedsrichter Felix Zwayer die Borussenmauer einen guten Meter weiter vom Ball weg nötigte, als vorgeschrieben und natürlich der wirklich exzellente Schuss von Jonathan Schmid. Beim zweiten Tor war der Ball erneut sehr gut getreten, dass Höler so wenig bedrängt hochsteigen kann, sollte aber zu verhindern gewesen sein. Es war die einzige Situation, in der man sich einen weiteren Verteidiger mit Gardemaß – also Matthias Ginter – hinten drin gewünscht hätte. Klar ist: Wenn das Team ein Problem hat, Standards zu verteidigen, sollte das Augenmerk darauf liegen, solche Situationen künftig noch seltener entstehen zu lassen. Luftikus-Pässe wie vor der Freistoß-Situation zum 2:3 gehören sicher nicht zur DNA des Rose-Fußballs.

Das allerdings ist natürlich nur eine Fußnote beim Fazit des schönen Spiels vom Sonntag Nachmittag. Borussia beweist große Qualität, hat den Rückschlag von Berlin gut weggesteckt. Zunächst schaffte man es, sich in Wolfsberg durchzuwurschteln, um dann gegen Freiburg wieder die fast schon gewohnte Klasse an den Tag zu legen. Die Mannschaft steht zu Recht auf Tabellenplatz eins. Vor dem Spiel gegen Bayern pusht so ein Spiel das Selbstbewusstsein auf das nötige Maß, so dass wir in der Tat mit vorsichtigem Optimismus dem Klassiker, der diesmal wieder ein echtes Spitzenspiel ist, entgegen blicken können.

Die Einschätzung der anderen SEITENWAHL-Redakteure

Mike Lukanz: Das 4:2 hat drei Dinge bewirkt bzw. gezeigt: 1. Es war nach den zähen Spielen gegen Union und Wolfsberg wichtig, den Zuschauern wieder etwas Mitreißendes zu bieten (was auch ein Verdienst der guten Freiburger war). 2. Die Tiefe im Kader, vor allem im Sturm, ist gleichsam bemerkenswert wie wichtig. Plea und Stindl spielen nicht, also dreht Embolo auf. Und 3. Wir alle, vielleicht auch ganz Deutschland, bekommen nächste Woche ein richtiges Kracherspiel gegen die Bayern.

Thomas Häcki: Unfassbar ist, dass Gladbach Rückschläge derzeit schlicht und einfach ignoriert, marschiert und das Tor macht. Embolo drückte der zweiten Halbzeit den Stempel auf und machte den Unterschied. Aber bitte lieber Breel… schieß nie wieder einen Elfmeter.

Michael Heinen: Nach der Niederlage in Berlin und dem dürftigen Auftritt in Wolfsberg war das 4:2 über den bisherigen Tabellen-Vierten ein ganz wichtiger Erfolg. Nicht nur dank des Ergebnisses, das sogar noch eher zu niedrig ausgefallen ist, sondern vor allem dank einer über 90 Minuten überzeugenden Vorstellung, die einmal mehr belegte, warum Borussia völlig zurecht seit fast zwei Monaten Tabellenführer ist. In dieser Verfassung ist sie selbst gegen die Bayern nächste Woche kein Außenseiter.

Claus-Dieter Mayer: Ein typisches Gladbacher Heimspiel der Neuzeit. Man spielt gut, ist überlegen, aber trotzdem kann es auch irgendwie jederzeit kippen, weil hinten immer mal wieder ein Bock drin ist. Am Ende ist dann alles gut… wie gegen Bremen und Rom und Frankfurt und…? Ist das souverän genug, um wirklich von der Meisterschaft zu träumen? Vermutlich nicht! Ob mir das egal ist? Aber sowas von!!! Zieht den Bayern die Lederhosen aus…